Wie wird man die grösste Rockband des Planeten?


Ein Lehrgang am Beispiel der schwedischen Gruppe THE HIVES.

Bist du Abba-Fan?‘, fragt der Junge mit der gelben Schirmmütze. Äh, nö, ich soll ein Interview machen im Hotel Rival. „Ein Interview“, sagt er, schaut dem Wort hinterher und fragt dann: „Mit dem Abba-Mann, oder was?“ Äh, Abba-Mann? Wieso denn Abba-Mann? Schirmmütze lächelt und erklärt dem Stockholm-Besucher, dass das Rival-Hotel am Mariatorget 3 Benny Andersson von Abba gehört und alle Leute dort hingehen, weil sie Fans sind oder zumindest mal den einen von Abba sehen wollen, was aber selten klappt, weil Benny nie da ist. Aha. Aber nee, nix Abba. „Wer? interviewst du denn dann?“, fragt Schirmmütze höflich. „The Hives.“ Schirmmütze zuckt kurz, schaut sein Gegenüber prüfend an, klatscht in die Hände und sagt: „Wow, Mann, The Hives. The Hives!“ Er wirkt für einen Moment wie von einem Zauber befallen, seine Augen leuchten. Dann erklärter mit erfreulicher Präzision den Weg zum Hotel Rival, drückt die dargereichte Hand und läuft „The Hives, The Hives…“ stammelnd davon.

Das Hotel Rival liegt an einem kleinen Platz im südlichen Teil von Stockholm und sieht übel aus. Überall hässliches 8oer-Jahre-Design, Chrom, Glas, dunkle Teppiche und krebserregende Farben. Deprimierenderalsein IKEA-Möbelhaus. Zum Glück läuft keine Musik von Abba, sondern irgendwas von Simon & Garfunkel. Auf einem Tisch in der Lobby liegt ein tragbarer CD-Player, und in dem liegt eine CD mit vier neuen Liedern von The Hives. „Mehr gibt’s noch nicht“, sagt die Plattenfirma. Herrlich. Und worüber redet man dann mit der Band? Über Abba? Überhaupt: Was will ich eigentlich von The Hives? Was will man von einer Rockband, deren einziger Wunsch es ist, die beste Rockband der Welt zu sein? Und warum hat gerade sie Erfolg? Warum drehen alle durch, wenn es um The Hives geht? Warum sind sie neben The Strokes und The White Stripes die erfolgreichste Gitarrenmusikgruppe der letzten drei Jahre? Warum haben die fünf Schweden Amerika erobert und nicht etwa The New Bomb Turks oder The Hellacopters oder Gluecifer? Und jetzt kommt auch noch eine Reisegruppe mit 50 dauergewellten Muttis in die Lobby, die garantiert alle ihre rosawangigen Bälger zur Musik von Abba gezeugt haben.

Hilft alles nichts, es gilt nun am Beispiel der schwedischen Musikgruppe The Hives grundsätzlich zu klären und erklären, wie man zur größten Rockband der Welt wird.

