The Cure – Wenn Töne Bilder wären


Anfangs spielten sie Bowie nach. Dann kamen eigene Gedanken hinzu. Sparsam mit Rock'n'Roll und Worten umgehen... "sitting in the kitchen sink... thinking of yesterday... 10:15 on a saturday night... and the tap goes drip, drip, drip, drip, drip, drip, drip..." (aus "10:15 Saturday Night") - The Cure.

Ich denke in der letzten Zeit immer mehr nach (gib mir mehr Gedanken!) über die Situation / Rolle, in die ich mich (freiwillig) begebe, wenn ich einen Artikel schreibe. Wenn ich mit Musikern spreche. Wenn ich mit ihnen kurze Zeit gemeinsame Dinge erlebe. Da triffst du auf Menschen, die du noch nie zuvor gesehen hast, wirst ihnen vorgeworfen – und sie werden dir vorgeworfen – wie ein Hund dem Knochen, bzw. wie ein Knochen dem Hund. Unbekannte (du kennst ja nur ihre Musik), die sich dir plötzlich öffnen sollen; denn du willst ja etwas erfahren, stellst Fragen. Und sie sollen möglichst viel erzählen, Persönliches, Intimes, Einzelheiten. Und sie sollen es dir erzählen, dem Fremden, der diese Informationen verwerten will,… und meistens bleibst du auch als Fremder draußen vor der Tür. Nur sehr selten kann sich ein Gedankenaustausch zwischen dir und den Musikern entwickeln, der unter die Oberfläche taucht. Weil ja die Zeit einer Begegnung immer begrenzt ist (die Musiker sind auf Tournee, sie müssen weiter). Weil die Musiker immer wissen, daß du mit den Informationen, die sie dir geben, an die Öffentlichkeit gehst, also einen Artikel schreibst oder Photos machst, die gedruckt werden.

Über dieses Problem (was ja mehr mein Problem ist!) habe ich auch mit Lol Tolhurst, dem Schlagzeuger der Cure, gesprochen. Zusammen mit dem Cure-Keyboard-Mann Matthieu Hartley hat man uns in einen trostlosen Hotelraum geworfen, während Cure-Songschreiber-Sänger-Gitarrist Robert Smith und Cure-Baß-Spieler Simon Gallup ruhen und duschen. Außerhalb dieses Zimmers. Und die Zeit ist mal wieder begrenzt, zwei Stunden bis zum abendlichen Auftritt. Zurück zum Problem. Lol: „Man muß Leute finden, die überhaupt verträglich sind, mit denen man sich versteht, denn dann können die machen, was sie wollen, können ihren Ideen freien Lauf lassen, weil die mit deinen eigenen Gedanken vereinbar sind. Wir haben bisher auch nur einen einzigen lournalisten getroffen, mit dem wir uns gut verstanden haben. Und er konnte alles machen, was er wollte, und wir konnten ihm alles erzählen, was wir wollten. Und heraus kam ein Stück Wahrheit.“ Matthieu: „Weil wir mit ihm zusammen betrunken waren!“ Lol: „Ja, Phil Sutcliffe (Anm.: Journalist beim englischen Sounds) ist uns sehr ähnlich! Er hat den besten Cure-Artikel geschrieben, den wir je hatten. Aus unserer Sicht! Und auch von dem Standpunkt aus, daß es uns Spaß gemacht hat, mit ihm zusammenzusein, ohne daß wir den Zwang gespürt haben, etwas vorgeben zu müssen, was wir gar nicht sind – nur weil du befürchtest, sonst falsch interpretiert zu werden.“

Also: Dieser Cure-Artikel kann eigentlich nicht das mitteilen/vermitteln, was er gerne will. Es ist nur ein ganz winziger Eindruck. Mein Eindruck. Von den Cure. Übrigens: Ich war nicht zusammen mit den Cure-Leuten betrunken.

