Stars in der Manege


Die Rückkehr von Depeche Mode, die HipHop-Welle von der Waterkant, arrogante Britpopper etc.etc. Auch im Jahr der Stagnation ging so einiges auf deutschen Bühnen. Ach ja: Und die Stones waren auch wieder mal da. Vorhang auf...

Rolling Stones

KEIN HÖRFEHLER – DA LIEFEN TATSÄCHlich die Sex Pistols in der Umbaupause.

„You’re so pretty vacant! Holla. Die Unterstellung, irgendetwas im Zusammenhang mit einer Stones-Tournee anno’98 atme den spirit of 77, erscheint doch eher beherzt. Mit Rebellion hat das, was die Herren Keef & Co. veranstalten nur noch insofern zu tun, als die glattgesichtigen Teenager, die sich auch dieses Jahr wieder in den ersten Reihen der Stadien tummelten, in ihren hiphoppenden neunten Klassen wahrscheinlich tierische Außenseiter sind. Rolling Stones live ’98 war weitgehend business as usual, aber doch wesentlich ansprechenderes, weil brimborium-ärmeres business als noch die 95er Shows mit ihrem kitschigen Las Vegas-Appeal. Bläser- und Soul-Backing-Vocals-Schwulst und Feuerwerk-Gedöns muß man wohl als gegeben hinnehmen, dafür hatte man aber die aufblasbaren Gummi-Honkytonkfrauen in Rente geschickt. Und die Brückenkonstruktion, die sich als Höhepunkt der Show von der Bühne ausfuhr, diente doch dem guten Zweck, auf einer kleinen Insel in der Arena ein paar Songs lang eine Illusion von „Stripped“ zu vermitteln. 98 war Stones-Jahr. Wohl nie zuvor war die Band über so lange Zeit präsent in Deutschland. Erst Richards‘ Rippenbruch in der Bibliothek, der dafür sorgte, daß über Monate verteilt immer wieder mal Nachholkonzerte stattfanden, und dann das gloriose Abschlußkonzert in der Berliner Waldbühne… Abschluß? Von wegen. Mitte November kündigten die Stones die gger-Fortsetzung an, die sie auch wieder nach Europa führen wird. Hallenkonzerte diesmal, zehn-, zwanzigtausender-Kapazitäten, eine regelrechte Clubtour quasi. Also noch ein Stones-Jahr. Multimillionären finanzielle Beweggründe zu unterstellen ist lächerlich. Spaß an der Sache und Liebe zu den Fans in Ehren. Aber riecht das nicht vor allem danach, als befürchte da jemand, daß allmählich die Zeit ausgeht, den besonders für lebende Legenden so essentiellen Leitsatz „Willst Du was gelten, mache Dich selten“ noch zu beherzigen? „We still have plenty of energy“, strahlt Keith Richards. Na, da haben wir’s doch wieder: die Stones bringen’s mit 100 noch. Die Frage ist nur, ob sie uns das jetzt jedes Jahr aufs Neue beweisen müssen.

Garbage

EIGENTLICH WAR ALLES SO, WIE es sein sollte. Shirley und ihre drei Schattenmänner spielten routiniert ihre Gigs, ihr akribisch zusammengebastelter High-Tech-Rockpop dröhnte flott aus den Boxen, die Gitarren vertrugen sich prima mit den ungefähr 250 Effektgeräten. Sampler und Sequencer spuckten aus, was die Festplatte hergab. Sounds türmten sich übereinander, und die Beats waren nicht nur geschnitzt, sondern sogar glattgefeilt. Ebenso schön war das wie bisweilen schön langweilig – und damit war auf einmal nicht mehr alles so, wie es sein sollte. Und daß Butch Vig seinen Part hinter einer Plexiglas-Schutzwand runtertrommelte, mochte zwar dem perfekten Klang dienlich sein – steril aber war’s allemal.

