Young Fathers im Interview: „Wir haben eine Diskussion angestoßen“


Die Young Fathers aus Schottland sind Teil einer politischen Debatte, die Einzug in die Welt der Popkultur gehalten hat. Sie unterstützten eine Anti-Israel-Kampagne und wurden nun erst von der Ruhrtriennale aus- und dann doch wieder eingeladen. Bereits im Frühjahr trafen wir die Band zum Gespräch über Boykotte und Politik.

Als mehrere Bands das Berliner „Pop-Kultur“-Festival im letzten Sommer nach einem Aufruf der BDS-Kampagne boykottierten, sagten die Schotten ihren Auftritt ebenfalls ab. Wie kam es dazu? Graham Hastings, Alloysious Massaquoi und Kayus Bankole haben ihre Beweggründe erklärt.

Ihr habt im vergangenen Jahr euren Auftritt beim Berliner Festival „Pop- Kultur“ abgesagt, weil die israelische Botschaft die Reisekosten einer Musikerin bezuschusst hat. Was fandet ihr daran problematisch? 

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Massaquoi: Das Hauptproblem war die Promotion. Wenn man auf ein Poster ein Logo von einer Marke oder einer Regierung druckt, ohne dass wir dem zugestimmt haben, ziehen wir da eine Linie. Es ist ein sensibles Thema, aber diese Linie muss man irgendwo ziehen. Warum wird man als Künstler Gegenstand einer solchen Debatte? Was ist mit den Zuschauern und den Organisatoren? Machen die sich mitschuldig? Für uns war die Sache jedenfalls klar, als wir davon erfahren haben, und ich finde, man muss unsere Entscheidung akzeptieren.

Sollte ein künstlerischer Austausch zwischen verschiedenen Kulturen nicht gerade dann besonders wichtig sein, wenn es auf der politischen Ebene nicht vorangeht?

Massaquoi: Ich glaube, wir haben eine Diskussion angestoßen, die es sonst nicht gegeben hätte. Die Absagen haben viele Menschen überhaupt erst auf die Situation aufmerksam gemacht.

Bankole: Man kann nicht für einen offenen Dialog sorgen, wenn man von vorneherein nichts sagt. Hätte es auf dem Festival Konferenzen oder Panels zu diesem Thema gegeben? Oder Poster und Videos über diesen Konflikt? Nein. Natürlich verstehen wir, dass ein Festival dazu da ist, Menschen verschiedener Kulturen zusammenzubringen. Aber es hätte dort nichts gegeben, was der Sache aktiv geholfen hätte.

Die Diskussion, die nach dem Festival stattfand, drehte sich allerdings hauptsächlich um den Antisemitismus der BDS-Bewegung und so gut wie gar nicht um die Situation im Nahen Osten selbst.

Graham Hastings

Hastings: Die BDS-Bewegung hatte zunächst einmal nichts mit unserer persönlichen Entscheidung zu tun, unseren Auftritt abzusagen. Wir sind nicht Teil irgendeiner Bewegung.

Massaquoi: Es ging uns um das fehlende Gleichgewicht, darum, wie ungerecht die Situation für die Menschen in Palästina ist. Es herrscht Ungerechtigkeit in der Berichterstattung. Eine Seite hat nicht wirklich eine Stimme, bis auf ebendiese: den Dialog, der sich durch den Boykott ergab. Das ist unsere Chance zu sagen, dass es nicht in Ordnung für eine Regierung ist, ihr Handeln auf diese Weise reinzuwaschen.

Hastings: Es geht uns nicht darum, auf einen Zug aufzuspringen.

So oder so habt ihr euch für ein Land entschieden, das in dieser Hinsicht eine Sonderbehandlung erfährt. Israel hat einen arabischen Verfassungsrichter, während die arabische Minderheit im Iran häufig gar nicht im Staatsdienst arbeiten darf – ohne dass der Iran von vielen Künstlern boykottiert wird.

