The KLF


The KLF waren keine Band. Sie waren eine Guerilla. Bill Drummond und Jimmy Cauty haben das Musikgeschäft unterwandert und erobert, Hits veröffentlicht und dekonstruiert, Geld gescheffelt und verbrannt. Ohne sie wäre die Popkultur, wie wir sie heute kennen, eine andere. Sie wäre langweiliger.

Man findet ihre Spuren überall. Wo Daft Punk in Paris wieder ein neues Album aufgenommen haben, in den Translab-Studios, steht ein Radiorekorder aus den Achtzigern mit einer aufgesetzten Plastikpyramide. Er thront über den Konsolen wie ein Mahnmal. 1987 war der Pyramidenblaster erstmals auf der Single „All You Need Is Love“ zu sehen von The Justified Ancients of Mu Mu, der Band von Jimmy Cauty und Bill Drummond. Ein Jahr später zeigten sie ihn auf dem Umschlag ihres ersten Buchs „Der schnelle Weg zum Nr. 1 Hit“. Unzählige Musiker haben seither versucht, der Anleitung von KLF zu folgen. Einige, wie Daft Punk, durchaus mit Erfolg.

Während das Handbuch seinen 25. Geburtstag feiert, dirigiert Bill Drummond in Berlin sein mehrstündiges Werk „Score 328: Surround“. 100 engagierte Laiensänger wirken mit. Als es vorüber ist, rollt Drummond feierlich die Partitur zusammen. Fröstelnd steht er hinter Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie, ein 60 Jahre alter Mann im Ledermantel, und erklärt: „Ich frage mich seit Jahren, wie man musiziert, wenn man nicht mehr weiß, wie die Musik bisher geklungen hat.“ Das sind so Fragen.

Drummond kam 1953 in Südafrika zur Welt, als Sohn eines Pfarrers, er wuchs in Nordengland auf, in Liverpool besuchte er die Kunstschule. Wie jeder Kunstschüler um 1977 schloss sich Drummond einer Punkband an, Big In Japan, gründete eine Plattenfirma, Zoo Records, und wurde Manager bei Warner, wo er sich neben heute vergessenen Bands um Echo & The Bunnymen und The Teardrop Explodes kümmerte. Die Gruppe Brilliant kennt man heute nur noch wegen ihres Gitarristen Jimmy Cauty. 1986 traf er auf Bill Drummond. Cauty war der Rockgitarre überdrüssig, er hatte erkannt, dass sich Musik mit elektronischen Gerätschaften weit effektiver und auch visionärer komponieren ließe. Drummond hatte vom Musikgeschäft genug. Zwei Hippies, die vom Punk gestählt waren, machten sich selbstständig. Ihr Unternehmen nannten sie The Sound of Mu(sic), ihre eigene Band The Justified Ancients of Mu Mu. Nach einem Geheimbund der „Illuminatus!“-Trilogie, einer satirischen Romanreihe der späten Sechzigerjahre, als Verschwörungstheorien noch nicht durchweg ernst genommen wurden. Dann haben sie ihre Firma umbenannt in KLF Communications, ausgeschrieben mal als Kings of Low Frequency und mal als Kopyright Liberation Front.

Das Copyright, eine Erfindung aus dem 16. Jahrhundert, wurde gründlich hinterfragt in der Musik von KLF. Für „All You Need Is Love“ verwandten sie den gleichnamigen Song der Beatles und den damals populären Discoschlager „Touch Me“ von Samantha Fox. Ein weiteres Stück, „The Queen And I“, basierte größtenteils auf „Dancing Queen“ von Abba. Abba klagten. KLF reisten nach Schweden, die Gesamtauflage ihres ersten Albums im Gepäck, um Björn und Benny umzustimmen, und nachdem sie abgewiesen worden waren, warfen sie die Platten in die Nordsee. Später sprachen sie von einem Scheiterhaufen in den Wäldern Schwedens, auf dem sie ihr Album 1987 (WHAT THE FUCK IS GOING ON?) geopfert hätten. Wie auch immer. Jedenfalls ist es seither nicht mehr im Original verfügbar. Es soll eine Neupressung gegeben haben, in geringer Auflage, allerdings ohne Samples. Ohrenzeugen sagen, dass die Stille auf der Platte nur gelegentlich vom Schlagzeug unterbrochen worden sei. Ohne Legenden, Mythen, Mumpitz war das Werk von KLF nie denkbar. Die Musik eines Geheimbunds zum Erzeugen billiger aber bedeutender Hits.

