Trihoppige LoFi-Styles mit Funkmetal-Touch?


Im Stil-lrrgarten der 90er.

Ca. 1996 starteten der Kollege Koch und ich einen kühnen Versuch: Es musste doch möglich sein, in der Fachwelt einen Begriff für das unserer Auffassung nach unzureichend etikettierte Feld zwischen Post-Rock, Avant-Pop und Drone zu etablieren. Ständig gab es neue Unterbegriffe für alles mögliche, und irgendwo mussten die ja herkommen. Also wollten wir jetzt auch mal einen prägen. Wir dachten uns, „Bronfe“ (sprich: Bronf) könnte doch ein schöner Name für diese Musik sein und ließen ihn in der Folge ab und zu in Rezensionen etc. einfließen. Kein Jahrzehnt vor ihnen hat so eine Masse an Bezeichnungen für musikalische Genres, Sub-Genres, Strömungen, Stilrichtungen oder gar Bewegungen hervorgebracht wie die 90er. Angesichts einer galoppierenden Diversifikation der Stile, die sich weniger als je zuvor um Genre-Grenzen scherte – „Crossover“ war das große Schlüsselwort dieser Dekade – schien ständiger Bedarf an neuen Termini zu herrschen. Während es aus den gleichen Gründen immer absurder wurde, Musik weiterhin übersichtlich in Schubladen packen zu wollen. Früher war alles viel einfacher gewesen. Anfang der60er gab’s- mal unzulässig vereinfacht gesagt – Beat und Rock’n’Roll, Rhythm’n’Blues und Soul und ein paar Zerquetschte, und diese Ausdrücke waren irgendwie griffig mit Sinn und einem Sound erfüllt.

Die Musikhörer und -beschreiber der 90er hangelten sich fast ausschließlich an Worthülsen entlang, mit denen die Musiker, denen sie aufgepappt wurden, in den seltensten Fällen etwas zu tun haben wollten. Drei der dominierenden Begriffe der Dekade waren Grunge, Britpop und die Hamburger Schule. Man wird keine Band, die der Rede wert wäre, finden, die sich freiwillig einem dieser „Stile“ zurechnen würde. Die Schubladenaufschriften dienten vor allem den Konsumenten und Vermarktern der Musik als Codes. Als solcher funktionierte auch „Bronfe“ gut, wenn auch nur im Hausgebrauch. Die Fachwelt wollte von unserer Schöpfung letztlich nichts wissen, aber wenn wir uns gegenseitig eine Platte als „bronfy“ beschrieben, wusste der andere, was gemeint war. War Bronfe zu abstrakt gewesen? Was war denn dann bitte mit „Grunge“? Die Wortbedeutung – Zottel, schäbig – verwies auf das Erscheinungsbild vieler Protagonisten des „Sound Of Seattle“ und ihre „dreckige“ Art, die Rockgitarre zu bedienen, das war’s. Die zu ihrem Leidwesen so genannten „Grunger“ hätten sich wohl auf Hardrock, Psychedelic Rock oder einfach Punkrock verständigen können. Mit der „Grunge Explosion“ trat 15 Jahre nach seinen Urständen Punkrock in den Mainstream ein, je nach Beimengung von Senriraent, Attitüde und Zusatzstoffen mit einem ganzen Strauß von Sülrichtungs-Etiketten versehen: Ska-Punk, Surfpunk, Pop-Punk, Skater-Punk, Powerpop, Emo etc.pp. Und wenn es Frauen waren, die da so wild punkten, war der Aufkleber Riot Grrrl zur Hand.

Mit Punk wurde auch dessen Do-lt-Yourself-Ästhetik salon- bzw. supermarktfähig, und über enge UndergroundZirkel hinaus setzte sich die Erkenntnis durch, dass in „home recording“ (ein 90s-Zauberwort) erstellte LoFifnoch eines – Musik nicht zwangsläufig weniger wert sein musste als eine Dire-Straits-Produktion.

Am anderen Ende des Spektrums standen die Metaller, die jetzt Funk-Breaks, Samples, Sprechgesang oder Industrial-Lärm zwischen ihre Riffs hackten. Weswegen das dann Funkmetal, Rapmetal oder lndustrial Metal hieß. Oder eben -der Begriff verengte sich – Crossover. Später wurde NuMetal daraus, worüber bald keiner mehr froh war. Für den ganzen Komplex gab’s den Überbegriff „Alternative Rock“, kurz „Alt.-Rock“ oder einfach „Alternative“. Ein Begriff, der mit jedem Tag, den sein Subjekt auf dem Markt den „herkömmlichen“ Rock ein Stück weiter verdrängte, an Sinn verlor. Bis etwa Jon Bon Jovi sich gegen Mitte der Dekade zu der Feststellung veranlasst sah, er und seine 8oer-Stadionrock-Spezis seien doch wohl mittlerweile als die Alternative zum dominierenden Rock-Mainstream anzusehen. Auch Country wurde alternative in den goern. Unter dem Etikett „No Depression“-nach dem Debüt-Album von Uncle Tupelo – hatte man zunächst eine piefigem Traditionalismus abholde, dafür vom Punk beseelte neue Generation von countryrockenden Bands verhandelt. Bald wurde Alternative Country bzw. Alt.Country daraus (nicht zu verwechseln mit dem New Country von Garth Brooks und Konsorten).

Alternativen taten sich auch in der elektronischen bzw. Dancemusic auf. Während die Masse zu – folgt man der Logik der Begriffe – dümmlichen Sounds wie Goa, Gabber, Trance, Hardhouse etc. tanzte, frickelten Avantgardisten etwa des Warp-Labels an einer Art Prog-Elektronik, die unter dem ridikulös elitären, wohl primär aus Begriffsfindungsnot geborenen Rubrum „Intelligent Techno“ firmierte. Im Zentrum stand/steht der Breakbeat (im Gegensatz zum ungebrochenen, geraden Beat) mit dem Drum & Bass (vormals Jungle), einer der wenigen genuinen Pop-Stile der letzten Jahrezehnte, Feuilletons und Tanzböden gleichermaßen beglückte. Dann rührten DJs und Produzenten Rock-Wucht in die schlitternden Rhythmen und der Big Beat überrollte die Charts. Ein solches Crossover-Kind war auch die Stilströmung mit dem kalauernden Etikett „TripHop“, das zu einem der eindrücklichsten der Dekade wurde. Triphoppige Styles wurden immer dann verortet, wenn verschleppt-verspulte Hip-Hop-Beats für, ahm, loungige Atmosphäre sorgten. Loungig? So gemütlich eben, wie wenn man in der Lounge sitzt und da geschmackvoller Souljazz läuft. Zum Beispiel. Oder Easy Listening, einer der großen Retro-Trends in den 90ern (mal abgesehen vom Alternative Rock). Und Souljazz? Und Downbeat? Und Gangsta Rap? G-Funk? Und TwoStep und Garage und Baggy und Shoegazer? Ja, die gab’s auch. Und vieltausend Begriffe mehr. Und dazu noch die, die Sie sich selbst ausgedacht haben. Die babylonische Verwirrung geht weiter.