„Tote Mädchen lügen nicht“: Warum auch die 3. Staffel des Teenie-Dramas höchst problematisch ist


Wirre Erzählstrukturen, ein deplatziert wirkender Neuzugang und schwer nachvollziehbare Entscheidungen: Auch die 3. Staffel „Tote Mädchen lügen nicht“ scheitert an ihren eigenen Ambitionen. Achtung: Spoiler!

Gerade erst hat sich Netflix nach einer jahrelang anhaltenden Diskussion über die Darstellung des Suizids seiner Protagonistin in „Tote Mädchen lügen nicht“ dazu entschieden, die explizite Szene komplett umzuschneiden. Auch die zweite Staffel bot mit dem Angriff auf Außenseiter Tyler Down eine so gewalttätige Szene, dass diese für viele Zuschauer nur schwer auszuhalten war. Die nun erschienene dritte Staffel verzichtet nicht nur auf solcherlei Schockmomente, sondern schlägt selbst genremäßig eine komplett andere Richtung ein als ihre Vorgänger — leider nicht immer zu ihrem Vorteil.

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Der dritte Teil der dramatischen Teenie-Saga beginnt wie eine klassische „Whodunnit“-Detektivgeschichte zunächst mit der Suche nach dem verschollenen Serienvergewaltiger Bryce Walker selbst. Nachdem jedoch recht schnell feststeht, dass Bryce offensichtlich durch Fremdeinwirkung das Zeitliche segnen musste, ranken sich die restlichen Folgen überwiegend um das Rätsel, wer dazu in der Lage gewesen sein könnte, einen Mord zu begehen — denn ein Motiv hätte jeder einzelne der heranwachsenden „Liberty High“-Besucher gehabt.

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Viele Handlungsstränge ohne klare Timeline

Wer also dachte, die Handlung setze direkt nach dem verhängnisvollen Schulball ein, während dem das personifizierte Helfersyndrom Clay den bis auf die Zähne bewaffneten Tyler spontan dazu überreden konnte, seinen Amoklauf doch noch mal zu überdenken, der hat sich geirrt. Was jedoch nicht bedeutet, dass sich Brian Yorkey und Co. im Laufe der insgesamt 13 Episoden nicht auch an diesem Thema immer wieder abarbeiten würden.

Dass Tyler sich hier in der Gegenwart befindet, erkennt der Zuschauer an den kühlen Farben und der veränderten Bildgröße.

Womit wir schon bei der ersten großen Schwäche der neuen Folgen wären: die fast willkürlich erscheinende Anordnung verschiedener Szenen aus Gegenwart und Vergangenheit. Die lassen sich zwar durch die beiden extra hierfür gewählten Unterschiede in Bildfarbe und -größe ohne weiteres voneinander unterscheiden. Allerdings werden diese innerhalb ihres eigenen Zeitrahmens so wild durcheinander geworfen, dass es teilweise schwer fällt, eine klare Timeline zu erkennen.

Wer ist Ani?

Die Rolle der Erzählerin übernimmt nach dem abgeschlossenen Kapitel Hannah Bakers nun Neuzugang Ani, deren Mutter als Haushaltshilfe für die Walker-Familie arbeitet. Viele Fans der Serie haben ihrem Missfallen über diese Veränderung auf Twitter und Co. bereits (zu Recht) ausgiebig Ausdruck verliehen. Zum einen, weil der Zuschauer zumindest am Anfang keinerlei Beziehung zu Ani hat. Zum anderen, weil die impulsiven Entscheidungen der neuen Schülerin sie auch im Laufe der Handlung nicht nahbarer machen.

Die neue Erzählerin Ani scheint nicht bei jedem Zuschauer gut anzukommen.

