Tocotronic: Die schönste Nebensache der Welt


Das nächste Tocotronic-Album ist schon in der Mache. Bis dahin empfehlen sich die neuen Alben der Toco-Nebenprojekte Phantom/Ghost und Das Bierbeben.

Tocotronic-Manager Stephan Rath ist genervt. Häufen sich doch die Anfragen der Journalisten, die Dirk von Lowtzow und Jan Müller zu den neuen Alben ihren Nebenprojekte Phantom/Ghost und Das Bierbeben „in einem Aufwasch“ befragen wollen. Dabei wollen die sich damit ja vor allem absetzen von ihrer Hauptband. Dummerweise erscheinen THROWN OUT OF DRAMA SCHOOL und DAS BIERBEBEN fast gleichzeitig. Uns interessieren die Unterschiede. Deshalb befragen wir sie getrennt voneinander, spaßeshalber in der gleichen Hotel-Lobby, mit ein paar Tagen dazwischen. Von Lowtzow und Thies Mynther (Stella, Superpunk) haben auf ihrem vierten Album in elf Jahren nicht nur einen Rausschmiss im Titel, sondern auch selbst etwas rausgeschmissen: die Elektronik. Jan Müller (Texte und Bass), Julia Wilton (Gesang), Rasmus Engler (Gitarre) und Alexander Tsitsigias (Drums) alias Das Bierbeben machen immer noch krachigen Elektro-Punk – aber mit persönlicheren Texten als bei den beiden Alben zuvor. Das Ergebnis könnte also unterschiedlicher nicht sein – die Haltung aber ähnelt sich. Man macht Dinge, die „die anderen Typen in der Band nicht interessieren‘, so von Lowtzow. Auch, wenn man sich dabei überwinden muss. „Diese Platte ist mit Sicherheit eine, die Thies und mich total überfordert hat. Sie ist an der Grenze dessen, was wir können“, sagt von Lowtzow. Sein englischer Gesang wird allein von Mynthers Klavierspiel getragen.

„Wir waren hei jeder Platte darauf erpicht, in ein gewisses Regelwerk einzutauchen. Wenn man sich jetzt Dogma-mäßig auf das Klavier beschränkt, ist das spannend — diese Armut kann frei machen“, sagt von Lowtzow. Dennoch klingen die neun Stücke nicht spartanisch. Besonders Songs wie „All Manner Of Things“ und das auf dem Refrain von Slades „My Oh My“ aufgebaute „The Process (after Brion Gysin)“ betören durch Virtuosität und Vcrspieltheit. Als man Scott Walker erwähnt, rudern beide jedoch zurück. „Das müsste dann schon ein Scott Walker sein, der mit Hape Kerkeling gekreuzt wird“, sagt von Lowtzow, „wir sind viel scharlatanhafter.“

Blaine it on the Musicals, wie Mynther erzählt: „Ich habe mich zweiJahre fast schon obsessiv mit der Musical-Geschichte beschäftigt. In Deutschland ist das ja alles Käse. Aber Leute wie Stephen Sondheim oder Stephin Merritt von The Magnetic Fields machen da ganz tolle Sachen.“ Live schätzen beide die konzentrierte Atmosphäre, bei der man „jeden Huster hört“ (DvL) -auch, weil sie so ganz anders ist als bei den Hauptbands der zwei: „Das Setting Klavier und Gesang hat im Gegensatz zum Rockkonzert etwas sehr Theatralisches. Kleine Gesten bekommen eine große Bedeutung“, sagt von Lowtzow. Auch Jan Müller reizt vor allem der Ausbruch aus der Routine.

„Wir haben uns bei Tocotronic ja ganz bewusst auf das Format Rockband limitiert“, so Müller, „und es wäre ja langweilig, wenn das Nebenprojekt so klingtwie die Hauptband. „Und so hören sich Das Bierbeben nicht nur vom Namen nach wie 80er-Jahre-Deutsch-Punker an, sie orientieren sich auch an Bands wie Abwärts und Cotzbrocken und deren politischen Aussagen. Bislang skandierte Sängerin Julia Wilton plakative Parolen wie „Mach deinen Fernseher kaputt!“. Dieses Mal sind Müllers Texte intimer und düsterer ausgefallen: „Ich war mit Schicksalsschlägen und Todesfällen konfrontiert. Es war gar nicht anders machbar, persönlicher zu werden“, sagt der Bassist, der interessanterweise die gleiche Getränke-Kombi (Cola und Kaffee) wie Tage zuvor von Lowtzow bestellt. Fehlt nur noch, dass Arne Zank und Rick McPhail vorbeischneien und vielleicht im Gegensatz zu ihren Kollegen mehr über das neue Tocotronic-Album preisgeben. Fest steht: Die Hälfte der Songs ist schon arrangiert, es wird fleißig geprobt, ab Juni geht’s ins Studio. Aber die Ledersessel bleiben leer. Vielleicht sind die zwei gerade mal wieder als Tocotronic DJ-Team unterwegs, oder Rick probt mit seiner Nebenband Glacier. Arne Zank hat zudem gerade Comics im Web veröffentlicht (http://dievoegel.blog.de), dieer einst für ein Stadtmagazin gezeichnet hat: Die Stars seiner Schwarz-Weiß-Skizzen namens „Die Vögel“ sind rundliche Ast-Akrobaten, die in prägnanten Sätzen den Alltag kommentieren. Denn eines haben sie trotz aller Unterschiede alle gemein, die Tocos: Humor.

Albumkritiken S. 82 und S. 68

www.myspace.com/phantomandghost

www.bierbeben.de