TRIP ADVISOR


PSYCHEDELIA KENNT VIELE FORMEN UND FACETTEN. WELCHEN EINFLUSS ZEITGESCHEHEN UND DROGEN HEUTE WIE DAMALS AUF DIE MUSIK HATTEN, ERKLÄRT UNSER ESSAY S. 30. DASS PSYCHEDELIC ROCK IM JAHR 2013 IMMER NOCH FUNKTIONIERT, ZEIGT DAS NEUE ALBUM VON MGMT S. 34. ZUDEM VERRÄT PRODUZENT DAVE FRIDMANN DIE ERFOLGSFORMEL DER NEW YORKER BAND S. 38, GEFOLGT VON DEN 30 BESTEN PSYCHEDELISCHEN PLATTEN S. 40. ZUM SCHLUSS DIE WEGBEREITER DES GANZEN: ME-HELDEN PINK FLOYD. S. 46

WIR WÜNSCHEN EINE ANGENEHME REISE

„Let’s Take A Trip“ empfahl 1965 der US-Exzentriker Kim Fowley, und kurz darauf ging die Popmusik tatsächlich auf psychedelische Expedition. Der Weg mag heute ein anderer sein, das Ziel ebenfalls, doch ein Ende ist noch immer nicht abzusehen.

Das Showbusiness, der alte Sündenpfuhl. Und dann noch diese Musiker. Ein Berufsstand, in dem Rauschmittel vermutlich traditionell verbreiteter sind als etwa unter Erdkundelehrern oder – hoffentlich – Berufspiloten. Jazzschlagzeuger Gene Krupa saß schon in den 40ern wegen Marihuanabesitzes im Knast, Trompeter Chet Baker konnte nicht von der Nadel lassen. Doch der Stoff, der die psychedelische Musik befeuerte, war ein ganz anderer: Lysergsäurediethylamid-25, vulgo LSD. Erstmals 1938 vom Chemiker Albert Hofmann zu medizinischen Zwecken hergestellt, entwickelte es sich Mitte der 60er-Jahre zur Modedroge. Zum einen, weil Wissenschaftler – der bekannteste unter ihnen war sicherlich der Harvard-Psychologe Dr. Timothy Leary – dem LSD bewusstseinserweiternde Qualitäten zuschrieben und diese propagierten: eins werden mit dem Universum, die Grenze zwischen Innen und Außen überwinden, spirituell reifen. Zum anderen, weil die Jugend der westlichen Wohlstandsgesellschaften zwanzig Jahre nach dem Krieg offen war für allerlei Experimente, vor denen ihre Eltern immer gewarnt hatten.

In der zeitgenössischen Musikwelt fiel die Saat natürlich auf besonders fruchtbaren Boden, zumal LSD in den USA bis 1966 legal war. Beatmusiker, die vormals Speed und Alkohol verschnabulierten, um auf Betriebstemperatur zu kommen, wechselten zu Acid und Marihuana. Mit deutlichen Folgen, wahrnehmbar zumindest für „Heads“, die all die textlichen Anspielungen verstanden. Wenn eine Band, die auch noch The Smoke hieß, „my friend Jack eats sugar lumps“ sang, und „he’s been travelling everywhere“, dann klang das für Naivlinge anno ’66 nach Süßkram und Tourismus. Für Insider war die Sache natürlich klar: LSD, serviert auf Zuckerwürfeln. Mitunter richtig kryptisch gab sich um 1965 Bob Dylan, bei dem man allerdings nie so recht wusste, ob das nun drogeninduziert war oder eben doch nur Ausdruck seines lyrischen Genies. Im fernen Kalifornien hatte man jedenfalls ein psychedelisches Hippie-Gesamtpaket geschnürt, die Zutaten waren Space-Age-Futurismen, fernöstliche Erleuchtungstheorien, halluzinogene Drogen und – eigentlich erschreckend bodenständige Folk Music, ausgeweitet zu ellenlangen Jams. Zwei Jahre zuvor hatten Mitglieder der Grateful Dead eben noch in rustikalen Jug-Bands gespielt, und so ganz wollten sie ihre Herkunft wohl nicht verleugnen. Da mussten schon die damals in Pop-Dingen führenden Briten kommen, namentlich The Beatles, um Dylan-Surrealismus, tibetanisches Totenbuch, LSD und brandneue Studiogimmicks zu einem Track wie „Tomorrow Never Knows“ zu verschmelzen, der mit seinen Tape-Loops 1966 gängige Hörgewohnheiten auf die harte Probe stellte. Selbst urbritische Rock’n’Roll-Rabauken wie die Rolling Stones und The Who ließen Bänder rückwärts laufen und den Ur-Sampler namens Mellotron wimmern, während sie über „2000 Light Years From Home“ oder „Armenia City In The Sky“ sinnierten. Far out!