Im Frühjahr 1988 hießen sie vorübergehend The Timelords und veröffentlichten „Doctorin‘ The Tardis“, eine drei Minuten und 33 Sekunden lange Single. Die dem Stück zugrunde liegenden Samples stammten aus der Fernsehserie „Doctor Who„, wo Notrufzellen als Zeitmaschinen dienten, und sie stammten aus den Siebzigern, aus „Rock And Roll (Part 1 &2)“ von Gary Glitter und aus „Blockbuster“ von Sweet. Im Video unternahm ein herrenloser Ford Galaxie Kontrollfahrten durch die Apokalypse. „Doctorin‘ The Tardis“ landete in Großbritannien in der Single-Hitparade auf dem ersten Platz. Drummond und Cauty freuten sich auf ihre Weise. Sie verfassten „Das Handbuch – Der schnelle Weg zum Nr. 1 Hit“, geschrieben in sarkastisch-salbungsvoller Ratgeberprosa: „In Teilen des Handbuchs werden wir Dich bevormunden. In anderen betrügen. Wir werden Dich belügen, wie wir uns selbst belogen haben. Du jedoch wirst diese Lüge durchschauen und die durchschimmernde, leuchtende Wahrheit erkennen.“ Und wie jede höhere Wahrheit war die Botschaft ohne eine tiefe und verwirrende Dialektik nicht zu haben. „Der größte Widerspruch in der jüngsten Geschichte des Pop liegt vielleicht zwischen Kalkulation und Intuition, zwischen Wissen und größter Unschuld“, schrieb Jon Savage, der Chronist des Punk, im Vorwort. Darum ging es. Nicht um den Triumph zweier erfolgsbesoffener Zyniker, sondern durchaus ernste Botschaften: Misstraue dem Geschäft, und liebe die Musik! Die Hit-Bibel warnte ausdrücklich vor dem Fluch der Nr. 1. „Spitzenreiter der Hitparade zu sein, bedeutet, dass Dein Song innerhalb kürzester Zeit zu Tode gespielt wird Dein Ruhm blüht auf, um sofort wieder zu verblassen“, teilten KLF dem desillusionierten Leser mit. Kein Buch hat die Essenz des Pop jemals so klar erkannt: Man macht etwas, das sich auf rätselhafte Art mit Sinn und einem Warenwert auflädt. Man macht aus Scheiße Geld, und keiner weiß, wie und warum. Charts sind immer wieder gut für Überraschungen.

„Wir garantieren die Rückerstattung des vollen Kaufpreises, wenn Sie innerhalb von drei Monaten nach Erwerb dieses Handbuches und unter der Bedingung, unsere Anleitungen minutiös befolgt zu haben, es nicht schaffen sollten, eine Nummer-1-Single in den offiziellen UK-Charts zu erreichen“, versprachen Drummond und Cauty, und das war die einzige wahre Lüge ihres „Manuals“. Sie selbst brauchten drei Jahre für die nächste Nr. 1 in Großbritannien, mit der Single „3 A.M. Eternal“. Zuvor hatten sie die Welt der zuversichtlich anbrechenden Neunzigerjahre mit „What Time Is Love?“ erobert, mit denselben Samples. KLF hatten nicht nur das radikale Sampling aus der Avantgardemusik im Pop als künstlerisches Mittel durchgesetzt. Sie prägten auch die Rave-Kultur und sorgten dafür, dass den Ravern mehr geboten wurde als „Pure Trance“, wie sie das damals nannten, was sie sich zusammensampelten. Beim Helter Skelter Rave in Oxfordshire verteilten sie unter den Tänzern 1 000 Pfundnoten der Bank von Schottland mit dem Gruß: „Kinder, wir lieben euch!“ Sie sampelten den Stadionlärm aus großspurigen Livealben wie RATTLE AND HUM von U2 und sagten „Stadium House“ dazu. Damit verschmolzen auch auf Platten Sender und Empfänger, nicht nur auf den Rave-Wiesen. Ohne die herrlich stumpfen Hits von KLF hätte es Daft Punk nie gegeben, Scooter aber auch nicht. Nebenbei erfanden sie mit ihrem Album CHILL OUT kurzerhand das Gegenteil. Ein einziges Stück in 14 Tracks mit Balzlauten von Vögeln und Insekten und mit Eisenbahngeräuschen für die Flucht nach innen.