Das riß auch die miniberockte Shirley nicht raus. Dabei hätte alles so viel menschlicher sein können – und beim Open Air auf der Loreley war’s das auch. Leider nur hinter der Bühne: Shirley Manson saß da im Backstageßereich auf einem Mäuerchen und ließ die Turnschuhe über dem pittoresken Rheintal baumeln. Und Butch Vig stand hinter ihr, gab den väterlichen Freund und ließ wortreich den rechten Arm ausschweifen.“Schau schön hin, Shirley“, hat er da bestimmt gesagt, „this is the river Rhine.“ Und wenn wir uns das noch mal vergegenwärtigen, wird klar: Es ist doch wieder alles so, wie es sein soll: Solange es Leute wie Vig gibt, hat die Menschlichkeit auch im hochtechnisierten Popbiz weiter eine Chance. Wir freuen uns auf die Frühjahrs-Tournee.

The Verve

HERR ASHCROFT HAT SEINE DEUTSCHEN Fans warten lassen. Und das sollte sich rächen. Denn als The Verve acht Monate nach „Urban Hymns“ endlich nach Deutschland kamen, war die Band längst am Ende ihrer Kräfte – die logische Folge unzähliger Gigs in England, Japan, Australien und den USA. In den gut besuchten Mehrzweckhallen wirkten die fünf aber nicht nur ausgepowert, sondern auch schrecklich arrogant. Davon zeugten geschlagene zwei Stunden Wartezeit bei schnödem 70’s Rock und „on the road“-Impressionen auf zwei Leinwänden. Als The Verve dann endlich auf die Bühne schlurften, war die Resonanz spärlich. Mit einem Set, der zunächst nur mit Songs von „A Storni In Heaven“ (’93) und „A Northern Soul“ (’95) aufwartete, konnte das mit der Band-Geschichte nur wenig vertraute, neue große Publikum so gar nichts anfangen. Gefordert waren die Hits – „The Drugs Don’t Work“, „Lucky Man“ und vor allem „Bitter Sweet Symphony“, dem beinahe erleichterter Jubel entgegenschlug. Bei den Zugaben war es meist wieder genauso still wie zu Beginn des 8ominütigen Sets. Nach dem Konzert in Düsseldorf dann brach Bassist Simon Jones mit einem Kreislaufkollaps zusammen. Diagnose: zuviel Streß. Die restlichen Termine fielen aus.

Spice Girls

UI SÜSS, DIE SPICEYS LIVE, ODER das, was ihre Fans für, „live“ halten. Denn die Spice Girls haben auch eine prima Bandmaschine mitgebracht, damit die Lieder auch so klingen, wie man sie von den Platten her kennt. Ui süß, bei jeder Nummer ziehen sich die Spice Girls andere Kleider an. Manchmal aber ziehen sie auch fast gar nichts an. Das freut dann die Jungs im Publikum. Und Geri ist noch dabei. Und auf der großen Leinwand übersetzt eine Gebärdendolmetscherin die, äh, Texte. Ui süß, Emma kriegt eine Soloeinlage. Baby Spice singt „Where Did Our Love Go“-„Baby, Baby, Baby, where did our love go“, süß und so passend. Süß, diese Spiceys live.

Sonic Youth

WEIL SIE SCHON SEIT Jahren immer experimenteller werden, laufen den New Yorker Noise-Heroen langsam die Fans weg. Einst als Ziehväter der alternativen Subkultur gefeiert, lassen Thurston Moore, Kim Gordon, Lee Ranaldo und Steve Shelley heute nichts unversucht, um sich von diesem Image zu befreien. Entsprechend gering war das Interesse an ihrer sommerlichen Club-Tournee.Selbst Musikfachhochschulabsolventen ist der avantgardistische Vortrag des Quartetts längst zu extrem. Wer sich trotzdem in die halbvollen 1.000er Hallen verirrte, hörte Stockhausen, Cage oder Branca.

