Tocotronic: Dirk von Lowtzow über Hörgewohnheiten


Tocotronic haben den neuesten Beitrag der Compilation - Reihe POP PORTRAIT gestaltet. Sänger Dirk von Lowtzow über die Freuden und Leiden des Musikhörens.

Dumme Frage: Warum habt ihr euch an der Reihe POP PORTRAIT beteiligt?

Es wurde uns angeboten. Wir lehnen ja immer relativ viel ab, aber in dem Fall konnten wir keinen Grund finden, es nicht zu tun. Deshalb haben wir diese „sehr schwere Aufgabe“ angenommen. Es hat auch Spaß gemacht, das zusammenzustellen. Wir haben uns hingesetzt, und jeder hat sich ein paar Stücke ausgedacht. Das Schwierigste dürfte es gewesen sein, die Rechte zu klären. Ein Grund übrigens, warum einige Stücke, die wir ausgewählt haben, gar nicht auf die Compilation gekommen sind, weil die betreffenden Künstler grundsätzlich keine Songs für Compilations freigeben.

So wie Tocotronic?

Genau. Ich kann’s denen nicht verübeln. Arne Zank wollte einen Song von Barbra Streisand nehmen, das ist aber nicht zu bekommen. Dann wollten wir „The Ocean“ von Neil Young haben, ein Stück, das wir genial finden. Aber Neil Young gibt grundsätzlich keine Songs für Compilations her.

Bis auf die Tocotronic-Version von DJ Pierres „Muzik“ wurden die Songs auf POP PORTRAIT von einzelnen Bandmitgliedern ausgewählt. Gibt es so was wie einen kleinsten gemeinsamen Geschmacksnenner bei Tocotronic?

Das ist schwer zu beantworten. Wir sind alle vier relativ breit gefächert in unserem Musikgeschmack. Es gibt kein Stück von denen, die ich nicht ausgewählt habe, das ich schlecht finde. Ich glaube, das gilt auch für Jan, Rick und Arne. Da gibt es eine ziemlich große Schnittmenge. Wir sind uns da so einig wie in den Dingen, die wir verabscheuen.

Bob Dylan zum Beispiel.

Bob Dylan ist mit Sicherheit ein total zu respektierender Künstler. Aber seine Musik sagt mir von ihrer ganzen Anlage her nicht besonders viel. Im Gegensatz zu der von Neil Young, der vielleicht vergleichsweise oft viel dämlicher daherkommt, seine Musik berührt mich aber irgendwie. Mir ist Dylan zu autoritär, im Sinne von zu autorenfixiert.

Sind die Songs auf pop portrait eher Lieblingslieder, oder sollen sie musikalische Einflüsse offenlegen? Oder beides?

Ich würde sagen beides. Grundsätzlich muss man sagen: Das Schwierige an dieser Zusammenstellung war, dass wir uns einig sind, Lieblingslisten der Art s. „Die hundert besten…“ nicht zu mögen. Nur weil man halbwegs prominent oder semiprominent oder viertelprominent ist, seine Vorlieben und Abneigungen durch solche Listen öffentlich machen zu müssen, finden wir alle ziemlich scheußlich. Das lehnen wir ab. Wir wollten etwas machen, das nicht nur einfach bestimmte Vorlieben ausstellt, sondern wozu wir auch eine bestimmte Geschichte in Bezug auf die Band erzählen können. Insofern ist es beides, es sind Lieblingslieder, aber auch Sachen, die jeden Einzelnen von uns unmittelbar beeinflusst haben.

Die Plattensammlung als Ausweis der Coolness, als Mittel zum Distinktionsgewinn – bist du aus dem Alter raus, in dem das wichtig ist?

Ja, sehr. Das ist genau der Aspekt am Musikfanatikertum, der mich seit jeher total abgestoßen hat. Das ist mir zu kleingartenmäßig, das ist eine typische männliche Tätigkeit, mit der ich mich überhaupt nicht identifizieren kann. Auch das Glorifizieren des gemeinsamen Musikhörens und dann Epiphanie-gleiche Momente haben, das finde ich eigentlich widerlich. Das hat auch etwas fürchterlich Sentimentalistisches: Weißt du noch, damals? Mir ist das irgendwie zu jungsmäßig. Ich höre Musik eher wie ein Mädchen. Ich habe ein Lieblingslied, das ich achthundert Mal höre und dann in die Ecke schmeiße.

Hörst du Musik heute noch mit dergleichen Begeisterung wie als Teenager?

Ich höre wesentlich weniger Musik, dann aber konzentrierter und auch mit der gleichen Begeisterung. Es begeistert mich nur deutlich weniger Musik als damals.

Liegt das an der Musik, oder liegt das an dir?

