Verkannte Kunst

Verkannte Kunst (3): blink-182 haben die jugendliche Melodramatik ernst genommen


Dem Durchschnittsteen stehen diese Typen näher als zum Beispiel ein Conor Oberst: blink-182 haben Teenage Angst wirklich verstanden – schrieb ME-Kolumnistin Julia Lorenz in der dritten Ausgabe von „Verkannte Kunst“.

Seit Mai hatte unser Enfant terrible Linus Volkmann hervorragende Unterstützung an seiner Seite – und seine Hater eine Verschnaufpause: Die Popkolumne, die er seit Anfang 2019 wöchentlich für uns schreibt, schrieb Linus fortan nur noch zweimal pro Monat, im Wechsel übernahm ME-Autorin Julia Lorenz. Die hat Anfang Februar 2020 ihr Zepter leider niederlegen müssen. Zum Glück bleiben uns ihre Texte aber erhalten.

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Während Linus sich regelmäßig über sogenannte „Verhasste Klassiker“ hermachte, entgegnete Julia ihm mit ihrer Rubrik „Verkannte Kunst“. In der dritten Ausgabe ihrer Kolumne vom 20. Juni 2019 ging es entsprechend nicht nur um die scheppernden Sheer Mag, eine mehr als unglückliche Nominierung von Bonez MC und den Tod von Phillipe Zdar – sondern auch um ein Plädoyer für blink-182, die „näher an unser aller Jugend waren, als es ein Conor Oberst jemals sein wird“.

Verkannte Kunst (3): blink-182

Am Ende müssen auch wir uns eingestehen: Unsere Jugend war anders, als wir sie erinnern. Natürlich erzählen wir heute rotweinschwenkend unserem Date, „Der Fänger im Roggen“ habe unser Leben verändert, aber am Ende lag halt doch „Das Vermächtnis der Wanderhure“ auf dem Nachttisch im Jugendzimmer. Und eigentlich sind es auch nicht die Songs von feingliedrigen Torch-Song-Schreibern wie den Shins, die man mit dem Jungsein verbindet, mit dem schrecklichen, stinkigen, ungeschickten Jungsein – sondern die von blink-182.

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Ja, das singende Jackass-Ensemble aus Kalifornien. Die Gute-Laune-Nervpop-Punks. Die mit „American Pie“ (den Coming-of-Age-Klassiker des kleinen Mannes!), albernen Musikvideos und Songs, die mediokre Schülerbands so gern im örtlichen Jugendzentrum coverten – eben diese Typen stehen dem Durchschnittsteen in seiner hilflosen, erruptiven Emotionalität näher als, sagen wir, Conor Oberst. Weil blink-182 nicht nur Blödel-Lyrics haben, sondern auch tolle Songs wie „Carousel“, die jugendliche Melodramatik („Solitude’s a reason to die” – ja, eh!) so ernst nehmen, wie man sie eben ernst nehmen muss. Weil Teenage Angst nicht glamourös, sondern überdreht ist und nach Umkleide riecht. Wie die Songs von blink-182.

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Und irgendwie wärmt die Erinnerung, wie man auf dem nächtlichen Nachhauseweg ENEMA OF THE STATE auf dem Discman hörte, bevor man den Nachbarn in die Einfahrt brach, ja auch bis heute das Herz. Diese Gefühle sollte man sich gut bewahren, wenn man „Blame It On My Youth“ hört, die erste Single von blink-182 zu ihrem aktuellen Album. Die klingt nämlich nicht nur aufreizend einfältig und durchschnittlich, sondern zeigt auch: Mit Jungsein lässt sich ja vieles entschuldigen – nur keine schlimmen Formatradio-Songs.

Dieser Text erschien zuerst in Folge 22 unserer Popkolumne:

Mehr Sheer Mag, weniger Sexismus: Die Popwoche im Überblick

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte von Julia Lorenz und Linus Volkmann im Überblick.