Bauhaus

NACH 15JÄHRIGER PAUSE erlebte die Kultband der 80er ein glänzendes Comeback: Sämtliche Konzerte waren ausverkauft, die Stimmung so euphorisch wie bei der Bundestagswahl und die Herren Murphy, Ash, J. und Haskins in bestechender Form. Bauhaus ’98 lieferten eine großartige, theatralische Performance, bei der einfach alles stimmte: die Choreographie, das Licht, der Sound. Hinzu kam ein 90minütiger Querschnitt durch ihre vier Alben. Von „Double Dare“ über „Ziggy Stardust“ bis hin zu „Bela Lugosi’s Dead“- der Mix aus Glam, Avantgarde und Metal erzeugte noch immer eine Gänsehaut.

Heather Nova

EIN BISSCHEN VERLIEBT sollte schon sein, wer in den vollen Genuß der Performance von Heather Nova kommen wollte. In klassischer Rockbesetzung präsentierte die Amerikanerin mit Wahlheimat London Hits wie „Walk This World“ und die streichelnden Balladen von „Oyster“, denen sie ihren Durchbruch zu verdanken hatte. Daß sie mehr sein will (und ist) als bloß der „Hase Nova“, das war wohl die eindringlichste Lehre dieser Tournee. Andererseits hätte Heather wohl auch einfach nur zwei Stunden untätig herumstehen können – das Publikum hätte dennoch nach Zugaben verlangt.

Depeche Mode

VOR FÜNF JAHREN, ALS DEPECHE MODE ZULETZT auf Tournee waren, deutete alles noch daraufhin, daß dies auch die letzten Konzerte der Band sein würden. Die Mitglieder hatten getrennte Umkleideräume, Dave Gahan einen sprirituellen Berater, Martin Gore erlitt mehrere Schwächeanfälle, Andy Fletcher einen Nervenzusammenbruch, und Alan Wilder bekam Gallensteine und verließ schließlich Depeche Mode. Von alledem war auf der Tour dieses Jahr wenig zu spüren. Der Wegfall von Wilder fiel nicht weiter auf, die Gruppe schien bester Laune, und der endlich wieder cleane Pirouettendreher Gahan trug – ganz wie früher – kurze Haare. Langzeitkollaborateur Anton Corbijn hatte für die Bühnenshow ein schlichtes, samtseidenes Ensemble kreiert, und auch musikalisch war kaum etwas vom überladenen Gospelbombast der „Devotional“-Tour zu hören. Gut so. Das treue Publikum – in Deutschland haben Depeche Mode, warum auch immer, nach wie vor ihre enthusiastischsten Anhänger – trällerte alte und neue Hits lauthals mit. Und etwas anderes als Hits hatten Depeche Mode ohnehin gar nicht im Programm. Auf der Bühne wurde auch klar, wie sehr Songwriter/Texter Gore und Sänger/Frontmann Gahan einander brauchen. Ohne einen von beiden würde Depeche Mode nicht funktionieren.

Doch auch, wenn die Tour die aktuelle Greatest Hits-Kollektion „Singles 86>98“ promoten sollte, waren es seltsamerweise Songs, die vor dieser Zeit enstanden sind, wie die herzzerreißende Ballade „Somebody“ und die Gute-Laune-Sytnhie-Pop-Hymne „Just Can’t Get Enough“, die auf dem Nachhauseweg im Ohr blieben. Ein Wink mit dem Zaunpfahl oder nur verklärende Nostalgie?

