So war’s bei Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra in der Volksbühne Berlin


Wut kann so viel Spaß machen: Der Tochterband von Godspeed You! Black Emperor bewegt sich verdächtig nah am Punk – und überzeugt.

“Actually, Montreal and Berlin are pretty much the same. They’re both ruled by grey-haired assholes slowly trying to squeeze blood out of your tiny hearts.”

Wenn Efrim Menuck so ein Satz rausrutscht, bevor er überhaupt seine Gitarre eingestöpselt hat, darf man auf ein ebenso unterhaltsames Konzert seiner Band Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra hoffen. Und es sollte nicht der letzte bissige Kommentar am Abend des 4. März 2014 in der Berliner Volksbühne bleiben: Während bei Auftritten des Mutterschiffs Godspeed You! Black Emperor die Aufmerksamkeit auf die Hintergrundfilme gelenkt wird, hat Menuck mit Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra ein Ventil für seine Redelust gefunden.

So gibt es nach jedem Stück ein paar Sätze wie den obigen zum Besten: Ernst gemeint und trotzdem mit einem Augenzwinkern vorgetragen, stets ohne Mikro, sondern lieber direkt ins Publikum gerufen. Selbst wenn der Mann mit dem Rauschebart manchmal wie ein Stand-Up-Comedian wirkt, weiß man doch, dass er all das nicht aus Spaß macht, sondern aus Überzeugung. Dass die Musik dabei nicht zu kurz kommt, dafür sorgen die Songs des neuen Albums FUCK OFF GET FREE WE POUR LIGHT ON EVERYTHING, das heute Abend in voller Länge gespielt wird. Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra sind darauf wütender, bissiger und näher am Punk als je zuvor. Doch das Wütendsein scheint Spaß zu machen, die zum Quintett zusammengestutzte Band münzt sie unmittelbar in grenzenlose Spielfreude um. Das klingt im Live-Ergebnis manchmal nach Sleep mit Geigen, in ruhigeren Momenten sogar nach den frühen Arcade Fire, allerdings stets mit einer gesunden Dosis Kakophonie und Verzweiflung. Hier zeigt sich erst, was für ein guter Sänger Efrim Menuck eigentlich ist: Die Töne trifft er nicht immer, aber so eine Leidenschaft sieht man selten. Schließlich zieht er es sogar vor, ein neues Stück vorzustellen, anstatt über die Ukraine fachzusimpeln.

Als Schlagzeuger David Payant danach zum Synthesizer greift, der anderthalb Stunden unbeachtet neben ihm stand und die fünf im Chor “What We Loved Was Not Enough” singen, sind sie wohl näher am Pop angelangt, als sie sich eingestehen wollen – das kann kein plötzlicher 5/4-Takt und kein Gitarreneffekt der Welt vertuschen. Nach dem putzigen Zweiminüter “Little Ones Run” als Zugabe scheint der Abend jedenfalls zu Ende zu sein. Doch die Wenigen, die bei den nicht enden wollenden Standing Ovations nicht mitmachen, sondern stattdessen mit dem Zwanni fürs Vinyl in der Hand zum Merch-Stand düsen, sollten das Beste noch verpassen: Als Musik und Licht eigentlich längst wieder an sind, kommt die Band doch noch einmal auf die Bühne und spielt “BlindBlindBlind”. Efrim Menuck lallt aus einem Meter Entfernung wie betrunken ins Mikro, dass es ein Fest ist.

Zwei Stunden vorher hatte er noch in den Saal gerufen: “I’m not crazy!” Sein ehrlicher Blick gab ihm Recht, sein verschmitztes Lächeln sagte was anderes. Nach diesem grandiosen Abend glauben wir eher Letzterem.

1. „Fuck Off Get Free (For the Island of Montreal)“
2. „Austerity Blues“
3. „Rains Thru the Roof at Thee Grande Ballroom (For Capital Steez)“
4. „Take Away These Early Grave Blues“
5. „Piphany Rambler“
6. „All The Kings Are Dead“
7. „What We Loved Was Not Enough“

8. „Little Ones Run“

9. „BlindBlindBlind“