Nachgefragt

Wird Reels das neue TikTok für die Musikindustrie? Eine Expertin gibt eine erste Prognose


TikTok hat nicht nur neue Popstars geboren, sondern die ganze Musikbranche kräftig aufgewirbelt. Nun bringt Instagram mit Reels einen Klon an den Start. Julia Szymik, Social-Media-Managerin bei recordjet, gibt eine erste Prognose über dessen Bedeutung für Künstler*innen.

Es war natürlich kein Zufall, dass Instagram Ende Juni nach kurzer Testphase in Brasilien ein neues Feature in Deutschland ausrollte: die sogenannten „Reels“. Mit der neuen Funktion lassen sich in der Instagram-App kurze und zumeist witzige Videos drehen, schneiden und mit Musik unterlegen. Kommt Euch bekannt vor? Ist auch im Wesentlichen ein Klon des anderen Social-Media-Riesen, der seit Monaten ein rasantes Wachstum verzeichnet. Die Rede ist natürlich von TikTok.

TikTok ist seit langem das erste soziale Netzwerk, das dem Tech-Riesen Facebook, zu dem auch Instagram gehört, in Sachen Nutzerzahlen ernsthafte Konkurrenz macht. Und nicht nur das, die Plattform des chinesischen Unternehmens Bytedance spielt mittlerweile unübersehbar in der Popkultur mit. Das prominenteste Beispiel ist wohl die Karriere von Lil Nas X, dessen Song „Old Town Road“ zahlreiche Creator dazu animierte, für eine Challenge Videos in Cowboy-Verkleidung dazu zu drehen und ihn somit zum Star machten.

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Mittlerweile gibt es beinahe täglich neue Challenges, die Popsongs zu phänomenaler Reichweite verhelfen – darunter auch fast vergessene wie Matthew Wilders 80s-Hit „Break my Stride“, das durch eine TikTok-Challenge ein Revival feierte. Aber auch völlig unbekannte Künstler*innen können mit etwas Glück zu Popstars werden, sobald jemand einen Musikschnipsel von ihnen in einem Video aufgreift und genügend Leute aus der Community aufspringen. Tatsächlich gibt es schon Musiker*innen, die ihre Songs gezielt auf Viralitätspotenzial produzieren, wie der 23-jährige US-Rapper Sueco the Child mit seinem Durchbruch „Fast“.

Die neue kreative Output-Bombe

Julia Szymik ist Social-Media-Managerin bei der Vertriebsplattform recordjet. Sie sorgt dafür, dass die Musik von Künstler*innen bei allen Streamingdiensten und Social-Media-Anbietern verfügbar ist und beobachtet den Launch von Reels mit Interesse. „Das ist eine kreative Output-Bombe, quasi Schnittprogramm und Photoshop in einem. Die Funktionen ähneln sich aber so sehr, dass man von einer TikTok-Kopie sprechen kann“.

Julia Szymik

Der wesentliche Unterschied liegt für sie im Algorithmus der beiden Netzwerke. „Der ist bei TikTok einer der wesentlichsten Alleinstellungsmerkmale. Man muss niemandem folgen oder sich mühsam einen Feed zusammenstellen, sondern bekommt direkt auf den eigenen Interessen aufbauenden Videos von der KI ausgespielt. TikTok spielt also sehr auf den Zufall und das Viralitätsprinzip ab, während es bei Instagram weiter um die Inhalte von Leuten geht, denen man folgt“.

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Das bedeutet, dass Künstler*innen auf Instagram einen Grundstock an Fans haben müssen, um Videos erfolgreich zu spielen – Glückstreffer zu landen ist deutlich schwieriger als bei der Konkurrenz. Ohnehin fehlt bei Reels mit der Funktion, Sounds von anderen Videos einfach für sein eigenes zu übernehmen, einer der wichtigsten Hebel für die Entstehung eines viralen Hits. In sogenannten Challenges springen Nutzer*innen dabei immer wieder auf Vorgängervideos auf, um die Pointe ein Stück weiterzudrehen oder einen Twist zu finden. „Gerade durch diese Challenges ist TikTok aktuell viel besser darin, Songs groß zu machen“.

Mehr Nahbarkeit

Szymik vermutet daher, dass sich Reels eher zu einem weiteren Promotionstool für Künstler*innen entwickeln wird, die schon erste Fans gesammelt haben. „Mit den schnell in der App geschnittenen Videos kann man Nahbarkeit zeigen und Einblicke in den Alltag oder Backstages geben. Das ist ja das, was man als Fan gerne von einem Musiker haben möchte“. Beobachten kann man das zurzeit bei der Indie-Band KLAN, die in letzter Zeit immer wieder Outtakes von Videodrehs veröffentlichen. Auch Fynn Kliemann probiert bereits vorsichtig mit Reels herum. Allerdings gibt es bislang kaum Künstler*innen, besonders aktiv Videos hochladen – und wenn, dann ist es oft recycleter TikTok-Content.

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Eine richtige Poprevolution bahnt sich also bislang nicht an. Hat denn Reels überhaupt das Zeug zum TikTok-Killer? Nochmal Julia Szymik: „TikTok-User werden wegen Reels nicht die Plattform wechseln. Aber es könnte schon sein, dass für viele Instagram-Nutzer das Bedürfnis nach kurzen Spaßvideos damit ganz gut gedeckt wird. Dass TikTok am Ende deswegen eingehen wird, glaube ich trotzdem nicht“.