1991 waren KLF erfolgreicher im Popgeschäft als alle anderen auf der Welt. Zwei menschliche Maschinenmusiker, die noch viel lieber ihre Ruhe hatten. Drummond saß lieber daheim vor seinem Landhaus und hörte den Vögeln zu, und Cauty hörte lieber alte Platten in seinem besetzten Haus in Liverpool. Sie remixten die Pet Shop Boys und Depeche Mode. Niemand beschwerte sich noch über unsittliche Samples. Whitney Houston war derart erfreut über das Zweckentfremden von „I Wanna Dance With Somebody“, dass sie anbot, in Konzerten KLF-T-Shirts zu tragen, wenn die beiden Whitneys Album I AM YOUR BABY TONIGHT neu abmischen und retten könnten. KLF erklärten: „Nichts zu machen. Alles Mist.“ Sie gaben Schafen auf der Weide Interviews, sie setzten Journalisten mit dem Hubschrauber auf einer unbewohnten Insel ab und überließen ihre Kritiker sich selbst. Mit einer Filmcrew flogen sie nach Spanien, um „The White Room“ zu drehen. Ihren ersten abendfüllenden Film, der daran scheiterte, dass es nur eine vage Vorstellung von Handlung oder Inhalt gab: Zwei Gralsritter des ausklingenden 20. Jahrhunderts auf der Suche nach dem Nichts. 250 000 Pfund verschwanden in den Wirren des Projekts. Anschließend nahmen sie THE WHITE ROOM auf, ihren Soundtrack ohne Film. Ein Lied sang Tammy Wynette. Die Country-Diva war betrunken, dafür hatten KLF ihr eine goldene Krone aufgesetzt.

Im Winter 1992 würdigten die Briten KLF als beste Band. Zur Preisverleihung, zu den Brit Awards, erschienen Drummond und Cauty auf der Bühne in Begleitung der Band Extreme Noise, sie feuerten mit schweren Waffenattrappen in den Festsaal, spielten „3 A.M. Eternal“ in einer verkürzten Grindcore-Fassung, traten ab und ließen durchsagen: „The KLF haben soeben das Musikgeschäft verlassen!“ Ein motorisierter Bote nahm den Brit Award entgegen. Ursprünglich hatten die Preisträger geplant, ein Schaf zu schächten, es auf offener Bühne auszuweiden und die Innereien ins Gestühl zu werfen, auf die Gäste. Sie legten das Schaf dann tot am Ausgang ab und hinterließen die Notiz: „Ich starb für dich. Bon appetit.“ Ein Tieropfer für die gefräßigen Popgötter. Am 24. Mai 1992 reichten sie eine amtliche Erklärung nach, die nichts erklärte, aber das Kapitel KLF nach fünf Jahren beendete. Sie nahmen ihre Platten aus den Läden und vom Markt, zumindest offiziell, sie waren dann mal weg.

Drummond und Cauty traten ein in ihre rein konzeptionelle Phase. 1993 gründeten sie eine Stiftung, die K Foundation, deren Hauptanliegen sie im kreativen Geldverschwenden sahen. Während der Turner-Preis für den besten Künstler mit 20 000 Pfund honoriert wurde, lobten KLF das Doppelte aus, für den schlechtesten. Der erste K-Preis ging an Rachel Whiterhead, zugleich Trägerin des Turner-Preises der Tate Gallery. In der Welt von Drummond und Cauty lag darin kein Widerspruch, sondern die Logik des Systems. Im Jahr darauf boten sie der Tate Gallery selbst ein eigenes Kunstwerk an. „Nailed To The Wall“ hieß die Installation, eine Million Pfund in kleinen Scheinen waren auf ein Brett genagelt worden, von ihnen persönlich. Für 500 000 Pfund hätte es die Tate Gallery kaufen können. Das Museum legte darauf keinen Wert. Die Bank wollte das Geld nicht wiederhaben, angeblich wegen der Nagellöcher. Gegen eine angemessene Gebühr hätte das Geld ersetzt, die perforierten Banknoten entwertet werden können, in speziellen Öfen. „Das brachte uns auf eine Idee“, sagt Drummond 19 Jahre später.

