Jeff Lynne – „Ich bin ein Beatles-Fanatiker“


Spätestens seit jener jeder-Song-ein-Hit-LP „A New World Record“ steht der Name Electric Light Orchestra für stilvollen Edelpop. Und nach ihrem nahezu opernhaften Ausflug auf den vier LP-Seiten von „Out Of The Blue“ ließen ELO sich zwei Jahre Zeit, bis sie jetzt mit „Discovery“ zum nächsten Schlag ausholten (siehe auch ME 8/79). In unserem Interview erhellt ELO-Boß Jeff Lynne den Hintergrund der neuen Produktion. Außerdem gestattet er sich einen Rückblick auf die konfusen Anfangstage der Weltklasse-Formation von heute.

ME: Ihr habt angefangen als Electric Light-Orchestra; mit klassischer Streicherbesetzung. Ein Cello in einer Rockband war und ist nicht gerade an der Tagesordnung.

Jeff: Alles, was wir wollten, war eine Gruppe mit Streichern. Alle anderen Bands hatten damals ihre Bläser, wir wollten etwas Neues machen. Das muß Ende ’71 gewesen sein. Die Move waren schon gelaufen. Als ich dazukam existierten sie eigentlich gar nicht mehr, weil sie nicht live auftraten. Wir nahmen nur noch einige Singles auf, um ELO zu finanzieren. Der Anfang war chaotisch! Wir tourten eine Woche durch Italien, es war grauenvoll. Als wir zurückkamen, erklärte uns unser Manager, daß Roy Wood ausgestiegen sei, um mit drei anderen Leuten aus der ELO-Formation eine neue Band aufzuziehen. Zusammen mit Bev (Bevan) und Richard Tandy habe ich ELO dann völlig neu formiert. Das war ungefähr Mitte 1972. Da hat es eigentlich erst richtig angefangen.

Allerdings kann ich die ersten beiden Alben nicht mehr hören. Die Stücke sind viel zu lang und viel zu prätentiös arrangiert. Ich finde, daß wir erst ab „Eldorado“ eine akzeptable Form gefunden haben. Früher wollte ich den falschen Leuten imponieren und tat folglich auch nicht die Dinge, die ich gut fand.

ME: Wie versteht ihr den Titel eurer neuen LP: als „Discovery“ oder „Disco-very“?

Jeff: Richard, unser Keyboardmann, kam auf „Discovery“. Wenn wir zusammensitzen, um einen Titel festzulegen, dann wird jeder Vorschlag ersteinmal grundsätzlich von irgendjemandem niedergemacht. Aber als Richard dann mit ‚Disco-very‘ auftrumpfte… Ich persönlich stehe auf Discobeat. Es gibt da natürlich viel Abfall, aber nebenher auch eine ganze Menge starker Scheiben!

ME: Jeder weiß, daß du ein großer Beatles-Fan bist;schließlich hört man es euren Platten auch an. „Diary Of Horace Wimp“ ist nun auf „Discovery“ das Stück, das den stärksten Beatles-Einfluß verrät.

Jeff: Ja, aber ich glaube, das liegt mehr am Sound. Ich bin wirklich ein Beatles-Fanatiker und schäme mich auch nicht dafür. Erst fiel mir überhaupt nichts für den Text ein, bis ich dann auf die Idee mit dem Tagebuch kam. Irgendwann nachts fiel mir dann auch der passende Name für die Hauptfigur ein: Horace Wimp. Ich hab‘ mir überlegt, ob ich das Tagebuch in Monate oder Tage aufteilen sollte. Dann merkte ich, daß ich überhaupt nur sechs Strophen hatte, so habe ich den Sonnabend ausgelassen …… Nun, die Entschuldigung dafür ist…

ME: …es war sein freier Tag!

Jeff: Nein, in dem Tagebuch fehlte eine Seite…

ME: Ihr seid so stolz auf eure elektronische Sprechmaschine, den Vocoder, und ihr setzt ihn auch sehr unterschiedlich ein.

Jeff: Du schließt ein Mikrophon und ein Keyboard an verschiedene Kanäle dieser kleinen Zauberbox an. Was du jetzt ins Mikrophon sprichst, kommt im Sound des Keyboards (oder der Gitarre, je nachdem, was du angeschlossen hast) wieder heraus. Der Vocoder steuert die von den Instrumenten abgegebenen Frequenz Signale. Ich habe jetzt versucht, einen Perkussion-Effekt zu erzielen: bah, bah, dee, dee, dee… Das Keyboard spielte tatsächlich, was ich durch’s Mikrophon sang. Das ist eine sehr originelle Art, den Vocoder einzusetzen. Die meisten singen nämlich nur ein paar Worte hinein, und das hört sich dann an, als ob ein Instrument singt.

ME: Wie siehst du nun persönlich die neue LP „Discovery“ im Vergleich zum Doppelalbum „Out Of The Blue“, das vor zwei Jahren erschien. Ist es ein Schritt vorwärts oder „Out Of The Blue“, Teil 2?

Jeff: Mit Sicherheit ein Schritt vorwärts. Ich verlasse mich heute viel weniger auf einen großen Orchestersound; die Streicher sind diesmal viel leiser untergemischt worden als je zuvor, und die Stimmen stehen viel stärker im Vordergrund. Das ist für mich als Produzent und Sänger ein beachtlicher Fortschritt.

ME: Du hattest vor vielen Jahren die Idee, eine Gruppe mit Streichern zu formieren. Hast du das Gefühl, daß innerhalb dieser Formation, dieses Konzeptes noch Möglichkeiten offen sind? Oder meinst du, es sei langsam an der Zeit, etwas Neues auszuprobieren?

Jeff: Sowohl als auch. Manchmal würde ich gern etwas Neues ausprobieren, und manchmal meine ich wieder, ich würde für das kommende Album erneut einige gute Sachen zusammenbekommen. Wenn ich gerade ein Album fertig habe, freue ich mich schon darauf, mit dem nächsten anzufangen. Aber ich werde beides machen. Etwas völlig anderes und das nächste Album von ELO, wann immer es soweit ist. Vielleicht nächstes Jahr. Wir werden etwas anderes versuchen, vielleicht wird es ein Konzeptalbum.

Ich habe immer massenweise Ideen, die ich aber nicht umsetzen kann, weil wir in den vergangenen drei Jahren ständig unterwegs waren. So blieb mir nie die Zeit, etwas anderes zu tun. Immer wenn wir ein Album fertighatten, war wieder eine Tournee angesagt. Danach nahmen wir uns eine Woche frei und dann war es schon wieder Zeit für eine neue LP. Bisher hatte ich also nicht einmal die Gelegenheit, über ein neues Projekt nachzudenken. Aber in diesem Jahr habe ich Zeit…