Terence Trent D’Arby über Michael Jackson – Versuch es doch endlich mal mit Sex


Schwarze Superstars sind sie beide. Und dennoch unterscheiden sich Terry Trent D'Arby und Wacko Jacko in Aussehen und Aussage wie Feuer und Wasser. In ME/ Sounds rechnet Terence jetzt mit dem Idol seiner Jugend ab. Sein ganz persönlicher und gutgemeinter Ratschlag: "Geh doch endlich mal mit einer Frau ins Bett, Michael!"

Nachdem James Brown und Michael Barishnikov inzwischen eher humpeln als hüpfen, nachdem uns Fred Astaire verlassen hat, um über ewige Wendeltreppen zu steppen, trifft es vermutlich zu, daß (Prince möge mir verzeihen) Michael Jackson der beste lebende Tänzer weit und breit ist. Auf einem Stecknadelkopf kann er sich drehen und strecken, herumwirblen und springen, auf einer Bühne aus Augen und Hitze überläßt er seine ruhelose Seele dem Fegefeuer —- ein Katholik mit dem perversen Glauben, daß er seinen Geist von Sünde frei hält, indem er sich körperlich verausgabt.

Ich lebte in Florida — in Daytona Beach, um genau zu sein -— und spielte im Garten neben unserem Haus, als von der anderen Straßenseite Jackson 5-Musik herübertönte. Ich wurde getroffen wie Saulus bei seiner Bekehrung zu Paulus; der Kalender in meinem Kopf unterschied von da an die Zeit vor den Jacksons und die Zeit nach den Jacksons.

Für Millionen Kids auf der ganzen Welt, ganz zu schweigen von den schwarzen Kids in Amerika, waren die Jackson 5 ein unfaßbares Wunder. Während unsere älteren Brüder und Schwestern für Ungewisse und obendrein noch kontroverse Ideen wie Gleichberechtigung kämpften, vermittelten die fünf Brüder aus Gary, Indiana, uns Jüngeren eine greifbarere Wahrheit: daß wir vielleicht doch nicht in James Browns grausamer „Man’s, Man’s World“ lebten, sondern daß man auch spielerisch mit ihr umgehen konnte, wenn man nur bad genug war.

Ein alter, besoffener Penner (oder Weiser, wenn man es in einem anderen Licht sehen will) hat mir mal erklärt, daß die großen Bühnen-Künstler das sind, womit sich der liebe Gott entspannt, nachdem in harter Arbeit die Plagen und Heimsuchungen für den nächsten Tag entstanden sind. Der alte Mann malte mir plastisch aus, wie Gott sich abends vollaufen läßt, Würfel spielt und dann die Musikbox füttert.

Betrunken spielt Gott dann mit den unterschiedlichsten musikalischen Kombinationen, z.B. einer verjüngten Ausgabe der Temptations und einem jüngeren James Brown als Frontmann, seine Stimme eine Mischung aus Jackie Wilson und Diana Ross. (Damals wie heute fand ich diese Vorstellung absolut lächerlich. Aber vielleicht trauen wir der Weisheit von Pennern nicht, weil wir den Verdacht hegen, daß sie mehr wissen als wir.) Aber wer weiß: Vielleicht trinkt Gott (falls Sie existiert) ja wirklich (schließlich hat Sie all die versoffenen Journalisten geschaffen) und ist nach ein paar Drinks kreativer. (Ich weiß, ich bin ein bißchen abgeschweift, aber scheiß drauf, das ist schließlich mein Artikel!) Michael Jacksons immer noch nicht abgeschlossene Metamorphose vom Bubbiegum-Schreihals zur Personifizierung des menschlichen Zwitters ist ein abschreckendes Beispiel dafür, was passiert, wenn man Kinder nicht einfach Kinder sein läßt, sondern sie in der Kunst der geschlechtlichen Unbestimmtheit drillt. Das wirft ein trauriges Licht aufs schwarze Selbstverständnis in Amerika: Der boy in the bubble, der kleine Negerbub in seiner Luftblase, traut dem eigenen Erscheinungsbild so wenig, daß er sämtliche körperlichen Merkmale, die ihn seinem Vater ähnlich machen, zum Gegenstand von Preis-Verhandlungen in Sprechzimmern plastischer Chirurgen macht.

