The Great Deutschpunk Swindle: Slime vs. Akne Kid Joe im Interview


Slime trifft auf Akne Kid Joe. Das Bier schäumt, der Generationskonflikt auch. Was sie verbindet und voneinander trennt, verraten die Bands im Interview.

Deutschpunk ist längst eine dynastische Erzählung. Am Heizkörper des örtlichen autonomen Zentrums wird die Bierflasche durch die Generationen gereicht. Schmeckt abgestanden – und die Kids hören eh nur HipHop. Doch manchmal schäumt es auch im Punk noch gewaltig. Etwa wenn Slime auf Akne Kid Joe treffen. In einem Backstageraum im Ruhrgebiet schicken beide Bands eine Abordnung in diese Begegnung von Jung vs. Alt.

Musikexpress: Fangen wir ganz einfach an: mit einem compliments battle. Was gefällt euch, Sarah und Matti, an Slime?

Sarah (AKJ/Gitarre, Gesang): Überraschenderweise… die Texte. Gassenhauer wie „Deutschland muss sterben“ hat man natürlich im Ohr, aber wenn man sich mehr damit beschäftigt, merkt man, dass da ganz viel Metaphorik herrscht. Hatte ich lange Zeit nicht auf dem Schirm. Ich meine, wie viele Slime-Songs gibt’s mittlerweile? 2500?

Christian (Slime/Gitarre): Eigentlich sind es bloß zehn, die variieren wir halt immer wieder. (lacht)

Sarah: Aber Thema gibt’s nur eins, oder? Systemkritik. Die allerdings von allen Seiten beleuchtet. Ehrlich, wie man damit so viele unterschiedliche Songs schreiben kann, das finde ich bewundernswert.

Christian: Na ja, die Band selbst unterliegt eben einem Wandel, die persönlichen Umstände ändern sich. Wenn du 16 Jahre alt bist und Reizgas in den Augen hast, das dir ein Bulle auf einer Demo verpasst hat, dann schreibst du an dem Tag andere Texte, als wir es mit unserer heutigen Lebensrealität machen.

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Und jetzt umgekehrt, was spricht für Akne Kid Joe?

Alex (Slime/Schlagzeug): Punk ist sehr festgefahren, auch junge Bands machen oft den konservativen Sound, wie er ihnen vorgelebt wurde. Dann aber kommen alle Jubeljahre Acts, die das Ganze frisch interpretieren. Wie vor paar Jahren vielleicht die Shitlers. Da geht’s oft nur um Nuancen, aber es ist eine neue Idee und die spürt jeder, der das hört. Das sehe ich auch bei Akne Kid Joe.

Christian: Ich finde den Namen geil. Natürlich dachte ich zuerst auch, hä, Ugly Kid Joe, die gibt’s noch? Und ließ mich dann berichtigen, dass das eine gerade sehr angesagte neue Band sei. Aber mir erzählt auch der Name schon viel: Einfach nicht lange nachdenken, einfach machen – so was finde ich geil. Ich habe das Video zu „What AfD Thinks What We Do“ gesehen – was für eine großartig durcherzählte Story! Auf diese Weise mit dem Thema umgehen, das könnten Slime nicht machen.

Sarah: Wieso denn nicht?

Christian: Ironie ist kein Teil von Slime, wir würden so was wieder total ernst nehmen.

Alex: Es ist nicht so, dass wir Humor nicht cool finden, aber wir kriegen es in diesem Gefüge niemals so hin. Bei uns wird alles am Ende immer nur Slime, das ist vielleicht auch die Stärke der Band – selbst wenn man auf bestimmte Elemente einfach verzichten muss.

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Nun aber genug der Huldigung, was findet ihr ungeil an Slime?

Matti (AKJ/Gitarre, Gesang): Dass es mir einfach zu wenig Humor hat. Ich könnte mir nicht vorstellen, bierernste Protestsongs zu schreiben.

Alex: Das muss man im zeitlichen Kontext sehen. Als Slime ihren Grundstein gelegt hatten in den frühen 80ern, da konnte Punk noch nicht komisch sein. Wollte er auch nicht.

Sarah: Uns würde man umgekehrt so eine Härte heute auch nicht abnehmen.

Alex: Hast du das Gefühl, dass wir harte Typen sind?