„Sunk deep in the night, Isink in the night, standing ahne underneath the sky, I feel the chill of ice on my face… I hear the darkness breathe, 1 sense the quiet despair, listen to the silence at night, someone has to be there, someone must be there.““M Night“/The Cure „…try to set the night on fire.“

„Light My Fire“/The Doors „Hell all day they’re bustingyou up on the outside, but tonight you’re gonna break on, through to theinside, andit’Ilbe right, it’llberight, andit’llbetonight.“ „Night’VBruce Springsteen Jenseits des Tages. In der Nacht. Einsam. Als Draußenstehender. Die Zeit vergeht: ins Ungewisse. Die Leere fühlen. Die Kälte. Die Stille. Und dann passiert irgendetwas. Was?? Danach suchen. Draußen. Wo es still/kühl/dunkel ist. Dieses Bild ist das Fundament, auf dem Robert Smith die Cure-Songs inszeniert. Visionen vom Leben, vom Tod, von der Existenz allgemein. Und irgendwie sind diese Visionen immer wieder mit der Atmosphäre des „Fremden“ von Albert Camus getränkt. Nachdenken über den (Un-)Sinn eines Lebens.

Für mich ist der beeindruckendste Cure-Song „10:15 Saturday Night“ (aufdererstenLP), weil er die Robert-Smith-Gedanken am reduziertesten/deutlichsten bringt. Er zeigt, wo/wann die Cure ihre Stärke haben. Ein Stück, dessen Wert in der Spärlichkeit liegt, sowohl was die Musik (den Rock’n’Roll) betrifft, als auch den Text. Da wird kaum gespielt, kaum etwas erzählt. Alles in deinem Vorstellungsvermögen, deiner Phantasie überlassen. Ziehe deine eigenen Schlüsse aus: „…sitting in the kitchen sink… thinking o/ yesterday… 10:15 on a saturday night… and the tap goes drip, drip, drip, drip, drip, drip, drip…“ Und dazu der gelangweilte Smith-Gesang. Der harte, malende Monoton-Rhythmus. Ah! Ich male meine eigenen Bilder im Kopf…

Hier die Geschichte der Cure: Robert Smith und Michael Dumpsey (Baß) gründen 1976 im Londoner Vorbezirk eine Band, die hauptsächlich altes Bowie-Material spielt. Alle gehen noch zur Schule. Als „Easy Cure“ bekommen sie im Verlauf der New Wave-Euphorie – als jede Plattenfirma auf der Jagd nach ihrem New Wave-Act war – einen Vertrag mit der Firma Hansa/Ariola. Ein Demo-Band mit dem Easy Cure Song „Küling An Arab“ gefiel der Firma nicht (denn man bekommt ja sein Öl von den Arabern!), der Vertrag wurde wieder gelöscht. Das „Easy“ wurde fallengelassen, es blieben drei Cure-Männer übrig: Smith, Dumpsey und der Drummer Lol Tolhurst. Ein Demo-Band mit den Stücken „Boys Don’t Cry“, „Fire In Cairo“ und „It’s Not You“ gefiel Chris Parry, der bei Polydor arbeitete und sein eigenes Label Fiction Records gründen wollte. Parry wird Cure-Fan und Cure-Manager. Auf dem Label Small Wonder (von Polydor vertrieben) erscheint 1978 dann die Single „Küling An Arab“. 1979 erscheint auf Fiction das erste Album mit dem Titel THREE IMAGINARY BOYS, obwohl auf der Platte/ auf dem Cover kein Titel erscheint. Und auch die einzelnen Songs haben keine Titel, sie sind durch Bilder/-Symbole gekennzeichnet. Es gibt auch kein Bild von der Gruppe – dafür werden die drei Musiker auf der Hülle durch einen Kühlschrank, einen Staubsauger und eine Stehlampe repräsentiert. Ende ’79 kommt die LP mit dem Titel BOYS DON’T CRY in Amerika und Europa neu heraus; man hatte Stücke von dem Ur-Werk rausgeschmissen und sie durch die Singles ersetzt.

Nach einer gemeinsamen Tour mit Siouxsie & The Banshees durch England (R. Smith spielt bei dieser Tour sowohl bei den Cure als auch bei Siouxsie, die ihren Gitarristen John McKay verloren hatte) verläßt M. Dumpsey die Cure. Simon Gallup übernimmt den Baß, und Matthieu Hartley kommt mit seinen Keyboards hinzu. SEVENTEEN SECONDS, das zweite Cure-Album, wird mit dieser Besetzung aufgenommen.

