Wenn Jet-Set auf Familienleben trifft: Moderat im Interview


Zurückhaltung und Reduktion: Gernot Bronsert, Sebastian Szary und Sascha Ring im Interview über Arbeitsabläufe, melancholische Musik, egale Texte und ihr neues Moderat-Album II, das Ihr hier im Stream hören könnt.

Die Modeselektor-Apparat-Fusion Moderat, gewissermaßen die Supergroup der deutschen Elektronik-Szene, hat sein zweites Album aufgenommen. Das nennt sich schlicht „II“, hört sich deutlich anders an, als das Debüt – und ist so großartig, dass es zu unserer Platte des Monats in der August-Ausgabe des Musikexpress erkoren wurde. Ein Gespräch mit Gernot Bronsert, Sebastian Szary (Modeselektor) und Sascha Ring (Apparat) über Zeitmanagement, Zehnminüter, Zwischenstücke und Auf-die-zwölf-Effekte.

Musikexpress: Auf Eurer Internetseite ist zu lesen, dass Ihr bei den Aufnahmen um gefühlte zehn Jahre gealtert seid. Hört sich nach einer anstrengenden Produktion an.

Gernot Bronsert: Ja, anstrengend war es auf jeden Fall! Das hatte einerseits damit zu tun, dass wir keine klassisch ausgebildeten Bilderbuchmusiker sind, die ins Studio gehen und bereits wissen, dass sie jetzt gleich eine Ballade oder einen Dancetrack produzieren. Was sich jedoch als der kräftezehrendste Akt an dem ganzen Projekt erwiesen hat, war der Umstand, dass „wir“ – im Sinne von Modeselektor und Apparat – neben unseren unterschiedlichen musikalischen Vorstellungen mittlerweile auch völlig verschiedene Lebensmodelle haben – auch wenn wir uns menschlich sehr nahe sind.

Wie unterscheiden sich Eure Lebensmodelle denn?

Gernot: Szary und ich sind einfach anders gestrickt als Sascha. Wir haben beide eine Familie und sind eher bodenständig, während Sascha ein ziemlicher Jetset-Mensch ist, der mehr unterwegs als zuhause ist. Das hat dann natürlich Probleme im Hinblick auf die Arbeitszeiten nach sich gezogen. So mussten wir Sascha quasi zwingen, tagsüber zu arbeiten, da nachts arbeiten bei uns nicht geht.

Wie sah so ein typischer Arbeitstag bei Euch aus?

Gernot: Wir haben uns immer morgens getroffen und gearbeitet, dann gab es eine Pause, in der jeder seine Sachen machte. Szary zum Beispiel hat seine Tochter von der Musikschule abgeholt, ich meine Kinder vom Kindergarten – bevor es dann abends noch mal ins Studio ging. Die Arbeit hatte also sehr viel mit Zeitmanagement zu tun. Und es war gar nicht mal so einfach, Kreativität und Zeitmanagement miteinander zu verbinden.

Sascha: Man realisiert irgendwann auch, dass dieses bedingungslose Sich-Wegschließen und sechs Monate nur noch in diesem kleinen künstlerischen Raum, den dieses Album ja darstellt, zu leben, nicht mehr möglich ist. Das ist auch mir nicht mehr möglich, selbst ohne Familie. Ich habe ja auch noch ein paar Verpflichtungen…

Gernot: ( lacht) Ach ja? Welche denn?

Sascha: Na ja, egal. Man verändert sich jedenfalls in seinem Schaffen. Früher war es eher so, dass ich irgendwann aufgestanden bin, auf dem Weg ins Studio kurz ein Brötchen gegessen habe, und dann nach zwölf Stunden Arbeit auf einmal mitbekam, dass ich in der Zwischenzeit gar nichts gegessen habe. Das funktioniert heute einfach nicht mehr so. Daher braucht es eine gewisse Organisation beim Musikmachen. Gerade in der Ideenfindungsphase widerspricht sich das zwar auch manchmal, da in dieser Phase so ein Aus-dem-Bauch-heraus-arbeiten nicht verkehrt ist. Wenn man dann anfängt zu viel drüber nachdenken zu müssen und das zu arg zu organisieren, ist das ein bisschen schwierig.

Arbeitet Ihr mehr parallel oder mehr gemeinsam?