KAPITEL 1. Geschmackssicherheit &. Größenwahn Wer die größte Rockband der Welt werden will, sollte genau wissen, wie er will, was er will, und den Mumm (in Rock’n’Roll-Kreisen gerne auch: die Eier) haben, die Sache durchzuziehen. Das fängt schon beim so genannten Outfit an. Es gibt viel zu viele Rockbands, und sie alle haben Flammen-Tattoos, tragen Jeans, Lederjacken und Turnschuhe oder Bikerboots. Das ist langweilig und führt dazu, dass man Bands und Musiker verwechselt. The Hives erkennt man immer, sie tragen Anzüge (siehe auch Abb. 2). Nicht irgendwelche, sondern klassische, meist im Stil der 20er Jahre geschnittene, mit Bedacht und Geschmack ausgewählte, stets die Farben Schwarz und Weiß kombinierende. The Hives stecken in diesen Anzügen aber nicht wie Würste in Broten, sondern sie füllen sie aus. Sie tragen ihre Anzüge nicht als Verkleidung, sondern so, als hätten sie nie etwas anderes getragen. Das ist sehr wichtig, sonst sieht ein Musiker aus wie ein Bankangestellter. Es ist gut, wenn man vernünftig gekleidet ist, hilft aber alles nix, wenn man den ganzen Tag Scheiße labert. Es ist besser, wenig zu reden, und wenn schon, dann richtig. Bei den Mitgliedern der Hives richtet sich der Verbal-Quotient nach dem Aussehen der Bandmitglieder. Das ist sehr gut, das kann man sich wiederum ganz einfach merken (siehe auch Abb. 1). Rhythmus-Gitarrist Vigilante ist groß, dick und sieht aus wie ein angepisstes, alterndes Baby. Er redet nie. Bassist Dr. Destruction ist klein, untersetzt und sieht aus wie Bill vom Schlachthof. Er redet selten, und wenn, dann stotternd, weil er nicht so gut Englisch kann und nicht sehr helle ist. Schlagzeuger Chris Dangerous sieht aus wie ein Mafia-Pate in jungen Jahren. Er spricht nur das Nötigste in kurzen Sätzen: „Dann sag doch einfach ,nein ‚“oder „wir wählen „oder „nein. „Gitarrist Nicholaus Arson redet viel, wenn er gefragt wird. Er spricht langsam und bedächtig, und weil er sehr schlau ist, hat alles, was er sagt, Hand und Fuß, wie man sagt. Dr. Destruction meint: „Nick ist wirklich ein, äh, intellektueller Typ.“ Nicholaus sagt: „Danke, Matt.“ (Matt ist Dr. Destructions wirklicher Name-Anm. d. Red.) Dr. Destruction sagt: „Und, ahm, also, außerdem ist er sehr gut in Englisch, ja.“ Nicholaus: „Danke, Matt. Danke. Das reicht.“

Es ist ratsam und logisch, dass der Sänger der Gruppe – in diesem Fall Howlin‘ Pelle Almquist – am meisten redet, denn das geräuschvolle Öffnen und Schließen des Mundes ist seine Hauptaufgabe. „Pelle redet immer“, meint Nicholaus. Zum Beispiel auf der Bühne. Mitunter sind die Ansagen des drahtigen Sängers minutenlang. Wichtig ist: Es geht dabei nie darum, wie geil das Publikum gerade ist, ob es nicht mal „yeah, yeah“ machen oder den Kapitalismus abschaffen könne. Nein, Pelle fragt Sachen wie: „Who do you love? “ Und die Leute schreien: „The Hives!“ Es ist ratsam, auf Konzerten von der Bühne herunter nicht allzu komplexe Fragen zu stellen, wenn man eine befriedigende Antwort bekommen möchte. (Mehr zum Thema Konzerte auch im Kapitel „Musizieren vor Publikum“.) Hier noch ein paar Worte aus dem Mund von Howlin‘ Pelle: „Sounds like The Hives are needed more than ever! We will destroy your hippy magic mushroom music We must rescue your country once again from the clutches ofevil!“ Das neue Album der Band tyrannosaurus hives – nennt er den „heiligen Gral “ der Rockmusik.

Wichtiger als selber zu reden ist, dass die Leute über einen reden. Das ist die „halbe Miete“. Allerdings gibt es so viel nicht zu sagen über fünfTypen aus einem schwedischen Kaff namens Fagersta, die gerne laute Gitarrenmusik spielen, ansonsten aber ziemlich normal sind. Also erfindet man was. Man gibt den Leuten etwas, worüber sie reden können. Man denkt sich zum Beispiel eine Geschichte aus und setzt eine Legende in die Welt. So behaupten The Hives, dass sie von einem Typen namens Randy Fitzsimmons kontrolliert werden. Der soll die Bandmitglieder dereinst auf mysteriöse Art und Weise zusammengebracht haben und ihnen seitdem die Songs diktieren. „Wir sind nur das Medium“, behaupten The Hives. Jegliche Angaben über Alter, Herkunft und Persönlichkeit des ominösen Herrn Fitzsimmons verweigern sie. Auf die Verdachtsbekundung, dass dieser Typ lediglich eine Erfindung der Band sei, zucken sie lustlos mit den Achseln und setzen ihren Glaub’s-oder-glaub’s-nichtdu-ahnungsloser-Wicht-Blick auf. An dieser Stelle werden aufmerksame Leser Parallelen zu der ebenfalls enorm erfolgreichen Rockgruppe The White Stripes feststellen, deren zwei Mitglieder aus der Art ihrer Beziehung bekanntlich ein großes Geheimnis machen. Merke: Geheimnisse machen Menschen neugierig, und Größenwahn wird erst in Verbindung mit Selbstironie sexy.