Und die Amerikaner? Erfanden psychedelisch blubbernde Lightshows, lauschten Iron Butterflys 17-minütiger Rocksause „In-A-Gadda-Da-Vida“ und kauften Jefferson Airplanes Drogenverherrlichungsnummer „White Rabbit“ auf Platz 8 der Charts: „One pill makes you larger, and one pill makes you small …“

Psychedelische Cover- und Plakatkunst, abgeleitet aus der Pop Art, aber mit einer guten Portion Jugendstil-Historismus verfeinert, sorgte für den zeitgeistigen Look, und auch modisch tat sich Eigenartiges: Londoner Hipster deckten sich in der Portobello Road mit Rüschenhemden, Schlapphüten, Samthosen und uralten Uniformjacken ein, kalifornische Hipster banden sich ein Stirnband um, zogen den Kaftan aus und tanzten nackt im Park. Ihre Eltern verstanden die Welt nicht mehr.

Keine wirkliche Überraschung: Weil Psychedelic 1967 hot shit war, gab es natürlich auch jede Menge Nachahmer und Fakes – Top-40-Tanzkapellen, die jetzt bunte Hemden trugen und von kosmischer Liebe säuselten. Die Industrie war eben schon damals reaktionsschnell. Was aber auch sein Gutes haben konnte: Eine in höchstem Maße eigenartige Band wie Syd Barretts Pink Floyd unter Vertrag zu nehmen, das zeugte von Mut. Die spielten nämlich gerne mal mit dem Rücken zum Publikum, um die Lightshow besser zu sehen, improvisierten abendfüllend mit Musique concrète und sangen von Einhörnern, Fahrrädern und einem Crossdresser namens „Arnold Layne“. Psychedelic, the next generation.

Und die war um einiges radikaler, ließ klassische Popsong-Strukturen mitunter einfach weg und experimentierte recht bald mit neuesten Errungenschaften wie dem Synthesizer, natürlich bei voller Ausnutzung des Stereopanoramas. Head Music, die je nach Talent der Urheber ein kosmisches Hörerlebnis sein konnte oder eben auch fürchterlich einschläfernd. Für COTTONWOODHILL, das Debütalbum der belgisch-deutsch-schweizerischen Band Brainticket, muss man definitiv in der richtigen Stimmung sein. Auf dem Cover prangte der Warnhinweis, man solle die Platte höchstens einmal täglich hören, um Hirnschädigungen zu vermeiden. Zudem solle man sie nicht abspielen, wenn Personen zugegen sind, mit denen man auch weiterhin befreundet sein möchte. Ein Spaß. Aber in vielen Ländern durfte sie nicht verkauft werden, etwa in den USA. Auch schön spooky: die ersten Werke der Berliner Tangerine Dream, Vorboten der „kosmischen Kuriere“, die in den 70ern halfen, Deutschland auf die Pop-Landkarte zu setzen.

Psychedelic Rock indes hatte in den frühen 70er-Jahren einen schweren Stand, die kreative Sturm-und-Drang-Phase war vorbei. Fröhlicher Glamrock und das allgemeine Rock’n’Roll-Revival bliesen ihm fast das Lichtlein aus, zudem hatte sich langsam herumgesprochen, dass die Sache mit der Bewusstseinserweiterung auch nach hinten losgehen kann. Die Drogeneuphorie der späten 60er war passé, denn mittlerweile war man in einer ganz anderen Realität angekommen: Harte Drogen überschwemmten die westliche Welt und hinterließen jede Menge tote Junkies. Das Ende der Naivität. Zudem: Statt mit dem Kosmos eins zu werden, war jetzt Handfesteres gefragt. Politische Arbeit. Landkommune gründen und Selbstversorger werden. Haus besetzen und Bullen ärgern. Wer weiterhin die eskapistische Innenschau bevorzugte, musste Prog-Rock hören, da ging es immer noch um Einhörner. Die Alternative: Space-Rock der Sorte Hawkwind, der sich fortwährend um Reisen in ferne Galaxien sorgte. Oder beseelter, virtuoser, hochspiritueller Jazzrock der Sorte Mahavishnu Orchestra. Die Hoffnung: Viele Wege führen zur Erleuchtung. Vielleicht auch ein achtminütiges Gitarrensolo.