Sascha: Am Anfang arbeitet man viel parallel und macht viele Baustellen auf, um erst mal möglichst viel zu erschaffen. Wenn man dann eine gewisse Anzahl an Stücken beisammen hat, geht es aber ganz fokussiert an die Produktion, da man weiß: Diese 13 Stücke werden jetzt fertig gemacht. Das ist auch der Moment, an dem sich die anderen nicht mehr wohl fühlen, wenn einer alleine an einem Song arbeitet. Man hat dann einfach Angst, dass Sachen verändert werden, die schon mal in einem gemeinsamen Gremium beschlossen wurden.

Das erste Stück auf II habt Ihr „The Mark (Interlude)“ genannt. Wie ist das zu verstehen? Als Zwischenspiel beziehungsweise Verbindungsstück zwischen dem ersten und dem zweiten Album?

Gernot: Wir fanden es einfach interessant, die Platte nicht mit einem richtigen Stück anfangen zu lassen. Diese Interludes waren ursprünglich einmal Songideen, also gewissermaßen „Abfallprodukte“ im positiven Sinne…

Sascha: …wobei „The Mark“ tatsächlich von der ersten Platte stammt.

Szary: Das ist zum Beispiel eines von diesen herausgekramten Dingern. Die Basis eines Songs, der nie fertig geworden ist.

Sascha: Insofern ist Deine Theorie gar nicht so schlecht – mal abgesehen davon, dass wir das völlig unbewusst so gemacht haben. Aber eigentlich ist es tatsächlich eine Art Verbindungsstück.

Gernot: Quatsch, das haben wir total durchkalkuliert!

Szary: Unsere Plattenfirma hat das für uns durchkalkuliert!

Ob nun durchkalkuliert oder nicht: Dieser Punch, dieser „ Auf-die-Zwölf-Effekt“, den Ihr auch auf dem Cover Eures Debüts abgebildet habt, ist auf dem neuen Album etwas in den Hintergrund geraten. II kommt wesentlich zurückgelehnter und ambienter, aber auch etwas dunkler und melancholischer daher.

Gernot: Dieser Punch ist ja gewissermaßen ein Körperteil von uns – und der ist immer noch da! Nur sind wir jetzt anders an die Arbeit rangegangen, hatten produktionstechnisch ein anderes Händchen und waren viel filigraner in der Herangehensweise. Wir waren uns als erstes darüber einig, wie der Sound sein muss, und haben viel Augenmerk darauf gelegt, wie das Album klingen soll und was für Bilder wir erzeugen wollen. Das war der erste gemeinsame Nenner den wir hatten. Wenn man sich die Sachen genau anhört, haben die einen tierischen Punch – besonders wenn man sich das über Kopfhörer oder über eine große PA anhört.

Sascha: Der Sound von II ist nur nicht mehr so plakativ punchig.

Gernot: Er ist einfach moderater.

Sascha: Die letzte Platte hatte ja eine Riesenbandbreite, und vielleicht haben wir die neue auch deshalb bewusst etwas mehr fokussiert. Deswegen haben wir uns auch gegen Gastsänger entschieden. Es sollte eher so eine Art „Band-Platte“ werden. Beim ersten Mal lief das eher nach dem Motto: „Wir treffen uns mal, laden ein ein paar Leute ein und alle haben großen Spaß dabei.“ Da wir uns jetzt mehr als Band verstanden haben, hat sich auch der Sound ein bisschen mehr vermittelt, auch das, wo wir gerade so stehen.

Szary: Daraus resultieren dann auch entsprechend mehr Songstrukturen.

Die veränderte Gewichtung zwischen Songs und Tracks auf II, also hin zu mehr Songs, ist tatsächlich ziemlich auffällig.

Gernot: Damals waren wir auch von anderer Musik beeinflusst. Wir kamen aus einem anderen Kessel – besonders Sascha war damals noch nicht mit seiner Apparat-Band unterwegs – und so war der Hintergedanke damals eher: „Lass uns mal eine Platte machen, die Apparat und Modeselektor wiedererkennen lässt.“ Und so war das dann auch mehr eine Kollaboration…

Sascha: …und das Album mehr eine Compilation.