KAPITEL 2. Das Musizieren Richtig, wenn man die größte Rockband der Welt werden will, sollte man ein bisschen musizieren können. Es ist dabei unabdingbar für den späteren Erfolg, dass die Bandmitglieder verrückt nach Musik sind und dem Musizieren alles andere im Leben unterordnen, weil sie nur dabei Erfüllung finden. Mit einem eingeschränkten Wahn braucht eine Band gar nicht erst anfangen, denn mittelmäßige Musiker gibt es schon genug, wie es überhaupt genug Mittelmäßigkeit gibt. The Hives begannen sehr früh mit dem Spielen ihrer Instrumente, wie das eben so ist, wenn man aus einem schwedischen Kaff kommt, in dem allerhöchstens mal ein Elch explodiert (siehe auch Abb. 3). Sie waren 15,16 Jahre alt, als sie die Band gründeten. Seitdem haben sie viel geübt.

Drei Jahre nach Bandgründung, nämlich 1996, wurde auf dem Sidekicks benannten Seitenarm der wichtigen schwedischen Punk-Rock’n’Roll-Plattenfirma Burning Heart das Mini-Album oh LORD! when? now? veröffentlicht. Der Direktor besagter Plattenfirma, Peter Ahlqvist, war erstaunt über das Talent der jungen Bande und brachte 1997 auf Burning Heart das Debüt barely legal heraus. Den Charakter des Erstwerks beschreibt Gitarrist Nicholaus wie folgt: „Es ist ein wildes Pferd oder ein Büffel, also ein ziemlich derbes Viech. Es will nur nach vorn. Vielleicht ist es auch ein Nilpferd. Ich habegelesen, dass Nilpferde die gefährlichsten Tiere sind und die meisten Menschen töten. Sie rennen schnell, und sie rennen nachts. Sie rennen alles um, was im Weg steht. So ist auch unser Debüt.“ Das erste Hives-Album ist ein krachender und räudiger Einstand. Ein unbedarftes Lärmen, dass die Richtung vorgibt: retro-rückwärts, Baby, und hoch hinaus.

Auf den folgenden Konzerten und im Proberaum verbesserten die Bandmitglieder ihre instrumentalen Fähigkeiten. Fortschritt ist wichtig! Nach vielen Konzerten schrieben sie 1999 neue Lieder und nahmen diese auf, was nicht so einfach war, wie es sich jetzt liest, sondern die größte Prüfung, die die Band bis dato zu bestehen hatte; ein geradezu selbstzerstörerisches Unterfangen, dessen Ablauf und Dramatik wiruns im Kapitel „Selbstaufgabe &. Schaffenswut“ widmen werden. Das zweite Werk erschien 2000 und ward veni vidi vicious genannt, zu deutsch: kam, sah und böse. Es wurde trotz des Grammatikunfalls ein enormer Erfolg. „Dieses Album war mehr sophisticated“, sagt Nicholaus. „Es war ein Studio-Album, also eher ein denkendes Tier. Vielleicht ein Gorilla. Der kann eine ähnliche Verwüstung anrichten wie ein Nilpferd, ist aber schlauer.“ Affe oder Rhinozeros -veni vidi VICIOUS war jedenfalls der Oberknaller, tight wie nix Legales, fetzig wie ein frisiertes Moped, der Wahnsinn in Beats, Riffsund Rhythmen. Der Hit hieß „Hate To Tell I Told You So“. Just another Rock’n’Roll-Band? Just another Rock’n’Roll-Song? Nein, etwas war anders. Und dieses etwas, dieses klitzekleine bisschen „anders“, Herrschaften, das ist es! Das macht es aus! Es ist nur leider sehr schwer zu beschreiben.

