Vulgär-Raffiniert


Wer gut gekleidet ist, entscheidet Jan Joswig. Heute vor dem Stilgericht: Nicki Minaj

Es macht einen geradezu schwindelig, welche Wege die Inspirations-Migration nimmt. Von den US-amerikanischen Cheerleadern der Fünfziger über die japanischen Harajuku-Mädchen der Neunziger zurück zum US-amerikanischen HipHop der 2010er zieht sich die Spur. Cheerleader, Pin-up, Superwoman und die Parodie all dieser Rollen – der dralle Energie-Floh Nicki Minaj schafft es, mit ihren Kostümierungen der übermächtigen Lady Gaga und ihrem Entmenschlichungs-Trip eine Vision entgegenzusetzen, die auf ähnlich avanciertem Niveau das Allzumenschliche mit dem Irrwitzigen kombiniert. Lady Gaga beerbt Missy Elliott in deren asexueller Selbstironie als amorphes Insekt aus „The Rain (Supa Dupa Fly)“. Nicki Minaj baut sich aus Lil‘ Kims offensiver Ghettoerotik und Cyndi Laupers Bubblegum-Version der 50s ein Image auf, das Pornografie und deren Dekonstruktion in der Schwebe hält. Bloße Sexyness ist vulgär, das bewusste Spiel mit ihr raffiniert. Nicki Minaj ist vulgär-raffiniert. Sie will mit ihren Kostümen keine Unattraktivität riskieren wie Lady Gaga, aber sie verweigert genauso die Rolle als Playboy-Bunny. Vielleicht sieht so die schwierigste Aufgabe überhaupt aus: Wie bedient man die chauvinistisch-voyeuristischen Reizmuster, würgt nicht die Erotik ab, bleibt aber das Subjekt seiner Begierden? Nicki Minaj bietet die arschtittengeile Comic-Übertreibung als Lösung an. Von den Cheerleadern weiß sie, was Amerika anmacht. Von den Japanerinnen hat die „Harajuka Barbie“ gelernt, wie man diese Muster verfremdet. Das Cheerleader-Kostüm aus Madonnas „Give Me All Your Luvin'“-Video wirft in seiner Konventionalität Nicki Minajs Rolleninszenierung zurück. Ihr Ticket-Kostüm ist da weiter: Eingeschnürt in den pastellig gelackten Petticoat, sieht sie aus wie eine Mischung aus Lollipop und verbeultem Straßenkreuzer. Der Ticket-Strauß verdeckt ihr Dekolleté. Es wird umso freier gelegt, je mehr Tickets dieser Car/Girl-Hybrid verkauft. Geld, Frau, Auto, Sex – die Statusinsignien der Männerwelt addiert Minaj zu einem grotesk überzuckerten Witz mit seltsamer Beulenpest auf dem Rock und an den Füßen, der in jedem Mann Angst vor seinem eigenen Begehren weckt: Darauf stehe ich!? Damit tanzt sie dem männlichen Selbstverständnis weitaus vulgär-raffinierter auf der Nase herum als Lady Gaga mit ihrem Fleisch-Kostüm.

Jan Joswig ist studierter Kunstgeschichtler, wuchs in einer chemischen Reinigung auf, fuhr mit Bowie-Hosen Skateboard und arbeitet als freier Journalist für Mode, Musik und Alltag. Was LL Cool J in den Achtzigern die Kangolmütze bedeutete, ist ihm der Anglerhut.