Die Idee bestand darin, das Geld in Koffern auf die Insel Jura zu verschiffen, nach Westschottland, und es dort in einem Bootshaus zu verbrennen. 20 000 50-Pfund-Scheine, eine Million. Nach einer guten Stunde war die Summe vollständig verschwunden, am 23. August 1994. Gimpo, der den ehemaligen Musikern als Freund und Roadie nahestand, hatte das Brandopfer gefilmt. „Watch The K Foundation Burn A Million Quid“ hieß der Film. Als er gezeigt wurde, gingen in Großbritannien landesweit Beschwerden ein und Strafanzeigen. Auch U2 und Sting beteuerten, sie hätte die Million gestiftet für die Armen dieser Welt. Am schwersten fiel es den Vandalen allerdings, die Tat den eigenen Familien zu erklären. Beide stammten aus bescheidenen Verhältnissen, und beide mussten heim zu Frau und Kindern. 1997 reisten KLF mit ihrem Film wieder durchs Land, um Antworten zu finden, die sie selbst nie hatten. Sie zeigten die Dokumentation in Schulen und Gefängnissen, in Galerien und Kirchen. Immer endete es damit, dass die Zuschauer in Streit gerieten und die Künstler das Gezänk ums Geld, das nicht mehr da war, wiederum in Ruhe filmen konnten. „Ich weiß nur, was die Aktion auf keinen Fall war: Kunst“, sagt Drummond.

Nur was war es dann? Ein Leuchtfeuer im finsteren Geschäft der Popmusik? Ein Lichtschein auf die wahren Zyniker? Ein Kommentar zu den millionenteuren Videoclips der Konkurrenz? Die größte Gotteslästerung, die im Kapitalismus möglich ist? Noch einmal Drummond: „Wir haben das Geld einfach verschwinden lassen. Das hat nichts mit gut oder böse zu tun. Wir haben lediglich den Kreislauf unterbrochen. Papier war das Zahlungs-und das Machtmittel des 20. Jahrhunderts.“ Er sagt, er bereue es. Nicht wegen der verlorenen Million, sondern wegen des falschen Ruhms durch die Performance. Cauty sagt, es reue ihn nicht im Geringsten. Allerdings hätte er gern das Geld zurück. Mit „Watch The K Foundation Burn A Million Quid“, so viel ist heute sicher, hat die Popguerilla KLF ein bleibendes Werk geschaffen. Eine lodernde Kritik der Warenästhetik, ohne die es Popmusik nicht gäbe – in der die Musik aber auch niemals ihren Frieden finden wird. Als das Jahrhundert des Papiergelds dann tatsächlich langsam ausklang, kehrten KLF ein letztes Mal als KLF zurück. Sie buchten eine Magazinanzeige: „Sie sind wieder da. Die Erfinder des Trance. Die Lords des Ambient. Die Könige des Stadium House. Die Paten des Techno Metal. Die besten Raver aller Zeiten. The KLF!“ Den Auftritt absolvierten sie unter dem Pseudonym 2K in Schlafanzügen und in Rollstühlen. Begleitet wurden sie von einem Seemannschor und streikenden Hafenarbeitern. Sie sangen „K Cera Cera (The War Is Over If You Want It)“ und den Klassiker „What Time Is Love?“ mit einer Blaskapelle und verändertem Refrain: „Fuck The Millennium!“ Nach ihrer Comeback-Satire tauchten sie als KLF endgültig ab. Ihre Millenniumsabschiedssingle fand sich unter den Top 40 wieder. 1999 löste Cauty dann noch mit den Solid Gold Chartbusters das Nr.-1-Versprechen letztmals ein, mit seinem Weihnachtstanz „I Wanna 1-2-1 With You“.