Generell wirkt es deplatziert, eine völlig fremde Person, deren Vergangenheit — vielleicht in der Hoffnung auf eine vierte Staffel— nicht mal angeschnitten wird, als essenziellen Mitspieler ins Geschehen zu werfen und ihn schließlich sogar stellvertretend für den eingeschworenen Freundeskreis eine weitreichende, kollektive Entscheidung treffen zu lassen. Vor allem ist es jedoch Anis Beziehung zu Bryce, die dem Zuschauer wenig nachvollziehbar erscheint, auch wenn sich die Serienmacher die größte Mühe geben, den Bösewicht der Serie diesmal mit einer humaneren Seite auszustatten.

Trotzdem scheint man aus vergangenen Fehlern gelernt zu haben

Immerhin zeigt „Tote Mädchen lügen nicht“ dann doch noch ein wenig von dem, was seine erste Staffel zu einem generellen Publikumserfolg gemacht hat: die Fähigkeit, Diskussionen anzustoßen und kontroverse Fragen zu stellen. Was genau macht Männlichkeit aus? Werden wir mit Grausamkeit geboren oder dazu erzogen? Wie viel Empathie darf man für einen Serienvergewaltiger zeigen? Und wie viel Selbstreflexion darf man von diesem erwarten?

Wie viel Empathie darf man für einen Serienvergewaltiger empfinden?

Eine weitere Stärke der Serie zeigt sich — und hier scheint man tatsächlich aus vorangegangenen Fehlern gelernt zu haben — in ihrem Umgang mit Situationen, die Feingefühl erfordern. So beispielsweise als Tyler, großartig gespielt von Devin Druid, endlich die notwendige Kraft dazu aufbringt, sich Clay anzuvertrauen und so den ersten wirklichen Schritt in Richtung Genesung zu wagen.

Ende gut, gar nichts gut

Das Ende der Staffel soll vermutlich als cleverer Plot Twist daherkommen, ergibt nur leider überhaupt keinen Sinn. Von allen verdächtigen Teenagern entpuppt sich schließlich derjenige als Mörder, der am wenigsten einen Grund für solch eine Tat hätte. Und auch Anis „genialer“ Plan, der die Schüler allesamt relativ ungeschoren davonkommen lässt, wirkt mehr bequem als gut durchdacht.

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Am problematischsten ist wohl aber die Tatsache, dass heranwachsende Zuschauer trotz all der nötigen Denkanstöße in ihren Interpretationsbemühungen auf sich allein gestellt bleiben. So wird beispielsweise der Eindruck vermittelt, ein potentieller Amokläufer wie Tyler könne allein durch das aufopferungsvolle Engagement seiner Freunde (und ein paar wenige Gespräche mit der Schulpädagogin) vollständig rehabilitiert werden.

Monty hingegen scheint allein durch seine unterdrückte Homosexualität und einen gewalttätigen Vater zum reuelosen Monster geworden zu sein. Dabei hätte man der Galionsfigur für „Toxic Masculinity“ durch das Streichen einiger Ani-Tyler-Szenen, die sich ohnehin nur im Kreis drehen, genau jene Facetten ermöglichen können, die notwendig gewesen wären, um seine Entwicklung nachvollziehbar zu machen.

Der Stoff, aus dem Cliffhanger gemacht sind.

Dass die Serienmacher dennoch mit einer vierten Staffel rechnen, zeigen die Cliffhanger, die sie in die abschließenden Szenen gepackt haben. So werden nicht nur Tylers Waffen samt inkriminierendem Inhalt doch noch aus dem Wasser gefischt (passenderweise von einem Boot mit dem Namen „Predator“), auch Ani sieht sich plötzlich mit einer Person konfrontiert, die ihr gesamtes Lügengebilde mir nichts, dir nichts auffliegen lassen könnte. Ob sie deswegen in einer potentiellen vierten Staffel erneut die Erzählerrolle übernehmen wird? Unwahrscheinlich.

Was Yungblud von „Tote Mädchen lügen nicht“ hält

https://youtu.be/cRTDCPmSAts

Die dritte Staffel „Tote Mädchen lügen nicht“ steht seit dem 23. August 2019 auf Netflix im Stream zur Verfügung.

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