Die Ärzte

KLEINE SCHNIPPEL WAREN IM Ärzte-Jahr 1998 von besonderer Bedeutung. Nicht genug, daß die Band aus Berlin sich nackt ablichten ließ – von Feigling Rod mal abgesehen sie druckte das Foto auch auf die Eintrittskarten ihrer Konzerte. Clou der Aktion: Belas und Farins Gebimsel baumelten bis auf den Kartenabriß hinab. „Schwanz ab!“, der alte Schlachtruf der Teeny-Haudegen, wurde so jeden Abend aufs neue bittere Wahrheit. Ähnlich sicher wie der tägliche Verlust des Gemachtes war da nur noch der tägliche Regenerguß auf der Open Air-Tour im, hüstel, „Sommer“’98. Die Herren Doktoren jedoch nahmen’s dickfellig und erweiterten ihr Programm prompt um Stegreif-Evergreens wie „Raindrops Keep Falling On My Head“ und „It’s Raining Men“. Und wenn es nicht irgendwann aufgehört hätte zu regnen, die Ärzte würden heute noch feixend auf der Bühne stehen und schauerliche Schauer-Songs zum besten geben. Doch so klappte das Publikum die Schirme zu und war nicht mal ungehalten über die vielen neue Stücke der ’98er-Platte „13“, eines Werkes, das zwar wenig Überraschungen bereit hielt, aber immerhin den Ärzte-Humor auf relativ hohem Niveau fortschrieb. Ungehalten schon deshalb nicht, weil auf „13“ immergrüne Klassiker wie „Westerland“ und „Schrei nach Liebe“ folgten. Und wem das immer noch nicht reichte, für den hatten Bela, Farin und Rod noch „Männer sind Schweine“ parat, die konsensstiftende Light-Version von „Schwanz ab!“ und vielleicht auch eine Anregung für das nächste Eintrittskarten-Motiv

-b3>Herbert Grönemeyer

OB ER VORHER KRÄFTIG AM ENERGYDRINK AUS DEM Jungbrunnen genippt hatte? Oder sprudelte es nach vier Jahren Live-Abstinenz automatisch aus ihm heraus? Sein Comeback jedenfalls zelebrierte Herbert Grönemeyer mit einer Dynamik, als wolle er Entzugserscheinungen für immer verscheuchen. Selbst bei kurzen Ansprachen ans Publikum versprühte er Energie. Kaum noch etwas war übrig vom Bochumer Ruhrpott-Mief früherer Tage. Grönemeyer anno 1998 präsentierte sich als zeitgeistbeflissener Performer voll unbändiger Lust auf neue Karriereanreize. Ausgangspunkt war die Veränderung seiner Musik. Seit seinem Umzug in die deutsche Hauptstadt und mit dem Wunsch im Hinterkopf, für ein halbes Jahr nach London zu gehen, flirtet Grönemeyer rückhaltlos mit der Moderne. Techno-Rhythmen zucken, es darf auch ein wenig Drum’n’Bass, Ska oder Acid-Jazz sein. Diese innovativen Elemente mischte der Sänger mit alten Fetenhits wie „Was soll das?“ und „Männer“, und schon standen die Arenen Kopf. Leider wurde nichts aus der planmäßigen Beendigung des Spektakels. Der Tod von Frau und Bruder innerhalb kürzester Zeit zwang Herbert Grönemeyer, seine verbliebene Kraft privaten Angelegenheiten zu widmen. Wünschen wir ihm, daß er bei der Bewältigung der Schicksalsschläge ähnliche Willensstärke aufbringen kann wie bei seiner Rückkehr auf die Tourneebühnen.

Fischmob, Fettes Brot, Fünf Sterne Deluxe

DIESES JAHR HAT UNS EINE GRANDIOSE HIPHOP-HAUSSE BESCHERT: Fünf Sterne Deluxe, Fischmob und Fettes Brot lieferten prima Alben ab und waren auch alle fleißig auf Tour. Beobachtete man die Fetten Brote Schiff meister, Doc Renz und König Boris auf der Bühne, ließ sich zwar nicht leugnen, daß die Massen begeistert mitgingen, andererseits hatte das Ganze auch etwas von schlicht routiniertem Hits abfeiern/Hits mitsingen. Zu dünn die Stimmchen der drei Knaben und zu stereotyp das Hinundhergewiesel, um, sagen wir mal, sechzig Minuten richtig abgehen zu können. Da griffen die Kollegen von Fünf Sterne Deluxe schon tiefer in die Entertainment-Kiste und begannen ein Konzert gern mal mit dem Zeigen zotig kommentierter Dias von Tourexzessen und anderen Peinlichkeiten. Wenn dann neben und zwischen profunden Rapskills auch noch der Discotizer Marc Nesium, flankiert von Stripperinnen und gewandet in sein fantastisches, goldenes Discoglamkostüm, den kompletten Karaokewahnsinn ablieferte, tobte der Saal. Hier ging einiges. Fünf auf der nach oben offenen Dichterskala. Wie hielten Fischmob, hybride Kreuzung aus Beastie Boys, Ärzten und Truck Stop dagegen? Auf jeden Fall mit dem brillantesten Sound, den je neurotische Perfektionisten nördlich von Benztown auf die Beine stellten. Dazu entzückende, blutjunge Tänzerinnen, tightes Drumming, fette Cuts und vierhundert Verkleidungswechsel per Minute. Was die Platte an stilistischer Vielfalt versprach, wurde auf den Brettern, die viel Geld bedeuten, souverän umgesetzt. Volle Kante Rockshow!