Im 21. Jahrhundert hörte Cauty auf, Musik zu machen. Drummond ging noch weiter: Er rief jeden 21. November, den Namenstag der Heiligen Cäcilie, der Schutzpatronin der Kirchenmusik, zum No Music Day aus. Keine Musik am 21. November, nirgends, der platonische Verdacht der musikalischen Verwahrlosung. Trotz des verfeuerten Vermögens leben Drummond und Cauty sorgenfrei von den Tantiemen ihrer Hits. Auch dank der guten, alten GEMA. Damit leben sie im wunderbarsten ihrer Widersprüche. Sie haben das geistige Eigentum zur Diskussion gestellt, indem sie ihre Sampler vollkommen zu Recht als das begriffen haben, was sie immer waren: vollwertige Instrumente. Alle Komponisten schreiben die Musikgeschichte fort, sie ordnen Töne, Klänge und Geräusche, und am Ende schicken sie ein neues Stück hinaus, wo es ein Hit wird oder nicht. Das alte Copyright versucht verzweifelt, sich ins digitale Zeitalter zu retten. Einerseits befehlen KLF in ihrem Hit-Bauplan: „Gib Deinen elsterhaften Trieben Vorschub.“ Ohne sie hätte es Sampling-Großmeister wie DJ Shadow oder Digitalkonzeptkünstler wie Matthew Herbert nie gegeben. Andererseits wären sie arm ohne das alte Copyright. So müssten sie nie wieder musizieren.

Jimmy Cauty ist heute als bildender Künstler unterwegs, zuletzt mit seiner Ausstellung „A Stamp’s Collectors Guide to World Domination“. Er hat Briefmarken der königlichen Post propagandistisch umgestaltet. Die Queen mit Gasmaske. Der Glockenturm des Parlaments in London, der Big Ben, mit einem Flugzeug in der Brust. Ein brennender Tony Blair, der ewige Sünder des New Labour. Cautys Botschaften sind immer noch so eindeutig und klar wie seine Rave-Hymnen der späten Achtziger und frühen Neunziger. Und wie sich Abba damals gegen die Enteignung wehrten, wehrt sich nun die Royal Mail gegen das Sampeln ihrer Briefmarken. Cauty hat bereits eine eigene Post begründet, den Cautese National Postal Service, und, weil nur der Staat die Marken drucken darf, die Independent Union of Cautese States. Sein alter Kamerad Bill Drummond reist umher mit seinem Chorprojekt The 17. Es geht ihm nicht nur darum, dass Menschen überall wieder gemeinsam singen. Drummond will, dass sie gemeinsam singen, ohne dass es jemand aufnimmt: „Heute kann ich alles hören, was ich will. An jedem Ort zu jeder Zeit. Das führt dazu, dass jeder denkt, dass früher alles besser war. Vor allem die Musik. Aber erst wenn sich die Musik wieder von ihrem Irrtum löst, dass sie nur aufgenommen existiert, wird sie auch wieder neu und besser werden.“ KLF sind immer noch die Alten. Sie sehnen sich nach der Zukunft. Früher haben sie Musik als Material benutzt, und als sie musikalisch nicht mehr weiterwussten oder – wollten, die gesamte Popkultur.

Aber sie sind auch KLF geblieben, weil sie ihr Geschwätz von gestern nie geschert hat. Plötzlich musizieren sie wieder gemeinsam. Bei den Chatham Forts: Wild Billy Childish singt, der ewige Kauz des Postpunk, Cauty steht am Bass und Drummond an der Orgel und am Xylofon. Die Single ihrer neuen Band heißt „All Our Forts Are With You“. Auf der Rückseite, in „Musical Tribalist“, heißt es: „I’m a musical taxidermist, a musical theorist, a musical terrorist!“ Im Sommer kommt ein ganzes Album von den Chatham Forts mit KLF im Hintergrund. Sie kehren zur Musik der späten Siebziger zurück, zu ihren Anfängen. Man weiß nicht, ob das ein Konzept ist oder nicht. Das wussten auch sie selbst erst immer hinterher: das Sampling, die Erfolge, das Handbuch, die Geldverbrennung. „Es war immer alles ziemlich einfach“, erklärt Jimmy Cauty. „Vielleicht war es auch zu einfach.“

DRUMMONDISMEN

„Ich würde nie behaupten, ein Rebell zu sein. Ein Rebell ist jemand, der die Macht, die er bekämpft, anerkennt.“

„Ich werde für den Rest meines Lebens der Mann sein, der eine Million Pfund verbrannt hat.“

„Niemand beschwert sich, wenn Madonna Millionen für ein dreiminütiges Video ausgibt. Wir haben eine Million verbrannt und dabei einen abendfüllenden Film gedreht.“

„Als mein Sohn einmal aus der Schule kann und fragte: ‚Dad, stimmt es, dass du 100 Pfund verbrannt hast?‘, wünschte ich mir, es wären 100 Pfund gewesen.“