Nicholaus versucht das jetzt mal: „Es hat viel mit dem Tempo zu tun. Esgeht darum, wie lang wir die Noten spielen und wie lang die Pausen dazwischen sind. Und die Art und Weise, wie wir von einem Teil des Songs zum nächsten kommen, ist auch sehr wichtig.“

Die Hooks der Hives sind einfach haftender, die Riffs zackiger, der Bass zielgerichteter und das Zusammenspiel aller Elemente immer ein bisschen überraschender und zwingender als bei all den anderen. Es ist das Ergebnis harter Arbeit. Auch dazu später mehr.

Nun veröffentlichen The Hives ja ein neues Album, was – wir erinnern uns – der Anlass dieser Geschichte ist. Und weil man als manischer Musiker einzig aus Lust am Musizieren musiziert, erfreut man sich am meisten daran, wenn man sich selber überrascht, wenn man dem, was man als Ideal im Kopf hat, so nah wie möglich kommt und jedes mal ein bisschen weiter geht. So ist es zum Beispiel zu erklären, dass gute Musiker selten das gleiche Album noch einmal aufnehmen. Auch The Hives gehen auf TYRANNOSAURUS hives den ein oder anderen Schritt nach vorn -glaubt man den Äußerungen der Musiker und begreift man die vier Lieder, die es vorab zu hören gab, als exemplarisch für das kommende Werk. „Unser neues, drittes Album muss irgendein sauberes, schnelles Tier sein“, meint der Gitarrist. „Es ist in größerem Maße ein Studioalbum als der Vorgänger. Es ist ziemlich divers. Es ist ein Tier ohne Fell, eine Schlange, eine Anaconda!“ Gut. Wenn’s mit der Musik nichts mehr wird, wird der Mann Zoodirektor. Herr Almqvist, übernehmen sie! Herr Almqvist kratzt sich am Unterarm und sagt: „Ich weiß auch nicht, wie ich erklären soll, wie es sich anhört. „Es gibt Gerüchte, dass die Platte ein wenig nach der 8oer-Art-Pop-Band Devo klingen soll. „Ja, das passt. Wir mögen die Sounds, die Devo benutzten. Unser letztes Album klang nach den Sixties. Das neue sollte mehr nach denyoern und8oern klingen. Wir wollten einen trockeneren Sound. Wir kauften auf Tour all diese Second-Hand-Platten aus den 8oern, die waren billig.Die Lieder darauf waren meistens scheiße, aber»-}

blikum. Und das dreht dann durch. Hernach wird die Kunde vom Live-Erlebnis weiter getragen, und beim nächsten Mal bringen die Leute ihre Freunde mit.

Und so geschah es, dass The Hives nach Monaten auf Tour eines schönen Tages in Hamburg begriffen, dass sie dabei waren, eine sehr erfolgreiche Rockband zu werden. Wobei erwähnt werden muss, dass eben dies nie ihr vordergründiges Ziel war. „Unser Ziel war es immer, genau die Band zu werden, die wir uns erträumten“, sagt Nicholaus. „Der Erfolg ist ein Nebenprodukt.“ (Mehr dazu im folgenden Kapitel.) Zurück nach Hamburg: „Es war das erste Mal, dass wir mit unserem zweiten Album allein auf Tour waren. Wir spielten im Molotow, einem Kellerclub an der Reeperbahn. Wir kamen aus unserem Hotel, gingen die Reeperbahn hoch und sahen vor dem Club all diese Leute stehen, dachten aber, dass die ins daneben befindliche Theater wollten. Als wir näherkamen, starrten uns die Leute an, tuschelten und zeigten auf uns. Da begannen wir zu begreifen …Als wir unten im Club waren, sahen wir, dass der knackevoll war. Vor dem Club standen genauso viele Leute wie drinnen ‚.Das war das erste Mal, das wir begriffen, was wir da eigentlich losgetreten hatten. Es spornte uns weiter an. Wir konnten es nicht erwarten, wiederin Hamburgzu spielen.“ einige Sounds richtig gut. Wir wollten diesen Klang von damals.“ Plötzlich klingelt Pelles Handy, er zieht es aus der Tasche seiner eng sitzenden Hose, schaut auf das Display und wirft es ans andere Ende des Raums. Produziert hat das neue Album einmal mehr Pelle Gunnerfeldt, der Gitarrist der famosen schwedischen Band Fireside. Das ist übrigens auch exemplarisch für alle größten Rockbands der Welt (natürlich gibt es nicht nur diese eine!): Sie wissen, was sie wollen, und brauchen für die Umsetzung keinen psychisch gestörten Mega-Produzenten aus Los Angeles (Herr Robinson, Herr Spector, wie wirkt das Valium?), sondern arbeiten auch in Zeiten größten Erfolges mit dem alten Kumpel von nebenan. Kontinuität in der Basis ist ein Zeichen von Selbstvertrauen und bei allem Wandel das Fundament für die Festigkeit von Charakter und Darbietung.