Guano Apes

1998 WAR DAS JAHR DER Guano Apes. Egal, welches Festival man diesen Sommer ansteuerte,die Göttinger Crossover-Truppe war fast immer gebucht. Doch während das Debüt-Album „Proud LikeAGod“ noch einen gefälligen Aufguß von Primus-Gefrickel mit exaltiertem New Wave-Gesang bot, gerieten die Live-Auftritte der Band zu wenig mehr als beliebiger Rockmucke mit Teenie-Appeal. Dazu machten die drei Jungs nach einem kräftigen Griff in die Streetwear-Klamottenkiste der Sponsoren den wilden Mann, und Frontfrau Sandra Nasic gab die sportive, dynamische junge Dame. Guano!

Iggy Pop

WIE IMMER NUDE & RÜDE, verfolgte Iggy Pop auf seiner März-Tour lediglich ein Ziel: maximalen Spaß. Und ohne ein neues Album 2u promoten, war der natürlich gleich doppelt so groß. Vor allem in winzigen Clubs, die bis unters Dach gefüllt waren. Da hatte der Meister leichtes Spiel – er gab den Leuten einfach, was sie erwarteten: Die Evergreens der Stooges-Ära sowie die Highlights seiner 23jährigen Solo-Karriere:“Search & Destroy“,“The Passenger“,“Lust For Life“ und vieles mehr. Eine musikalische Vollbedienung von unbegrenzter Halbwertzeit. Und das galt scheinbar auch für Iggy, der mit 51 Jahren die Kondition eines Athleten und den Sex-Appeal eines Ladykillers besitzt.

Fun Lovin‘ Criminals

DIE KRIMINALITÄT DIESER New Yorker Spaßfreunde beschränkt sich im wesentlichen auf den exzessiven Konsum il- bis halblegaler Kräuter. In Anbetracht des seligen, breiten Grinsens, das Huey, Fast und Steve auf ihren Konzerten spazierentrugen, überraschte die lässige Virtuosität, mit der sie ihre knackigen Trompetenund Gitarrensoli aus dem Ärmel gleiten ließen. Bei soviel sympathischer Relaxtheit und dem super-entspannten, smooth groovenden R’n’B/HipHop/Funk-Sound, den die Criminals seit dem neuen Album „100% Colombian“ pflegen, mußte man einfach mitgrinsen. Mit oder ohne Kräuter.

Dandy Warhols

VIER TWENTYSOMETHINGS aus Portland, die ihr ständig wachsendes Publikum durch die Niederungen der Rockgeschichte führten. Da paarte sich die Coolness von Velvet Underground mit der Melancholie der späten Beach Boys und der Exzessivität der frühen Who. Eine Mischung, die auf der Bühne eine geradezu hypnotische Anziehungskraft ausübte. Im sphärischen Halbdunkel, zumal kühl und distanziert dargeboten, setzten sich vor allem „Not If You Were The Last Junkie On Earth“ und „Every Day Should Be A Holiday“ in den Gehörgängen fest.