„Ich hasse den Titel ,Künstler‘.“

INSPIRIERT VON

MARCEL DUCHAMP

JOHN CAGE

PIERRE SCHAEFFER

BRIAN ENO

MALCOLM MCLAREN

THROBBING GRISTLE

HABEN INSPIRIERT

RAVE

JULIAN COPE

DAFT PUNK

DJ SHADOW

MATTHEW HERBERT

THE EARLIES

DER KANON

1987 (WHAT THE FUCK IS GOING ON?) (1987)

Als ihr Debütalbum im Sommer 1987 erschien, wurden KLF von der britischen Gesellschaft zum Schutz des Urheberrechts aufgefordert, die Pressungen umgehend wieder zu vernichten. Wegen der unerlaubten Samples. Die Songs bestanden aus Versatzstücken der Monkees und der Beatles, aus Aufnahmen von Dave Brubeck und Abba. Nachgepresste Exemplare des Albums werden heute selten unter 70 Euro gehandelt.

CHILL OUT (1990)

Es sah aus wie ein Pink-Floyd-Album mit seinen glücklichen Tieren auf dem Titel. Und es klang auch so: Die Sampler reisten musikalisch durch Amerika, von Texas nach Louisiana, immer an der Golfk üste entlang. Fleetwood Mac waren mit „Albatross“ zu hören, Elvis sang „In The Ghetto“, Mister Acker Bilk blies „Stranger On The Shore“. Das konnte man im Walkman hören, wenn man von den aufregenden Raves wieder nach Hause fuhr.

THE WHITE ROOM (1991)

Aus dem geplanten Film „The White Room“ wurde nichts, da nahmen KLF einfach ein neues Album auf, mit dem sie so erfolgreich wurden wie niemals zuvor und nie wieder danach. Die Singlehits „What Time Is Love?“, „3 A.M. Eternal“ und „Last Train To Trancentral“ verkauften sich millionenfach. Zum Abschied wollten KLF noch eine Thrash-Metal-Version veröffentlichen, als THE BLACK ROOM. Daraus wurde leider auch nichts.

SHAG TIMES (1989)

Um alle Welt an ihrem Wirken teilhaben zu lassen, veröffentlichen KLF noch unter The Justified Ancients Of Mu Mu 1989 eine Sammlung ihrer liebsten Aufnahmen. Von „All You Need Is Love“ über „Whitney Joins JAMs“ bis „Doctorin‘ The Tardis“, ihrer ersten Nr. 1. Vor allem legten sie dem Album eine Mix-CD bei, auf der sie exakt vermerkten, auf wie viele Beats per minute jeder ihrer Mixes angelegt war. Zwischen 90 und 125.

SPACE (1990)

Ebenfalls zur Pulssenkung war SPACE gedacht, von Jimmy Cauty aufgenommen für The Orb, aber dann unter KLF veröffentlicht. Es fing beim Klang des Merkurs an, jeder Planet wurde besucht, außer der Erde, bis hinaus zum Pluto, der damals noch als Planet galt. „Twinkle, Twinkle, Little Star“ spielte der Sampler, und die Synthesizer schwirrten durch den virtuellen Orbit. Die gute alte Sphärenharmonie.

DAS HANDBUCH – DER SCHNELLE WEG ZUM NR. 1 HIT, GELESEN VON BELA B. (2003)

Den Ärzten war es in den Achtzigern und Neunzigern ebenfalls gelungen, mit bescheidenen künstlerischen Mitteln und umso mehr Mutterwitz die Hitparaden zu erobern. Bela B. liest aus dem „Manual“ und trifft dabei exakt den angemessenen Ton. Sonor und feierlich erörtert er, wie man Musik macht, die Millionen Menschen kaufen wollen. Rundum glaubwürdig.