Christian: Das muss an dieser Aura von Slime liegen, dass man das so mit uns verbindet. Da muss ich an diese Story aus den 90ern denken: Ein Zwölfjähriger, der von seinen Eltern zum Konzert gefahren wurde, spricht mich an, wie viele Bullen ich am Tag so weghauen würde. Ja, ihr lacht jetzt, aber das ist etwas, das uns schon immer beschäftigt: Nämlich dass die Band so überhöht wird. Wir sind dadurch richtige Kunstfiguren geworden, es wird ganz viel von außen auf uns projiziert. Trotzdem wollen wir selbst natürlich authentisch bleiben, aber eben nicht darin, dass wir jetzt die harten Typen sind.

Sarah: Klar, wenn man euch einzeln sieht, wechselt nicht jeder die Straßenseite. Allerdings dürfte es doch einen großen Unterschied geben, wie die Leute uns und wie sie euch wahrnehmen.

Matti: Vieles hat sicherlich mit dem Kontext zu tun, wir sind alle in irgendwelchen Käffern in Bayern aufgewachssen und haben am Baggersee gekifft. Die ersten Berührungspunkte mit selbstverwalteten Jugendzentren, mit Subkultur gab es erst mit Anfang 20, als wir nach Nürnberg gezogen sind – Nürnberg wohlgemerkt! – und Slime haben als Teenies im Hamburg der 80er angefangen. Natürlich stellen auch wir uns bei so einer Band vor, dass da jede Woche Straßenschlacht war wegen AKWs oder sonst was. Das ist einfach der Mythos.

Mich wundert es aber, wenn ihr bei Slime dieses Streetfighter-Image so weit wegdrückt. Allein eure Doku „Wenn der Himmel brennt“ aus den 90ern, die befeuert doch genau diesen Mythos massiv.

Christian: Die Band besteht natürlich aus unterschiedlichen Meinungen. Über diese Doku habe ich mich schon immer mit unserem ehemaligen Schlagzeuger Stephan Mahler in die Haare bekommen. Der hat sie damals zu seinem Schlusswort gemacht. Über gewisse Grundansichten herrscht bei Slime Konsens, in manchen Fällen wie in dieser Darstellung aber eben auch nicht.

Deutschland muss sterben

Punk ist ja eine Art Generationenvertrag. Wusstest ihr bei Slime eigentlich, dass Akne Kid Joe euch zitieren, in dem eben erwähnten Video über die AfD?

Matti: Nicht nur da. Wir haben einige Slime-Zitate und Anspielungen. In dem Video sieht man, dass wir lernen, einen Molotow-Cocktail zu bauen – da taucht dann, wie sollte es auch anders sein? – auf: „Ein Drittel Heizöl, zwei Drittel Benzin“.

Alex: Stimmt, das hatte ich gar nicht mehr als Zitat wahrgenommen.

Matti: Das ist ja die Sache mit Slime, eure Slogans sind mittlerweile schon in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. In unserem Stück „Stadt Land Fluss“ gibt es außerdem die Zeile „Boxen dröhnen Rachut, Pascow und Slime, ‚Deutschland verrecke‘, alle stimmen ein!“

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Seid ihr nicht auch schon kurz vor einem Rechtsstreit mit Slime?

Matti: Aktuell haben wir ein Video gemacht, da zitieren wir diese Geschichte, dass es einen rechten Shitstorm gab, weil ein Kameramann im ZDF einen Slime-Pullover trug. So eine Szene spielen wir im Clip nach — und über die Kopfhörer des Protagonisten hört man dann auch paar Takte von „Deutschland muss sterben“. Aber das ist noch nicht freigegeben von eurem Verlag…

Alex: Ach so, darauf läuft das hier hinaus!

Matti: Nee, es zeigt eher, dass man um Slime einfach nicht drumherum kommt, wenn man sich in der Punkszene verortet.

Das begegnet euch bei Slime sicher nicht zum ersten Mal. Wie lebt man damit, dass man immer diese Punk-Ikone verkörpern muss?

Alex: Letztens haben wir in Wiesbaden gespielt, da war so ein junger Typ, der den Laden aufgeschlossen hat, wir haben uns bisschen unterhalten, da sagt der auf einmal: „Und wiehält man sich so als Punklegende?“ Ey, ich hab mich total verarscht gefühlt und ihm darauf den letzten Quatsch erzählt, habe dann aber gemerkt, oh Gott, der meinte das einfach ernst.

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Hört ihr „privat“ Punk?