KAPITEL 3. Das Musizieren vor Publikum Eine Rock’n’Roll-Band ist in erster Linie eine Liveband. Wer auf der Bühne nichts bringt, bringt auch sonst nichts und wird auf keinen Fall die größte Rockband der Welt. Erst beim Vorspielen der Musik vor Publikum zeigt sich, ob Attitüde und Ambition, die der Tonträger verspricht, echt sind. Und weil Retortenmusik die internationalen Hitparaden und Musikkanäle verstopft, beginnt der Erfolg einer Rockband auf der Bühne. Die Rock ’n‘ Roll-Fans werden auf Konzerten eingesammelt. Wie jede vernünftige Musikgruppe spielten sich auch The Hives jahrelang in kleinen Clubs die Griffel wund, bevor es endlich knallte. In den letzten fünf Jahren ließ es sich kaum vermeiden, die Fünf live zu sehen, entweder im Vorprogramm von Bands wie The HellacopteTS oder auf einer Festivalbühne oder als Headliner in einem völlig verstopften Club. Man war dann immer völlig weggeknallt von diesem Haufen.

Wenn The Hives auf der Bühne stehen – was sie in diesen Tagen nach einem Jahr Pause endlich wieder tun -, ist da alles, was Rock’n’Roll geil macht (siehe auch Abb. 4). Ein Sänger, der wie ein Gockel über die Bühne stolziert, um im nächsten Moment wie ein Raubtier einen seiner beiden Gitarristen anzuspringen, gerne auch das Publikum oder einen Verstärker. Und da steht eine Band, bestehend aus klaren Charakteren, der man gerne beim Spielen zuschaut und die mit großer Konzentration und Fertigkeit ihre Instrumente bearbeitet. In erster Linie ist da aber dieser Sänger (jede größte Rockband der Welt braucht eine – jawohl – Rampensau guter alterTraditionals Frontmann!), der mal kopfüber an der Decke baumelt, mal an den Licht-Traversen rumkraxelt oder in der Menge verschwindet; der auf jeden Fall immer mit jeder Faser seines Körpers zu vibrieren scheint, der dem Publikum verspricht, es zu erobern und dann zu zerstören, der überhaupt von einem fordernden Größenwahn ist, dass es einen ganz kirre macht. Diese Spannung! Diese Energie! Und dazu die Musik. Beatmusik, die Punk ist, Exzess, Sex, Ekstase, Wahn, Rausch, Katharsis, Ausflippen, Durchdrehen, Wildsein. Extrem auf den Punkt, rasend schnell und ohne Füllsel. Wenn man Synapsen kämmen könnte, wären The Hives eine Drahtbürste.