Beastie Boys

1998 WAR EIN GUTES JAHR für BB-Fans. Die New Yorker veröffentlichten – trotz Auslastung mit Nebenjobs (eigenes Plattenlabel, eigene Klamottenfirma, politisch korrekte Cutmenschen im Dienste des Dalai Lama) – ihr erstes Studioalbum nach dreijähriger Auszeit, zwei Live-Gigs in Deutschland gab’s obendrein. Und wenn die Beastie Boys schon mal kommen, dann kommen sie richtig – und machen erst mal ein satten Jux. „Wir sind schon immer große Fans von Billy Joel gewesen“, brabbelten Adam, Adam und Mike dann zum Beispiel ins Mikro und nahmen anschließend Joels „Big Shot“ nach allen Regeln der Zerstörungskunst auseinander. Und es wurde fröhlich weitergelärmt. Mal etwas schlappmäulig zu HipHop-Beats, dann wieder schön feste zu kernigen Rock-Gitarren. So ein Set der Beastie Boys hat aber auch seine originellen Momente. Und die haben immer mit dem vierten Mann zu tun. Wenn Money Mark hinter seiner Burg aus Orgeln und Synthesizern Platz nahm, wurde alles gut. Elegant schwurbelte der Keyboarder mit seinen Tasten dazwischen, selbst der Krach bekam plötzlich Struktur, und bei zunehmender Reduktion des Gesamtsounds kriegten die Beasties sogar richtige Songs hin. Macht alles in allem: Stagnation auf gewohntem Niveau. Und das ist-bei den vielen Nebenjobs -ja keineswegs gering zu bewerten. Findet bestimmt auch der Dalai Lama.

Smashing Pumpkins

DA STAND ER AUF DER SONNIGEN Reeperbahn und genoß den Beifall von 25.000 Fans. Es war der 14. Mai 1998, als Billy Corgan und die Smashing Pumpkins sich mit einem denkwürdigen Gratis-Open Air-Konzert in die Herzen der Deutschen spielten. Und zwar mit einem Set, das ausschließlich Songs ihres neuen Albums „Adore“ enthielt. Damit vor ein Publikum dieser Größenordnung zu treten, verlangte mindestens so viel Mut wie das Outfit von ßassistin D’Arcy, deren durchsichtiges Top im wohltuenden Kontrast zum Einheitsschwarz ihrer Mitstreiter stand. Vor allem Corgan schwitzte unter seinem Ledermantel mindestens genau so grausam wie die Kids auf der geilen Meile. Aber wahrscheinlich hatte er das nicht einmal mehr bemerkt – der Mann war high durch die Begeisterung der Masse. Seit dem Zugaben-Block aus „Tonight.Tonight“, „1979“ und „Bullet With Butterfly Wings“ war die Vergangenheit denn auch vergessen und vorbei. Die Pumpkins sind die neue größte Rockband der Welt.

Eric Clapton

SLOWHAND KAM AUF EUROPATOURNEE, und in Deutschland klotzte er richtig ran. Während Eric Clapton in der britischen Heimat viermal, ansonsten maximal dreimal pro Land in die Saiten griff, ließ sich der Altmeister von Tour-Sponsor Volkswagen zu neun Gigs im Geburtsland von Golf und Beetle überreden. Allerdings mit Auflagen: „nur bestuhlte Hallen“, lautete die Regieanweisung – die Fans sind mit ihrem Idol in Ehren ergraut, man liebt’s mittlerweile etwas bequemer. Das 20köpfige Orchester, das noch auf der US-Tour seine Songs im Background gestreichelt hatte, war in Urlaub geschickt worden. Mit seiner neunköpfigen Band gab Clapton dem Songmaterial des vielfach als „glattpoliert“ geschmähten Albums „Pilgrim“ den nötigen Drive.Trotzdem, ein Risiko wurde nicht eingegangen. Sechs Stücke des aktuellen Albums eröffneten den Set, dann griff Clapton tief in die Hitkiste. Brot und Spiele. Das Volk bekam, wonach es lechzte: „Tears In Heaven“,“Layla“ oder „Change The World“, die offensichtlich unverwüstlichen Ohrwürmer „Wonderful Tonight“,“I Shot The Sheriff“ und J. J. Cales „Cocaine“. Eine ungerechte Welt ist das – das neue Material von „Pilgrim“, im satten Live-Sound allererste Sahne , wurde freundlich, aber doch einigermaßen reserviert goutiert. Erst der Back-Katalog erfrischte die Seele der Claptomanen. Das Gros der Fans hat offensichtlich mit der Jugend die Experimentierfreude und die Lust aufs Neue, Unbekannte abgelegt. Schade eigentlich. Mit seinen mittlerweile 53 Jahren ist Eric Clapton immer noch ein Solist der Extraklasse. Er spielt den richtigen Ton im entscheidenden Moment, verliert sich nicht – wie viele seiner Kollegen – in ausufernden Techniktänzen auf dem Griffbrett seiner schwarzen Stratocaster. Slowhand war „wonderful tonight“, an allen Abenden seiner Deutschlandreise. Aber vielleicht läßt er beim nächstenmal einfach genau dieses Stück weg – von wegen Risiko im Alter…