DER SCHNELLSTE WEG ZUR NR. 1 – KLF KOMPRIMIERT

„Das erste Zubehör, das Du finden musst, ist der unwiderstehliche Dancefloor-Groove: Er ist das Grundschema von Drum und Bass und allen anderen Sounds, zu denen man nicht singen kann. Pack Deine Dancefloor-Compilations auf den Plattenspieler und gib Dich dem Groove hin, bis die Antwort auf die Frage ,Can you feel it?‘, Ja.‘ lautet. Die Goldenen Regeln für einen klassischen Nr. 1 Hit verlangen ein Intro, erste Strophe, erster Refrain, zweite Strophe, zweiter Refrain, Break Down, doppelter Refrain und Outro. Jeder dieser Abschnitte besteht aus einer durch vier teilbaren Anzahl von Takten. Als Nächstes brauchst Du einen Refrain. Der Refrain ist der Teil, der Dich zum Mitsingen zwingt. Lege Deine Dance-Compilations auf und singe die Break-Down-Sektionen mit: irgendwelche Worte, was gerade aus Deinem Mund kommt. Sieh zu, dass Du einen Songtitel findest, den man auch als Anfangszeile des Refrains benutzen kann. Jetzt kannst Du die Konstruktion der Strophe angehen. Unter Zuhilfenahme des Grooves musst Du eine Bassline auswählen. Wenn der Refrain vorbei ist, darf man kein größeres Verlangen spüren, als in die Umarmung der Bassline zurückzugleiten. Es gibt zwölf verschiedene Dur- und zwölf verschiedene Moll-Tonarten. Jede Tonart besteht aus acht Noten. Werden zwei oder mehr Noten zusammen gespielt, ist das ein Akkord. Es gibt drei grundlegende Durund drei Moll-Akkorde in jeder Tonart. Das war’s schon. Jeder Song wird in einer bestimmten Tonart aufgenommen. Sage dem Programmierer, er soll die gleiche nehmen, die der Groove hat. Der klassische Ansatz für ein Intro wäre eine Instrumentalversion des Refrains. Auch für das Outro wird der Toningenieur die richtige Lösung parat haben, wenn er den Track auf drei Minuten und dreißig Sekunden komprimiert hat.“

DAS KLF-MIXTAPE

1. Doctorin‘ The Tardis 12“ Club Mix 2. America: What Time Is Love? 3. 3 A. M. Eternal (Wayward Dub Version) 4. Elvis On The Radio, Steel Guitar In My Soul 5. Burn The Bastards (JAMs Have A Party Mix) 6. Pet Shop Boys: So Hard (KLF Remix) 7. Last Train To Trancentral (Pure Trance Version) 8. Justified & Ancient (Stand By The JAMs) 9. Mars 10. Depeche Mode: Policy Of Truth (KLF Remix) 11. Wichita Lineman Was A Song I Once Heard 12. ***K The Millennium (Censored Radio Edit)

OUT OF KLF

Bill „King Boy D“ Drummond

Vor KLF nahm Bill Drummond zwei Solo-Alben auf, THE MAN und THE KING OF JOY, mit lustigen Songs wie „I Believe In Rock’n’Roll“ und „Julian Cope Is Dead“. Nach KLF wandte er sich vor allem der bildenden Kunst zu, mit der er konzeptionell allerdings nahtlos an sein musikalisches Wirken anknüpfte. Er erwarb ein Foto des berühmten Künstlers Richard Long für 20 000 Pfund. Als er das Werk für 20 000 Pfund nicht wieder los wurde, zerschnitt er es in 20 000 Teile, um jeden Schnipsel für ein Pfund zu veräußern. Als auch dies misslang, veröffentlichte Drummond ein Buch. In „How To Be An Artist“ beschrieb er den Kunstmarkt auf noch heute unerreichte Weise. Zuletzt entdeckte er für sich die Kunst des Chorgesangs.

Jimmy „Rockman Rock“ Cauty

Vor KLF blieb Jimmy Cauty als Rockgitarrist weitgehend erfolglos. Bereits während seiner KLF-Arbeit, 1988, gründete er mit Alex Patterson, einem ehemaligen Roadie der Band Killing Joke, das Projekt The Orb. Bahnbrechend war ihr eine ganze LP-Seite beanspruchendes Stück „A Huge Ever Growing Pulsating Brain That Rules From The Centre Of The Ultraworld“. Das beabsichtigte Debütalbum SPACE wurde von Jimmy Cauty 1990 unter KLF veröffentlicht. Nach KLF musizierte er wieder mit The Orb, aber auch in zahlreichen eigenen Bands wie Transit Kings und Blacksmoke. Er fertigte Remixes für Hawkwind, Ian Brown, Placebo und Marilyn Manson an. 2003 erklärte Cauty, sich endgültig von der Musik abzuwenden.

Im nächsten Heft: ME-Helden, Teil 25 – Prefab Sprout