Verhasster Klassiker

U2s „THE JOSHUA TREE“ ist eine hirnige Lehrstunde in Pädagogen-Folk


Linus Volkmann verreißt Klassiker der Pop- und Rockgeschichte. Heute: U2s Grammy-prämiertes fünftes Studioalbum THE JOSHUA TREE.

Seit Anfang 2019 schmeißt unser Autor Linus Volkmann eine Kolumne bei uns, in der er im Wechsel mit Julia Lorenz regelmäßig auf die jeweils zurückliegende Popwoche blickt. Eine der darin auftauchenden Kategorien heißt „Verhasster Klassiker“, und man raunt sich im Internet zu, dass sich die Kolumne schon (oder wahlweise nur) wegen dieses Rants gegen Platten, die angeblich jeder mag, jede Woche aufs Neue lohne. Und sei es nur, um Linus zu beleidigen!

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Als Services des Hauses stellen wir die „Verhassten Klassiker“ nachträglich auch einzeln heraus. Den Anfang machte das fünfte, im September 1991 erschienene Album der Red Hot Chili Peppers, BLOOD SUGAR SEX MAGIK. Weil dieser Aufreger Eure Gemüter schon so reflexartig erhitzte, legten wir mit einer anderen vermeintlich unantastbaren Band nach: „Prätentiöse Kacke“ – so verriss Linus Volkmann ungehört das neue Tool-Album, das im Laufe des Jahres wirklich erschien. Weiter ging es mit dem Debüt einer weltweit erfolgreichen Rockgruppe, die damals noch keine war: FOO FIGHTERS, das vom „sympathischsten Kerl im Rock’n’Roll“, Mr. Nice Guy Dave Grohl, fast im Alleingang eingespielte erste Album der Foo Fighters.

Dann geschah die unglaublichste aller Unglaublichkeiten: Linus Volkmann zog über die von unserer Redaktion teilweise angeblich, teilweise aber tatsächlich verehrten Radiohead her. Über RADIOHEAD! Beim Musikexpress!! Was würde als Nächstes kommen? Oasis? Jep. Genau das kam.

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Es folgten die Gorillaz, ein vermeintlicher Klassiker des Deutschraps„die größte Indierockband der Welt“ (musikexpress.de), die „größte Rockband der Welt“ (ebenfalls Musikexpress), ein „Meilenstein des Stonerrock“, eine Band, deren Musik leider nichts von deren Lifestyle abgekriegt hat und Träger speckiger Cordhosen und Trainingsjacken aus der Hamburger Schule. Dann kam etwas Isländisches zum Träumenetwas Horrormäßiges zum Tanzen, etwas Französisches nur angeblich Schräges, eine uncoole Buddy-Komödie – und nun wagt Linus sich an die für ihre Fans unberührbarste aller Rockbands.

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DER VERHASSTE KLASSIKER: U2

U2
„The Joshua Tree“
(1989)

So, jetzt will ich es mir so richtig leicht machen. Hallo U2! Ich salz‘ Euch hier mal Euer Nest – was wollt Ihr tun? Denn niemand wird ernsthaft für Bono Vox in die Social-Media-Kriege ziehen. Endlich mal für einen „verhassten Klassiker“ nicht den Wohnort wechseln müssen, nicht die plastische Chirurgie bemühen.

Denn bei THE JOSHUA TREE… Da fängt es doch schon bei dem bekackten Cover an: Ey, wie viel Pathos kann man eigentlich aus einem Schwarzweiß-Foto rauspressen?

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Doch am allerschlimmsten an dieser hirnigen Lehrstunde in Pädagogen-Folk ist für mich persönlich, dass ich selbst früher dachte, das wäre jetzt mal „so richtig gute Musik“. Nicht besonders aufregende, nicht besonders coole, nein: „gute Musik“. Dieses Quatsch-Kriterium der greisen Kulturjournalisten, die längst heimlich längst nur noch Jazz oder Klassik hören.

Bloß glaubte ich als Kind, den höchst wertvollen Sozialarbeiter-Groove von U2 diggen zu müssen. Er sei eine Art Fahrkarte ins Erwachsenwerden, alles klar! Oder anders gesagt: Wenn „Der Club der toten Dichter“ ein Musik-Album wäre und nicht der ohnmachtsverbreitende Inhalt von 1000-jährigen Eiern, dann würde er so klingen, ich schwör’s!

Klar, auch beizender Schwefelgestank findet in Gottes weitem Erdenrund noch seine Fans, aber bei U2 hörte es zum Glück schnell auf damit.

Wer die Platten nach THE JOSHUA TREE und bis heute kauft und die Konzerte besucht? Vermutlich Verwirrte und Verwandte, der Rest wird über Spiegel, Hologramme und Off-Shore-Konten abgewickelt. Diese Band ist durch, das sind lebende Leichen der Popindustrie, wer sie noch sehen kann, ist selbst schon ein Geist.

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„Where The Streets Have No Name“, „I Still Haven’t Found What I’m Looking For“… man müsste sich statt Botox demnächst mal eine lokale Lobotomie gönnen, auf dass man diese weinerliche Wandergitarren-Soße nicht beim bloßen Nennen der Titel gleich im Kopf hätte.

Aber hey, das ist alles nur meine Meinung. Es kann natürlich auch etwas völlig Anderes hinsichtlich THE JOSHUA TREE richtig sein. Aber spürt in Euch rein, summt das Crescendo des größten Hits, summt „I can’t lihihihive, with or withou-out youuuu!“, dann wisst Ihr genau: Jedes Wort hier ist wahr.

– Linus Volkmann („Musikjournalist“)

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Dieser Rant erschien zuerst in Folge 23 von Linus Volkmanns Popkolumne:

Kollegah wird verrückt, Eidinger macht Kunst & Bono nervt – die Popwoche im Überblick

Darin erklärt er außerdem, warum Kollegah total verrückt geworden ist.

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte von Julia Lorenz und Linus Volkmann im Überblick.