Das Leben auf Tour ist freilich ein beschwerliches, vor allem wenn man noch nicht sonderlich bekannt ist. Man lebt von Bier, Brötchen und dem allabendlichen Kick auf der Bühne. Manchmal wird man auch mit Bierbüchsen beworfen, „aber das fühlt sich normal an, wenn es passiert“, erklärt Nicholaus. „Man denkt da nicht weiter drüber nach.“ Man denkt sowieso am besten überhaupt nicht nach, wenn man auf der Bühne steht, denn darum geht es ja beim Rock’n‘ Roll: Hirn aus, Herz an. Oder: Intellekt weg, Instinkt her. Wenn man das durchzieht, überträgt sich die so entstehende archaische Kraft früher oder später auf das Pu

KAPITEL 4. Selbstaufgabe & Schaffenswut Die wichtigste Lektion für angehende größte Rockbands der Welt: Verschreibe dich deiner Musik und nur deiner Musik. Sei bereit, alles zu opfern. Sei bedingungslos! Das Leben als Musiker ist ein Leben voller Entbehrungen. Alles muss erarbeitet werden – die eigene Musik, die Aufmerksamkeit der Leute, die eigene Performance usw. usf. Wer dieses Leben lebt, gibt sein altes Leben auf. Man muss bereit sein, ohne Netz zu arbeiten, ins Ungewisse zu steuern und – vor allem hart zu arbeiten im Dienste seiner Vision. Es ist unfaiT, wenn man erfolgreichen Musikern wie The Hives mit Neid begegnet und dem Satz: „Mensch, was habt ihr Glück gehabt!“ Man bekommt vom Leben, was man gibt. Nichts wird geschenkt. Alles ist das Ergebnis harter Arbeit.

1999 war das Jahr, in dem The Hives über ihr Schicksal entschieden. Nach einem ordentlichen Debüt und bemerkenswerten Konzerten saßen sie im Studio, um ihr zweites Album einzuspielen. Im Mai war es fertig, doch die Band war unzufrieden. „Es war nicht das, wovon wir geträumt hatten“, erinnert sich Nicholaus. „Also probten wir weitere sechs Monate undbegannen dann emeutmit den Aufnahmen.Nebenbei hatten wir normale Jobs, denn wirmusstenja irgendwie Geld verdienen. Wir hatten also zwei Jobs gleichzeitig. Es war eine lange, harte Zeit. Niemand zählte wirklich auf uns, alle dachten:,Die sind okay!’Aber wir waren 23 und wussten: „Wenn wir es jetzt nicht schaffen, wenn es jetzt nicht knallt, müssen wir weiter unsere Nebenjobs machen oder wieder in die Schule gehen „Kurz vor Weihnachten gingen sie zwei Wochen ins Studio. Dann erschien VENI VIDI vicious. Dann hat es geknallt.

Was lernen wir daraus? Man muss die Kraft haben, sich mit seinen Zweifeln zu konfrontieren. Man muss den Mut haben, zu verwerfen und neu zu beginnen. Und man darf sich nie mit dem Zweitbesten zufrieden

geben. Alles oder nichts! Feigheit ist der Feind der Kunst. Mit dem dritten Album lief’s ein bisschen einfacher. The Hives wissen, was sie können. Und sie sind besser geworden. „Außerdem konnten wir uns voll auf die Musik konzentrieren „, sagt Nicholaus und nestelt an seiner Krawatte. „Wir waren an keinem Wendepunkt, unser Weg war klar. Aber wir wollten weiterkommen und etwas Neues schaffen. Das ist immer schwierig. Wir haben kein Rezept. Wir müssen uns immer neu erfinden.“

KAPITEL 5. Weitere nützliche Hinweise für angehende größte Rockbands der Welt 5.1 Du sollst immer mehr wollen, als du erreichen kannst.

Je höher die Hürde, desto kraftvoller der Sprung. Alte Turnierreiterregel? Könnte sein. Keine Ahnung. Fakt ist: Wer sich mehr vornimmt, erreicht auch mehr. Siehe The Hives: “ Wenn wir 70 Prozent von dem erreichen, was wir uns vorgenommen haben, sind wirf roh, denn unsere Ziele hängen sehr hoch. Immerhin: Die meisten Rockbands eiern bei 30 Prozent rum „, sagt Pelle grinsend.