Da bin ich mir nicht ganz sicher. Ich glaube, es liegt an der Musik. Ich höre Musik nicht mehr aktualitätsbezogen. Ich kann mich für Sachen begeistern, die uralt sind, die ich aber gerade entdecke oder wiederentdecke. Am aktuellen Musikgeschehen nehme ich nicht so teil. Aber es gibt noch solche Momente. Ich fand „Blind“ von Hercules And Love Affair, vor allem in Verbindung mit dem Video, fantastisch. Wenn man selber künstlerisch auf dem Gebiet der Musik tätig ist, ist man manchmal auch ganz froh, gar keine Musik zu hören. Das will ich nicht verhehlen. Ich kann nur für mich reden, ich glaube, den anderen bei Tocotronic geht’s anders.

Wie hörst du Musik? LP, CD, MP3-Player?

CD. Ich bin hoffnungslos veraltet, ich kann das gar nicht anders.

Hast du als Künstler eine andere Art, Musik zu hören?

Ich befürchte fast. Und das vermiest einem ja auch den Spaß an der Sache ein bisschen. Das ist eine Berufskrankheit. Damit hängt es bestimmt auch zusammen, dass ich deutlich weniger Musik höre. Man findet dann so viel so schlecht und kann es nicht ertragen. Das klingt überheblicher, als es ist. Ich glaube, Leuten, die Filme machen, und bildenden Künstlern geht es sehr ähnlich. Das ist etwas, was ich in meinem gesamten Bekanntenkreis feststelle – Leute, die sich mit unterschiedlichen Kulturtechniken beschäftigen. Je länger man die Sachen selber macht, desto schwieriger wird es, ganz unbefangen andere Sachen zu hören. Aber ich kann nicht beurteilen, ob es daran liegt, dass die ganze zeitgenössische Musik so schlecht ist, oder ob es daran liegt, dass man subjektiv innerlich verhärtet. Kennst du das nicht selber auch?

Doch. Das ist eine Mischung aus beidem. Ich glaube, dass sich der Anteil der schlechten Musik in den letzten Jahrzehnten nicht vergrößert hat, es gibt allerdings viel mehr Musik, also auch viel mehr schlechte Musik.

Da ist was Wahres dran. Man kann schon sagen, es gibt einfach ein Vielfaches mehr an Musik heutzutage, als es Mitte der 80er gab. Und deshalb hat man den Eindruck, es ist alles so fürcherlich.

Gibt es Bands, die dich dein ganzes musikhörendes Leben lang begleitet haben?

Es ist schon vorgekommen, dass ich Sachen eine Zeit lang ganz intensiv gehört habe und dann nicht mehr. Es gibt aber auch Bands, die mich seitdem ich Musik höre begleitet haben. Ich habe gerade die DVD-Dokumentation „Ghosts On The Highway“ über The Gun Club gesehen. Diese Band kenne ich, seit ich 15 bin, und bewundere sie bis heute zutiefst. Ich habe diese Dokumentation gesehen und danach wieder die alten Platten gehört.

Rick McPhail schreibt in den Linernotes zu pop portrait, Sonic Youth habe sein Leben verändert. Gibt es eine Band, die dein Leben verändert hat?

Nicht eine Band, aber ein gutes Dutzend, wie The Gun Club, The Fall, Sonic Youth, Hüsker Dü, The Smiths, Feit – Sachen, die ich in den 8oern mitbekommen habe, als ich angefangen habe, mich für Musik zu interessieren. „Mein Leben verändert“ klingt mir persönlich zu pathetisch, weil ich nicht weiß, was passiert wäre, hätte ich diese Bands nicht gehört. Auf jeden Fall haben sie zu dem Zeitpunkt, als ich sie entdeckt habe, auf mich sehr großen Eindruck gemacht, einfach weil sie eine sehr radikal andere Art des Denkens und des sich selber Zurschaustellens propagiert haben. Das waren alles Bands, die eine sehr neuartige und interessante Form der Selbstdarstellung gepflegt haben. Gerade wenn ich an Jeffrey Lee Pierce von The Gun Club denke, der eine wahnsinnig flamboyante Erscheinung war, extrem effeminiert in seiner Art, gleichzeitig trug er diese martialische Militärkleidung. Es hat mich als Teenager zutiefst beeindruckt, wie jemand sich so inszenieren kann. Das hat bestimmt – wenn schon nicht mein Leben verändert – einen sehr großen Einfluss auf meine Persönlichkeit gehabt, wie bestimmte Bücher, die ich gelesen habe, oder Filme, die ich gesehen habe. Man ist in dieser Zeit bestimmt sehr prägsam.

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Albumkritik S.101