Dabei war Eskapismus ja auch wieder schwer im Kommen, nur eben die extrovertierte Variante: Disco. George Clinton, Soulbrother, Funkmonster, Esoteriker und im Herzen ein Hippie, versuchte den Schulterschluss von Psychedelic und Disco. Was Unterhaltsames hervorbrachte, die Massen aber nicht wirklich berührte. Und als der Punk aufk am, war der alte Hippie-Scheiß sowieso das Allerletzte. U-n-c-o-o-l.

Aber nicht sehr lange. Denn es war die Punkbewegung mit ihrer Devise „Zurück zum Einfachen“, die in den 80ern ein kleines Revival einläutete: Die vornehmlich amerikanischen Garagenbands der Mittsechziger, die eine punknahe Dreiakkord-Ästhetik mit psychedelischen Sounds und Sujets fusioniert hatten, wurden von staunenden jungen Menschen wiederentdeckt. Kleine Label veröffentlichten Compilations mit derlei vergessenen Perlen, und eine nachgewachsene Band wie die Fuzztones brachte den sinistren Lärm stilecht auf die Bühne. Der Rockabilly, komplett hippiefreie Zone, wurde thematisch problemlos zum Psychobilly umgebaut, und die britischen Edel-Waver XTC zollten als The Dukes Of Stratosphear 1985 stilecht dem englischen Psychedelic anno ’67 Tribut. Die TV Personalities indes behaupteten im gleichnamigen Song: „I Know Where Syd Barrett Lives.“ Womit man zweifelsfrei in der Postmoderne angekommen war.

Was Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre aus den Boxen der Clubs dröhnte, hatte zweifellos psychedelische Qualitäten: Die Kraft der Repetition, im Techno zur Kunstform erhoben, war in ihrer Wirkung dem psychedelisch mäandernden Gitarrengedudel (plus zehnminütigem Schlagzeugsolo!) der Spätsechziger wesentlich näher, als damalige Elektro-Protagonisten vermutlich wahrhaben wollten. Statt LSD stand jetzt eben auch mal Ecstasy auf dem Speiseplan. Neue Instrumente, neue Drogen – ähnliche Wirkung. Die Generation Techno war jedenfalls definitiv nicht die erste, die sich in Trance tanzen konnte und dabei komische Klamotten trug.

In Großbritannien pflegte man derweil weiterhin den Pop-Aspekt: Beats plus Britpop plus psychedelische Anleihen ließen in Manchester die Hacienda beben, Primal Scream bastelten aus Rave und Psychedelic ihr Meisterwerk SCREAMADELICA, und in Bristol kultivierte man aus trägen Beats, satten Melodien und ätherischen Sounds den stylishen TripHop. Diesmal keine Zuckerwürfel, aber dennoch ein Trip. Blur und Oasis zitierten gerne mal die späten 60er, Kula Shaker sogar mit fernöstlich spirituellem Anstrich. Das Elektro-Duo The Orb veröffentlichte den fast 40 Minuten langen Single-Track „Blue Room“ und ließ damit selbst Iron Butterfly wie Kurzwarenhändler aussehen.

Die USA hatten zeitgleich Indie-Kunstrock-Psychedeliker wie die Flaming Lips und Mercury Rev im Angebot, doch nach der Jahrtausendwende machte dann ein völlig neuer Begriff die Runde: New Weird America, womit folknahe Freaks wie Devendra Banhart, CocoRosie und Joanna Newsom subsumiert wurden, wurzelnd etwa im Hippie-Folk der Incredible String Band.

Möglichst authentisches Zitat einerseits und das lockere Spiel mit historischen Versatzstücken andererseits markieren dann auch die zeitgenössischen Hauptströmungen: Da gibt es etwa die australische Band Tame Impala, die möglichst authentisch die Klangästhetik der späten 60er wiederbelebt, aber eben auch MGMT (siehe Text nächste Seite), die elektronische Indie-Pop-Moderne mit psychedelischer Attitüde fusionieren.

Weltverbesserungskonzept oder Erleuchtungshilfe, die strikt einer gewissen Sorte Musikern und Fans zugeordnet werden kann, ist das schon lange nicht mehr, sondern einfach nur eine weitere Zutat aus dem großen Popkulturregal. Eine Klangfarbe, damit’s abgefahrener rüberkommt. Ein Zitat, das man in nahezu jeden Kontext stellen kann, von Folk bis Metal. Eine Anspielung, die auf pophistorische Kennerschaft schließen lässt. Eine Entwertung? Eigentlich nicht. Eher eine Würdigung.