Propellerheads

HEIMLICHE HOFFNUNGEN, SIE KONNTEN SHIRLEY Bassey doch dabeihaben, erfüllten sich zwar nicht, doch die zwei Propellerheads machten jeden Superstar schnell vergessen. Ebenso die Tatsache, daß hier nur zwei Menschlein auf der Bühne standen. Im fliegenden Wechsel zwischen Baß,Trommeln und Elektronik hin und her sausend, buchstabierten die beiden „Power“ nach der neuen Rechtschreibung und wechselten ebenso schnell wie zwischen den Instrumenten zwisehen den Stilen: Old School-Beats versöhnten sich tanzend mit Rock-Rückkoppelungen, und magische Momente ließen die donnernde Wucht sekundenlang vergessen. Es ging beim Gastspiel der Propellerheads nie um graue Theorie und stundenlange Überlegungen, wie Big Beat am besten Rock-Melodien und Techno-Rhythmik vereinen kann. Hier wurde gespielt, getanzt, gelärmt und gefeiert – vor allem, daß Big Beat den großen Durchbruch geschafft und somit eine neue Generation den Sound gefunden hat, zu dem sie sich die Köpfe schwindelig nicken kann.

Massive Attack

SCHWELENDE ATMOSPHÄRE IN DER Halle: Der Schweiß rann, und man stand so eng, dal? Vorderfrau und Hintermann links und rechts die Shirts an den Körpern klebten. Man hoffte auf den nächsten Baß, daß vielleicht der ein wenig Luft zufächeln würde. Doch die Abstände blieben lang: trotz neurdings hinzugezogenen Rock-Instrumentariums (Huch! E-Gitarren!) pulst bei Massive Attack immer noch der wohlig-schleppendste Beat diesseits von Dub. Auch auf der Bühne, dem einzigen Ort, wo man sich hätte bewegen können, herrschte Beinahe-Stillstand. Die TripHop-Väter wollten nicht viel Action vorspielen, wo nie viel Action war. Oaddy C, 3D und Mushroom thronten, weiß angestrahlt, fast unbeweglich über den imposant auf-getürmten Maschinen, die zuverlässig die Basis der dunklen Stücke des neuen Albums „Mezzanine“ lieferten, eindringlich, intensiv und schwul. Einzig Sängerin Sara Jay ließ bei Songs wie „Unfinished Sympathy“ kurz durchatmen. Doch nicht lange: Wenn dann Horace Andys Falsett zu den „Mezzanine“-Tracks fieberte und 3D und Daddy G trocken sprech-sangen, hielt samtenhypnotische Düsternis wieder alle gefangen.