Christian: Ich zumindest nicht – und an dieser Frage lässt sich für mich übrigens auch der Hamburg-Mythos von vorhin demontieren. Anfang der 80er gab’s nichts, außer einer kleinen Punkszene von hundert Leuten aus dem Karo-Viertel — und nach einem Jahr dabei habe ich schon gedacht: ,Das ist doch hier jetzt eigentlich genau derselbe Scheiß wie der, vor dem ich geflohen bin.‘ Es gab Kleidungsvorschriften, du brauchtest eine Lederjacke und es war klar, wie viele Nieten da drauf sein müssen. Als ich dann bei Slime eingestiegen bin, habe ich mir die Haare lang wachsen lassen und ganz andere Musik gehört. Vieles von dem klassischen Punk finde ich schlicht langweilig – und habe mich zu anderen Genres verabschiedet. Dass ich dennoch immer wieder zu Slime zurückgefunden habe, liegt einzig an der Energie dieser Band.

Alex: Genau diesen Widerspruch der Charaktere spürt man auch bei Slime – und das macht sie interessant. Es gibt dagegen für mich nichts Langweiligeres, als wenn vier, fünf totale Punkfans sich treffen und ganz passgenau ihre Lieblingsmusik machen.

Matti: Das wäre für uns auch nichts. Aber wenn wir heute in ein AJZ kommen, dann steht da sowieso nicht ein Nietenkaiser mit Iro neben dem anderen. Da ist es vielleicht einfach offener. Am Abend spielen zwei Punkbands, aber danach wird die ganze Nacht noch Techno oder 80er-Pop aufgelegt.

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Alex: Ihr seid auch nicht die Band, die ausschließlich Stachelpunks anzieht, die euch dann vor die Bühne kotzen.

Matti: Viele Leute aus der Szene sehen in uns sicherlich bloß eine dumme Hipster-Truppe aus Sozialpädagogen.

Christian: So durchlässig war das zu unseren Zeiten nicht. Wenn man heute in das Alter kommt, sich selbst zu erfinden, anders sein zu wollen als die Eltern, dann hast du dagegen schon die ganze Palette an Schubladen und kannst dich bedienen.

Matti: Wäre es also denkbar, dass du, Alex, beim „Ruhrpott Rodeo“ auch eine HipHop-Band buchst? [Alex Schwers ist Macher des deutschlandweit größten Punkfestivals, des „Ruhrpott Rodeos“ — Anm.]

Alex: Ich habe jetzt Ho99o9 gebucht, kennt ihr die? Aber ansonsten natürlich, wenn man auf das Lineup guckt, das ist ein Punkfestival, machen wir uns nichts vor. Übrigens will ich seit Jahren die Einstürzenden Neubauten buchen, aber denen ist das zu spießig. Dabei sind die Neubauten doch selbst Spießer!

A.C.A.B.

Ist es ein Traumjob, seine Band 40 Jahre zu machen?

Alex: Es ist kein Job! Wir sind jetzt fünf Monate auf Tour, jedes Wochenende. Ich hätte heute auch im Bett bleiben können, das ist natürlich nicht immer geil, aber das ist doch kein Job! Wenn’s sich wie ein Job anfühlt, kann es kein Traum mehr sein.

Aber ist es nicht so, dass zumindest euer Sänger Dirk Jora davon lebt? Da muss man doch sagen können: Hobby zum Beruf gemacht.

Alex: Dirk hat tatsächlich keine anderen finanziellen Einkünfte als Slime. Er hat ein Auskommen davon, dass er in einer Band einfach nur er selbst ist. Ich weiß nicht, ob man dazu dann Job sagen sollte… Na ja, ach, wovon lebt ihr denn überhaupt?!

Matti: Wir müssen alle nebenher noch arbeiten. Sonst geht’s nicht.

Wenn man sich frisch zusammengefunden hat und hört: „40 Jahre in einer Band“, denkt man dann: „Toll, das will ich auch!“, oder doch eher: „Please kill me!“

Sarah: 40 Jahre ist halt einfach so krass. Wenn ich mir unsere Wochenenden anschaue, kann ich mir schwer vorstellen, dass wir das durchhalten würden, ohne zwischendurch zu sterben.

Alex: Wie lange gibt’s euch denn jetzt schon?

Matti: Zweieinhalb Jahre…

Sarah: Aber ich bin jetzt schon komplett fertig!

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Guter Punkt, wie schafft man es, so lange in einer Punkband zu überleben – das mit der Sauferei war bei Slime garantiert ein Ding auch noch abseits von Texten wie „1,7 Promille“?