Wie Ikarus, der sich mit seinen neuen Wachs-Flügeln zu nah an die Sonne wagte (um prompt ins Meer zu stürzen), ist Jackson der einzige Künstler (außer Elvis), der Schmerz und Isolation an den äußeren Grenzen des Ruhms voll zu spüren bekommt. Die Dimensionen seiner Berühmtheit haben unseren boy in the bubble in eine Situation manövriert, wo schon ein Tropfen des echten Sauerstoffs die Seifen-Blase zum Platzen bringen kann.

Und dann hört man ihn „Billie Jean“ singen: Wie ein Bluter sich vor einem Kratzer fürchtet, hat er Angst, jemand könnte hergehen und seine wahren inneren Konflikte bloßlegen.

Die innere Zerissenheit. die „Billie Jean“ dokumentiert, war schon immer das Element, das Musiker motivierte und vorwärts trieb: Von den Delta-Bluesmusikern bis zu Jerry Lee Lewis, von Al Green bis heute sind es die Reibungspunkte zwischen zwei Naturellen in einer Seele, die wahren Soul ausmachen. Nur wenige Künstler bringen beides -— Fleisch und Geist — gleichermaßen deutlich zum Ausdruck (einer fällt mir sofort ein: Marvin Gaye).

Nimmt man Michael seine Jungfräulichkeit ab, dann frage ich mich (auch wenn’s mich echt nichts angeht), ob er wohl anders wäre, wenn er sich mal flachlegen ließe. Wenn der Schmerz der sexuellen Spannung, der Unsicherheit und Eifersucht bis in sein unwirkliches Reich vordringen könnte und ihn einer nagenden Angst aussetzen würde, die er vermutlich bislang noch gar nicht kennt. Verzweiflung hinterläßt nun mal deutliche Spuren, und auch wenn er als Sänger immer noch fesseln kann, so hat er doch seit seiner Pubertät nur wenig Sachen gemacht, die an die Kraft und Eindringlichkeit heranreichen, mit der er als kleiner Junge (auch wenn er nie ein „kleiner Junge“ war) im Song „Maybe Tomorrow“ hoffte, daß sie es sich vielleicht doch noch anders überlegt.

Damals benutzte er offenbar seinen ganzen Körper als großen Topf, in dem er die Gefühle so lange umrührte, bis sie sich abgesetzt hatten. Er konnte in seinem Glashaus sitzen und mit Steinen werfen, weil sein Mikrofon in einem Studio aus Stein oder auf einer Bühne aus Holz stand, und alles andere egal war.

Was hat sich geändert? Warum ist seine kreative Triebfeder heute nicht mehr die gleiche? Keine Frage: Der Anstoß zur Kreativität unterliegt nun einmal den sich verändernden Umständen. Und vielleicht verschließt Michael Jackson seine Augen vor der offensichtlichsten Veränderung: Sex, Michael. Und zwar bald! Vergiß den Elefanten-Menschen, vergiß den Sauerstoff-Tank und verzichte ganz und gar auf den täglichen Umgang mit Disney-Puppen. Bitte, laß das Kind in dir nie sterben -— aber laß auch dem Mann seine Sünde. Verlieb dich, heirate, und komm auch ruhig nach Hause, nachdem du mit einer anderen geschlafen hast; sie wird es mit Sicherheit ebenso machen. Sag uns, wir sollen dich am Arsch lecken, solange du dich zurückziehst, um dein gebrochenes Herz zu flicken (auch wenn ein Teil fehlt, aber das ist gut für die Seele). Kehr zurück, schmeiß Quincy Jones raus (sicher eine Legende, aber findest du nicht, daß du alt genug bist, um ohne ihn auszukommen?) und reduzier deinen Sound aufs Notwendigste. Prince ist nicht das einzige gescheite, arrogante Genie. Du bist genauso brillant! Bescheidenheit mag für den Seelenfrieden gut sein, aber „für ein Genie ist Bescheidenheit dasselbe wie das Löschen für eine Kerze.“ Hat jedenfalls William Shenstone schon vor über 200 Jahren gesagt. Bezieh deutlicher Stellung, Michael, und laß dich nicht länger von Gerüchten und Vorwürfen nerven. Die Revolverblätter und ihre Schwanznasen-Leser werden nie kapieren, wie Wunder funktionieren.