Portishead

DRAUßEN WINTER, DRINNEN PORTISHEAD – GEHT ES passender? Ein Orchester wie bei der jüngst veröffentlichten Live-Aufnahme hätte noch dabei sein können, aber sonst stimmte an diesen samtenen Abenden einfach alles. Geoff Barrow organisierte den Sound überraschenderweise ebenso stimmig kühl und gläsern klar wie auf Platte, und Beth Gibbons legte Tonnen von Soul in ihre Stimme, ohne die Contenance zu verlieren. Vor eher benommenen als begeisterten Zuschauern mit leuchtenden Augen verfolgt, wirkten die Briten bei jedem Stück so durchdringend wie im Studio, tupften ihren schweren Ernst an die richtigen Stellen und schwelgten in Romantik ohne jeden Anflug von Kitsch. Die Mitstreiter von Gibbons und Barrow präsentierten sich als ebenbürtiges Begleitpersonal, feilten an den Feinheiten und wählten den richtigen Mittelweg zwischen Zurückhaltung und Akzentuierung. Traurig war es eigentlich die ganze Zeit, doch am traurigsten war ein Portishead-Konzert, als es schließlich endgültig vorbei war.

Monster Magnet

WIR HABEN GLAM, WIR haben ein Revival der 80er, Knöpfchendreher zum Tanzen oder Zuhören, wir haben nordischen Metal – Monster Magnet jedenfalls haben auf all das eine Scheißwut und dreckigsten Rock’n’Roll, um damit die Gehörgänge freizupusten. Vorbei war’s mit psychedelischen Hawkwind-Reminiszenzen. Statt dessen wucherten Stripperinnen auf der Bühne mit ihren Pfunden, und zwar mit der Wyndorfschen Wampe um die Wette. Kübelweise Testosteron, bulldozernde Gitarren und kreissägender Hardcore sorgten für den authentischsten Hörschaden des Jahres. Es pfeift noch immer.

Tori Amos

ES WAR KEIN SCHÖNER Abend damals in der Münchner Philharmonie. Nicht, daß es unbedingt ein schlechtes Konzert gewesen wäre. Sicher aber war es ein trauriges. Es ist immer traurig, wenn jemand entzaubert wird, und an diesem Abend hat es die Feenprinzessin Tori erwischt. Es wollte einfach nichts stimmen: die Studioband nicht, die Frau Arnos lärmend im Nacken sals und der sie nicht Herr wurde, und auch die Songs nicht. Ja doch, Tori bot sie sicher und ordentlich dar – aber eben doch nur ordentlich und mit einer Gefühlsroutine, die man früher von ihr, allein am Flügel, einfach nicht gewöhnt war.

Xavier Naidoo

MIT VIEL CHUZPE UND weniger steif als noch zu Setlur-Zeiten setzte Xavier auch auf der Bühne Akzente. Mit einer souveränen Band im Nacken überbrückte er bei seinen schweißtreibenden Gigs die Kluft zwischen Bühne und Publikum. Erhobenen Hauptes, aber selten arrogant, ließ er es zwischen ihm und seinen Fans zucken. Dabei spielte das Genre keine Rolle. Ob’s funkte, soulte oder schmachtete, Naidoo war Herr der Lage. Da nahmen auch Ungläubige gerne in Kauf, daß er einen Touch ins Religiöse hat. Denn Xavier besitzt musikalischen Tiefgang.

Faithless

GAR NICHT SO EINFACH, einem im Studio konzipierten Dance-Projekt vor Publikum Flair und Drive zu geben. Faithless zeigten auf ihrer umjubelten Tour, wie es geht. Rollo Anderson, ihren menschenscheuen Spiritus rector, hatten sie schon einmal zu Hause gelassen. Dafür magnetisierte Sänger und Rapper Maxi Jazz die Massen mit hypnotisierenden Ansprachen. Eine versierte Begleitband an Gitarre, Bass, Schlagzeug, dazu der kesse Keyboard-Touch von House-Sister Bliss – los ging der Groove. Faithless vollbrachten ein Kunststück: Avantgarde-Anspruch und Eingängigkeit verschmolzen bei ihnen zu einer perfekten Mischung für die Bühne.