Christian: Ich erinnere mich sehr gut an unsere Konzerte in Berlin, als die DDR noch existierte. Auf der Transitstrecke dorthin durfte man nur 60 Stundenkilometer fahren, so konnte die dortige Polizei schön Westgeld kassieren von den Transitreisenden, wenn sie auch nur 61 fuhren. Das hat den Weg nach Berlin sehr in die Länge gezogen. Wir saßen zu fünft im Auto, haben uns mit palettenweise Karlsquell eingedeckt – die Gitarren im Kofferraum und sonst nichts. Wenn wir dann vorm SO36 ankamen und die Türen ö‹ffneten, fielen erst mal unzählige Dosen raus und wir waren ziemlich betrunken.

Ist das wirklich Euer Tipp an junge Bands?

Alex: Wenn man das länger macht, lernt man, dass man nicht immer saufen muss. Aber man kann natürlich!

Matti: Wir haben ein Bandwohnmobil, das schafft zumindest 80 km/h.

Sarah: Aber weil wir ja alles immer von Nürnberg aus erreichen müssen, bleibt trotzdem viel Zeit zum Saufen. Was mich außerdem mal interessieren würde, ist, wie funktioniert eine Band mit wechselnden Leuten? Mir ging es so, als wir uns gegründet haben, da war mir klar, dass nur wir vier Akne Kid Joe sein können – und wenn einer aussteigt, ist die Band tot. Doch als dann gleich der Schlagzeuger wieder weg war, habe ich gecheckt, dass es wohl doch nicht so sein kann. Aber fühlt es sich für euch nicht komisch an mit neuen Leuten?

Christian: Nach einer gewissen Zeit erlebst du in einer Band etwas, das nicht mehr nur mit einem selbst zu tun hat. Man erschafft gemeinsam quasi eine weitere Person, die zwar bloß durch die Gruppe entsteht, die aber auch für sich steht. Wenn man an diesen Punkt gelangt, kann man auch jemanden ersetzen.

Alex: Eine Band zu gründen, das hat immer auch was davon, wenn man sich frisch verliebt. Aber dann reden wir drei Jahre später noch mal wieder, was und wer noch übrig ist.

Hat man am Anfang einer Band schon Sorge, dass sie am Ende eine GbR ist und nicht mehr die Gang von früher?

Sarah: Wir waren schon zehn Jahre vor der Band befreundet, das ist sicher ein Vorteil. Nur in die Freundschaft dringt jetzt viel davon ein, doch ohne diese Freundschaft wäre ich nicht dabei. Ich konnte nicht Gitarre spielen, als es losging, niemand anderes hätte mich daher für seine Band angefragt – außer meiner besten Freunde.

Legal / Illegal / Scheissegal

Hat sich das in der Punkszene mit den obligatorischen Soli-Konzerten über die Jahrzehnte geändert? Also diese Anfragen mit der Haltung „Gage? Ey, das Konzert ist gegen Nazis! Wie seid ihr denn drauf, dass ihr Geld wollt?!“

Alex: Ich mache das Booking und kann bei einer Band wie Slime sagen, ja, ich krieg jeden Tag solche Mails. Jedes Anti-Nazi-Dorffest hätte gern die passende Band – und wer fällt einem da ein? Genau.

Und du sagst immer zu?

Alex: (lacht) Immer! Wir müssen jetzt auch los. Aber Spaß beiseite, das geht eben einfach nicht, wir würden sonst 300 Konzerte im Jahr spielen — und den Sprit dafür noch selbst bezahlen. Man kann dennoch nicht erwarten, dass alle das gleich verstehen. Muss man halt erklären.

Sarah: Und verstehen sie das bei euch dann?

Alex: Meistens schon, viele werden aber auch pampig. Für die sind Slime ihre große Band, die sich immer nach vorne getan hat bei solchen Themen und dann könnten die doch jetzt nun wirklich auch mal zu deren Jugendzentrum kommen, wenn’s brennt oder Freibier gibt. Ist aber nicht möglich. Leider!

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Christian: Viele scheinen auch den Eindruck zu haben, wir würden nur auf solche Anfragen warten. Als säßen wir auf den Gitarrenkoffern, Nachricht kommt rein, „sag mal den anderen Bescheid!“ und los geht’s.

Matti: Aber als es anfing bei euch, da war doch schon das meiste Soli-Gigs?