Gernot: Jetzt war es eher so, dass wir uns erst mal Gedanken gemacht haben, wie wir da rangehen und das, was dann dabei rausgekommen ist, gleichzeitig nicht wirklich steuern konnten. Da kam zum Beispiel Sascha mit einem Text an, steuerte ich eine Bassline, Szary einen Beat dazu, und so entstanden dann tatsächlich Stücke mit Songstrukturen – bei der Produktion hat sich das wirklich sehr nach Band angefühlt.

Sascha: Als wir 2002 zum ersten Mal etwas zusammen produziert haben, war das im Vergleich zu später wie „im Sandkasten spielen“. Und auch zwischen den beiden Alben liegt ja eine ziemlich lange und intensive Tour, die wir zusammen durchgezogen haben – eine Tour, bei der vor allem ich gemerkt habe, dass ich nicht mehr alleine auf einer Bühne stehen kann und will. Die Interaktion auf der Bühne ist einfach etwas sehr Besonderes, das das Konzerterlebnis aus der Musikerperspektive total aufwertet. Von daher sehe ich Moderat auch als eine meiner zwei Bands an.

Wenn Sascha Moderat als eine seiner zwei Bands ansieht, wofür steht Moderat dann für die Mitglieder von Modeselektor?

Gernot: Für mich, und ich denke ich spreche da für uns alle, ist Moderat auf jeden Fall etwas Besonderes, auf das man sich freut. Es ist ein besonderer Zusammenschluss von Freunden, die sich lange kennen, die sich musikalisch etwas erarbeitet haben, die ihre Projekte auf einem gewissen Level vorantreiben. Besonders schön ist vor allem dieser Überraschungseffekt, dieser Clash zweier völlig unterschiedlicher Welten. Wenn man sich das mal vor Augen hält: Sascha macht gerade eine Tour durch bestuhlte Konzertsäle und Theaterhäuser….

Sascha: …ohne Beats, ohne Beats!

Gernot: …und Szary und ich nehmen nach wie vor volles Rohr, ohne Rücksicht auf Verluste die Festivals und Clubs auseinander – Schampusspritzen und Strobo inklusive.

Auch das macht natürlich total viel Spaß, aber letztendlich haben wir jetzt vor allem eine Sache gemeinsam: Wir freuen uns auf die neue Moderat-Phase, weil es ist jetzt auch mal wieder genug ist in Sachen Apparat und Modeselektor. Wir trennen das auch konsequent: Wenn wir Moderat sind, gibt es keine Apparat- und keine Modeselektor-Konzerte.

Wie lange werdet Ihr zusammen unterwegs sein?

Gernot: Wir fangen jetzt im August an zu spielen und das wird sich wahrscheinlich das ganze nächste Jahr über hinziehen. Bei der ersten Platte wollten wir ursprünglich drei Monate touren, weil wir nicht wussten, wie das Projekt Moderat so ankommt, und wir auch unsere eigenen Projekte nicht vernachlässigen wollten – letztlich wurden daraus fast drei Jahre.

Auf „II“ habt Ihr auch Stücke, wie etwa den herrlichen Zehnminüter „Milk“, die etwas komplexer wirken, als jene auf dem Debüt. Man hört verschleppt holpernde Beats, verwaschene Sounds…

Szary: Grundsätzlich bewegen wir uns schon immer noch in einem klassisch europäischen Vier-Viertel-Takt-Muster, aber wir lassen den Beat natürlich nicht einfach so durchbolzen. Wir wollten einfach einen Schritt weiter gehen, als auf dem ersten Album, das heißt: vor allem auch andere Sounds verwenden. Und wir hatten tatsächlich einige Sessions, in denen wir uns dachten: „Okay, genau so ungerade wie dieser Beat jetzt ist, können wir den auch einfach mal lassen.“

Sascha: Wir haben schon absichtlich nicht so auf den Quantisierungsbutton gedrückt, sprich, viele Sachen auf der Platte klingen in der Tat mit Absicht nicht perfekt. Und das muss man – vor allem als Formation, die 48 Mixe von „Rusty Nails“ (ein Stück auf dem ersten Album, Anm. d. Red.) gebastelt hat, und immer noch nicht zufrieden war – erst mal machen.

Und doch fügt sich das alles letztlich homogen zusammen.

Sascha: Was das Album letztlich doch zusammenhält, ist eine gewisse Weite. Es gibt trotz allem immer noch viele klangliche Räume, die sich da auftun.

Szary: Die sich durch unser Streben nach Raum und Tiefe auftun.