Roger Waters in Berlin: Israel-Hass in Großbuchstaben
Massaquoi: Ich kann dir sagen, warum: Weil es bei anderen Ländern derzeit keine laufenden Boykotte gibt. Wenn andere Länder wegen ähnlicher Vergehen boykottiert würden, dann wären wir auch Teil davon. Es stimmt ja auch, dass Israel in vielen Aspekten ein vorwärtsgewandtes Land ist, zum Beispiel was die Behandlung Homosexueller angeht. Aber das heißt nicht, dass man die Regierung nicht kritisieren kann wie jede andere auch. Es ist viel komplexer. Ich finde unser Gesundheitssystem in Großbritannien gut. Heißt das, dass ich die Regierung mag? Nein. Das hat nichts miteinander zu tun.

Wenn Musiker Konzerte in Israel spielen, wird daraus häufig ein Politikum. Woran liegt das?

Massaquoi: Du hast recht. Es ist so schwerwiegend, dass es auf einer der beiden Seiten überhaupt keine Stimme gibt. Null. Und auf der anderen Seite einen Plan, das reinzuwaschen. Menschen in den USA, die gegen Trump sind, haben eine Stimme. Sie können darüber twittern. Sie haben Fernsehsender. Sie haben Internet. Das ist für Palästinenser nicht ohne Weiteres zugänglich.

Nun gibt es Dutzende Organisationen und viele Menschen und Medien, die sich für die Palästinenser einsetzen.

Massaquoi: Das habe ich nicht bestritten. Ich meine nur, sie haben eine kleine Stimme. Eine Stimme, die nicht ausreicht. Uns geht es nicht um diejenigen, die die Entscheidungen treffen, sondern um die, die in der Falle sitzen und versuchen zu leben und zu überleben.

Haltet ihr Boykotte grundsätzlich für eine sinnvolle Methode, um etwas zu bewegen?

Kayus Bankole

Hastings: Es kommt darauf an. In Südafrika hat es was gebracht. Das kann man im Vorhinein aber nie wissen. Ich kann nicht behaupten, dass wir Boykotte generell immer für sinnvoll halten. Aber was wissen wir schon? Wir haben unseren Instinkt und wir haben die gleichen Informationen wie jeder andere auch – eben dadurch, dass wir persönlich mit Menschen sprechen und die Nachrichten verfolgen. Warum ist es denn ein Problem, wenn eine Band für etwas eintritt, an das sie glaubt?

Ist es ein Problem, wenn so eine Entscheidung fast immer das gleiche Land betrifft?

Massaquoi: Es ist ja, wie gesagt, nicht leicht, diese Linie zu ziehen. Und viele Musiker ziehen nie eine. Und natürlich sind viele Sachen, die in Russland passieren, furchtbar. Wenn es eine Bewegung gäbe, die vielversprechend ist, die Veränderungen auf gesetzlicher Ebene mit sich ziehen könnte, dann wären wir ein Teil davon. Dann wäre das der erste Schritt zur Besserung. Viele Politiker verändern sich nur unter Druck.

Bankole: Und wenn sich die Situation verändert, ziehen wir auch unsere Linie neu.

Massaquoi: Das ist kein Sport. Kein Fußballspiel. Man sucht sich ja nicht ein Team aus und bleibt einfach dabei. Eine solche Situation ist viel komplexer.

Manche sagen: Ein Boykott wirkt aber nach außen so, als würdet ihr euch genau dieser Komplexität entziehen wollen.

Massaquoi: Das ist eine sehr einfache Sicht auf die Dinge. Unglücklicherweise werden solche Nachrichten sehr vereinfacht dargestellt, um mehr zu polarisieren.

Bankole: So etwas sorgt dafür, dass dieser Narrativ erhalten bleibt. Wir beschäftigen uns auch in unserer Musik immer mit den Graustufen, den Nuancen. Aus der Boykott-Entscheidung den Schluss zu ziehen, wir wären Antisemiten, ist Nonsens.

Burak Cingi Redferns
Burak Cingi Redferns