Christian: Ja, stimmt. Ich gebe aber zu bedenken, dass wir zumindest in den ersten vier Jahren von Slime einfach null geschäftstüchtig waren. Wir kamen eben nur mit zwei Gitarren an, das heißt, der Rest – Bass, Schlagzeug, Verstärker – musste zusammengeliehen werden. Wir fuhren oft mit der Bahn und vor Ort stiegen wir um in den Käfer von der Mutter des Veranstalters. So lief das erst mal. Irgendwann nach paar Jahren spielten wir in einem besetzten Haus, es kamen wie schon länger zwei-, dreihundert Leute zu unserem Gig, es kostete vier Mark Eintritt — und plötzlich stand die Frage im Raum, wer verdient hier jetzt eigentlich Geld mit der Band? Wir waren es jedenfalls nicht. Dennoch war das eben unser Ding in dieser Zeit, es gab und gibt in der Punkszene Grundwerte, wofür man ist und wogegen — und das ist doch geil, wir mussten damals nicht von Musik leben, also sind wir rumgereist und haben einfach gespielt.

Sarah: Das ist ehrlich gesagt bei uns heute nicht anders. Wir fahren irgendwohin, bekommen 150 Euro und alles ist cool — bloß das Konto der Band permanent leer beziehungsweise im Minus.

Matti: Wir haben in den vergangenen zwei Jahren vielleicht 100 Konzerte gespielt und pumpen trotzdem ständig Kohle rein. Jetzt sind wir bei Audiolith im Booking, aber vorher haben wir das alles selbst gemacht und auch dreimal die Woche Konzertanfragen für Soli-Sachen gekriegt. Oft sind wir wirklich ab in den Bus und von Nürnberg aus 400 Kilometer wohin gegurkt. Das gehört dazu. Die Leute vor Ort im AZ zahlen sich ja auch keinen Stundenlohn aus.

Alex: Aber jetzt mit diesem Fokus auf euch und mit der Booking-Agentur fahrt ihr nicht mehr für 150 Euro umher?

Matti: Manchmal schon…

Sarah: Sag ihm das doch nicht, der kürzt uns die Gage!

Stimmt, für das „Ruhrpott Rodeo“ sind Akne Kid Joe ja auch gebucht!

Alex: Ja, ich hatte da aber bloß den Namen verwechselt und dachte: „Wow, die sind aber günstig!“

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Etikette tötet

Kann man sich als Band eigentlich dem unweigerlichen Vorwurf entziehen, man habe Punk verraten?

Sarah: Schwierig. Es gibt Leute, die das schon so sehen, sobald du jemanden hast, der dein Booking macht, was eben bei uns jetzt der Fall ist. Auch wenn’s nicht leicht fällt, muss man da einfach drüberstehen — oder es allen erklären.

Na, da hätte man aber viel zu tun. Obwohl nicht so viel wie Slime. Ihr seid doch der totale Sellout für jeden Hardliner, oder?

Alex: Natürlich. Bei Slime sind da im Vergleich größere Gagen im Gespräch. Aber wer das kritisiert, verkennt, dass bei uns garantiert keiner auch nur irgendwie reich wird mit dieser Band. Ich fnde es interessant, dass Leute mit der rosa Punkbrille schon bei Akne Kid Joe Punkverrat wittern. Bei Slime dagegen wundert das niemand.

Christian: Mit diesem Begriff Punkverrat kann ich wenig anfangen. Was soll denn da bloß immer verraten werden?

Kann man das also leicht abstreifen – negatives Feedback aus der eigenen Szene?

Alex: Nee, es ist nicht so, als würde mich das kalt lassen. Am liebsten würde ich jeden Einzelnen nehmen und ihm erklären, „so und so schaut das aus, hier ist mein Kontoauszug, jetzt sieh’ es doch ein! Kapitalismus findet woanders statt. Gönn’ mir doch mein kleines bescheidenes Leben!“ Doch da das nicht funktioniert, bleibt ja nur die Ableitung, dass du eben nicht jeden zum Freund haben kannst.

Matti: Wichtig ist uns, dass alles nachvollziehbar wächst. Wenn du von einem zum nächsten Jahr in eine Stadt kommst, in der du sonst immer im AZ gespielt hast und jetzt bist du im großen Scheißclub, forderst 15 Euro Eintritt, da hört’s einfach auf. Man muss es erst langsam aufbauen… bevor man dann den Punk restlos verrät. (lacht)

Alex: Da steckt schon viel Strategie in eurer Version des Punkverrats. Hut ab!

Dieser Artikel erschien erstmals im ME 04/20:

Thomas Rabsch