Besonders interessant ist doch, was da im Stück „Milk“ passiert. Das bahnt sich vermeintlich als fetter Tanzbodenkracher an, verwirrt dann erst mal ein wenig mit konsequenter Repetition, und entpuppt sich schließlich als sehr warmes, ambientes Stück mit einem regelrecht „kuscheligen“ Groove.

Sascha: Stimmt schon – mal abgesehen von dem Drop, wenn der Shaker und die Bassdrum reinkommen. Das war immer so ein Moment, an dem wir jedes Mal alle im Studio aufgestanden sind und die Stühle nach hinten geschoben haben.

Gernot: Ich glaube Zurückhaltung ist so eine Schule, durch die zumindest wir beiden von Modeselektor immer wieder aufs Neue gehen müssen, weil wir ja doch aus einem anderen musikalischen Kontext kommen. Für uns ist das nach wie vor eine spannende Erfahrung, Zurückhaltung zu üben.

Ist wahrscheinlich gar nicht mal so leicht, wenn man das nicht so gewohnt ist.

Gernot: Nein, wirklich nicht. Aber im Endeffekt war das Prinzip „ Zurückhaltung und Reduktion“ schon sehr prägend für das Album. Manche Songs haben wir ja sogar komplett wegreduziert.

Radikale Reduktion.

Sascha: Nullspurenreduziert.

Dafür gibt es ein Element auf II deutlich vermehrt zu hören: Saschas Stimme.

Gernot: Ich und Szary haben das ziemlich herausgefordert. Es gab hier teilweise richtige Eklats, harte Diskussionen zu diesem Thema. Letztendlich hat Sascha diese ganze Geschichte mit dem Gesang bis zum Schluss vor sich her geschoben. Am Ende blieb uns dann nur noch etwa eine Woche, und zu diesem Zeitpunkt waren viele Songs nur mit Dummy-Gesang ausgestattet, den wir in einigen Stücken dann einfach drin gelassen haben, da es oft auch sehr stimmungsabhängig ist, ob Sascha singen kann oder nicht.

Es sind ja besonders der Gesang und die Texte, die dem Album einen tendenziell eher melancholischen Charakter geben – gerade im Vergleich zum Debüt. War das eine bewusste Entscheidung, dem Album einen etwas dunkleren Anstrich zu verleihen? Gab es dafür vielleicht sogar einen bestimmten Hintergrund?

Sascha: Am Ende kommt das ja von mir. Ich schreibe die Texte und muss das singen. Da bin ich dann einfach ich. Das ist nichts was man bewusst macht.

Gernot: Was die Texte betrifft – da haben wir von Modeselektor uns nicht wirklich dafür interessiert, um ehrlich zu sein. Das war komplett Saschas Baustelle, weil wir einfach zu sehr mit der Musik beschäftigt waren. Was die musikalische Klangfarbe betrifft, sind einfach viele Sachen entstanden, wo er dann gut drauf singen konnte. Ich würde es auch gar nicht unbedingt Melancholie nennen, sondern eher eine Art „tiefes Gespräch“ zwischen Sound und Gesang – nach ein paar Gläsern Rotwein.

Viele Leute sind ja der Ansicht, dass es so etwas wie „ traurige Musik“ sowieso nicht gibt.

Gernot: Sagen wir mal so: Es ist einfach die Musik, die wir zu diesem Zeitpunkt gemacht haben. Wir konnten das nicht steuern und hatten auch niemanden hinter uns, der uns gesagt hat: „Fügt hier mal noch ein paar Dur-Noten ein, versucht den C-Part mal eine Oktave höher…“ 

Dürfte dann aber auch wesentlich mehr Arbeit sein, so als „ Band“ ganz ohne Produzenten.

Gernot: Ja, schon. Stücke wie „Milk“ oder „Bad Kingdom“ gingen zwar in einem Rutsch durch – bei anderen ist es jedoch eher so, als würde man eine Skulptur fertigen: Man fängt damit an, aus einem riesigen Block Granit etwas heraus zu meißeln. Das wird dann natürlich immer feingliedriger, bis plötzlich auch mal etwas von der Skulptur abbricht, und man sein komplettes Konzept ändern muss. Am Ende kommt dann immer etwas ganz Kleines – aber oft auch Geniales – dabei heraus.