5.2 Gene immer bis zum Maximum und dann noch ein Stück.

Wer alles will, muss alles geben und noch ein bisschen mehr. „Yeah“, sagt Pelle, „man muss immer ein Stück zu weit gehen. Es muss immer eine kleine Dissonanz entstehen.“ Man kann sich aber verletzen, wenn man zu weit geht. PELLE: Ja, wir haben uns sehr oft verletzt. Aber wir haben überlebt. Wir haben nur vor zwei Dingen Angst: Vor dem Tod und davor, eine Band zu werden, die wir nicht mögen.“

5.3 Dulde nur Gleichgesinnte in deiner Band.

Wenn du in einer angehenden größten Rockband der Welt spielst, ist dein Zuhause kein geographisch festlegbarer Ort. Es ist ein Zustand, der durch das Zusammensein mit deinen Musikerkollegen entsteht, während ihr macht, was ihr machen wollt. Ihr müsst eine Gang sein (siehe auch Abb. 5)!

nicholaus: „Zu Hause? Wir fühlen uns zu Hause, wenn wir auftreten, wenn wir aufnehmen oder proben. Eigentlich fühlen wir uns immer dann zu Hause, wenn wir zusammen sind.“ Dieser Zustand wird nur möglich , wenn alle in der Band dasselbe wollen und bereit sind, alles dafür zu tun.

5.4 Sag „nein zu Drogen oder zumindest nicht zu oft „ja „.

pelle: „Man kann auch mal Ja’sagen. Das ist aber nicht gesund. Und es stimmt nicht, wenn Leute behaupten, dass die New York Dolls so großartig waren, weil sie Heroin genommen haben. Sie waren großartig trotz des Heroins! Und dann nahmen sie zu viel Heroin und wurden schlecht.“

5.5 Vermeide Wiederholungen.

Ein Grund für den Erfolg der Hives ist ihre Unberechenbarkeit. Man weiß nie, was sie als nächstes auf der Bühne anstellen werden; man weiß nur, dass irgendwas Irres passieren wird. Jedoch wird es im Lauf der Zeit natürlich immer schwieriger, zu überraschen.

„In den frühen Tagen war es sehr viel einfacher, da uns die Leute meistens zum ersten Mal gesehen haben „, erklärt Pelle. „Jetzt müssen wir uns mehr anstrengen. Es wäre zum Beispiel überhaupt nicht überraschend gewesen, wenn wir ein weiteres Sixties-Garage-Album aufgenommen hätten. Haben wir auch nicht.“

5.6 Begreife Erfolg nicht als gerechten Lohn für deine Mühen.

nicholaus: „Was Erfolg angeht, gibt es keine Gerechtigkeit. Schlechte Künstler können Millionen von Alben verkaufen, weil sie das richtige Marketing haben. Und sehr oft verkaufen sehr gute Künstler sehr wenige Platten. Manchmalfinde ich es sehr merkwürdig, dass gerade wir so erfolgreich sind und nicht einige unserer Lieblingsbands -zum Beispiel The New BombTurks. Aber so ist es: Jahrelang machen Bands großartige Musikim Verborgenen, und dann wirdgenau einevon ihnen berühmt und ist das nächste große Ding. Warum gerade diese Band, weiß man nicht. So war es schon immer“

Ergänzung: Die Hives wurden erfolgreich, weil sie die Ratschläge in den Kapiteln 1-4 dieses Lehrgangsbeispielhaft befolgt haben.

5.7 Flüchte nie vor Groupies.

pelle: „Wenn du von Groupies umzingelt bist, bleib einfach ruhig stehen und sprich mit normaler Stimme über irgendwas komplett anderes als Musik, zum Beispiel übers Angeln. Mit Groupies ist es wie mit wilden Tieren: Wenn du ruhig bleibst, tun sie dir nichts. Rennst du aber weg, rennen sie dir hinterher.“

5.8 Halte deine Band immer für die größte Rockband der Welt Pelle, wer ist die größte Rockband der Welt?

Antwort: „Nun ja, für unseren Geschmack sind wir die Größten. Denn wir spielen die Musik, die wir hören wollen. Und wir geben unsere Konzerte, wie wir Konzerte geben wollen. Wir machen überhaupt alles genau so, wie wir es wollen, nach unserem Geschmack. Deswegen sagen wir: The Hives sind die größte Rockband der Welt!“