Die Cure leben 25 Meilen von London entfernt. Lol: „Wir wollen nicht in London wohnen, auf all die Parties gehen. Wir wollen nicht all den Glamour, all den Rock’n’Roll Life Style! Wir, die Cure-Leute, sind gute, alte Freunde. Wenn wir zu Hause ; sind, hängen wir zusammen rum, gehen ins Kino… wir machen eigentlich alles zusammen. Nur unter diesen Voraussetzungen können wir auch Musik zusammen machen. Wir könnten nie ’ne Anzeige in die Zeitung setzen: „Suchen Baß-Spieler“. Als Michael die Cure verließ, haben wir einfach Simon gefragt, ob er Baß spielen will, denn wir waren sowieso Freunde!“

Lol hat früher in einer Druckerei gearbeitet, Simon in einer Plastik-Fabrik, Matthieu war Friseur und Robert lange Zeit arbeitslos. Hat sich irgendwas geändert in ihren Beziehungen zu den Leuten ihrer Heimatstadt, seit sie als Cure bekannt sind? Matthieu: „Das einzige, was sich geändert hat, ist die Tatsache, daß wir durch die Tournee, nicht mehr so oft zuhause sind wie früher. Aber sobald wir zurück sind, ist alles beim alten.“ Lol: „Natürlich beeinflußt dich alles, was um dich herum passiert, wenn du tourst. Nur sind es mehr Seiten des Lebens, die dich beeinflussen, die du kennenlernst, wenn du nicht zu Hause bleibst.“ Wir sprechen darüber, daß es sehr viel bringen, sehr interessant sein würde, wenn man seine Musik vor Leuten spielt, die in ganz anderen Kulturen leben. In Orten, wo man diese Art von Musik nicht kennt. Das wären wichtige Erlebnisse/Erfahrungen. Lol: „Wir wollen weg von diesen festgelegten Tourneeplänen für Bands – Japan, Australien, Europa, Amerika. Wir würden gern mal im Ostblock spielen, nur so, in Gegenden, wo wir für uns persönliche Erfahrungen haben können. Als wir jetzt mit dem Zug von Essen nach Berlin durch die DDR gefahren sind – das war eine andere Zeit, die dir plötzlich entgegenblickte. Die Bahnhöre waren leer, die Häuser leer. Alles sehr einsam, verlassen. So, wie vor langer Zeit, um 1950 herum.“

Und wie ist es nun bei den Cure mit der Beziehung Idee-Technik? Man hat eine bestimmte Idee, wie ein Song aussehen/klingen soll, man geht ins Studio und muß sich mit der Technik arrangieren. Neue, andere Faktoren kommen hinzu. Lol: „Unser erstes Album hat Chris Parry produziert, und der hatte seine eigenen Ideen, wie der Sound sein sollte. Wir ließen ihn das machen, es klang auch recht gut. Aber die zweite LP produzierte Robert zusammen mit dem Engineer, und wir halfen alle dabei. So bekamen wir mehr Ideen, wie wir sie wollten. Die zweite LP ist ruhiger, als die erste. Und genau das wollten wir. SEVENTEEN SECONDS wurde durchgehend innerhalb eines Monats aufgenommen, also spiegelt die Platte eine Stimmung wider, ein bestimmtes Feeling. Während die erste LP mehr eine Ansammlung von verschiedenen Songs aus verschiedenen Zeiten war.“

Auf der Fahrt zum Konzert sitzen wir alle zusammen im englischen Kleinbus. Robert liest das englische Sounds mit der (schwachsinnigen) Widmung an Ian Curtis, den Sänger der Joy Division, der Selbstmord begangen hat. Robert liest den letzten Satz laut: „…the next time you’ve a minute of silent contemplation away from the plastic world, think ollan Curtis, let his soul lill you. That man cared tor you, that man died for you…“

„Aber nicht für mich!“ sagt Robert; „Quatsch“ und lehnt sich zurück.