So war’s beim Primavera Sound 2014 in Barcelona


Autor Ivo Ligeti ist nach Barcelona gereist und hat seine Eindrücke vom Primavera Sound Festival mitgebracht.

Die denkwürdigsten Momente beim diesjährigen Primavera Sound ereigneten sich immer dann, als ich irgendwann in den frühen Morgenstunden zurück in meinem Hostel angekommen auf Alvaro traf. Er war für die Zeit meines Aufenthalts in Barcelona mein Zimmergenosse. 24, aus Cadiz in Südspanien angereist, um Material für eine Reportage zu sammeln. Berufswunsch Journalist, doch arbeitslos aufgrund der Situation seiner Heimat. Nachdem ich aus der Parallelwelt des Parc del Forum, in der die Bühnen so coole Namen wie Ray Ban, Vice und Pitchfork haben, langsam auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt bin, zeigte Alvaro mir auf seiner Videokamera, was er in der Zwischenzeit getrieben hatte: Er war im Stadtteil Sants unterwegs, nur wenige Kilometer entfernt. Die Polizei räumte ein illegal bewohntes Gebäude, Autos brannten, Steine flogen, Fäuste auch. Es ist schon ein mulmiges Gefühl, dass man mich hierher geschickt hat, um von einem Ort des Hedonismus und der Freude zu berichten, während in dessen Dunstkreis so was passiert.

Das Festival selbst hätte dieses Jahr unpolitischer nicht sein können: Von den Parolen und Plakaten der letzten Jahre, von denen man mir berichtet hatte keine Spur, auch wenn die Probleme, die dahinterstehen längst nicht bereinigt sind und die Ergebnisse der letzten Europawahl noch zusätzlich für politische Brisanz sorgten. Zum einen liegt das sicher daran, dass das Primavera trotz Schritte in die entgegengesetzte Richtung ein ganz und gar unspanisches Festival ist: Überall hört und spricht man Englisch, auf den beiden größten Bühnen spielt, sobald es dunkel ist, kein einheimischer Act mehr. Vieles wurde auf Pre-, Post-, Hidden- und Sonstwas-Shows rund ums Festival outgesourcet, die eigentlich sehenswerten Gigs von Bands wie Grupo de Expertos Solynieve im Parc del Forum sind schwach besucht. Und auch wenn sich mit dem brasilianischen Barden Caetano Veloso immerhin ein Co-Headliner lateinamerikanischen Ursprungs im Line-Up findet: An der diesbezüglichen Larifari-Taktik der Betreiber wird weiterhin gemeckert werden.

Doch davon abgesehen hat sich viel zum Positiven verändert: Der oft kritisierte Mülltonnenmangel ist beseitigt (der Boden sieht trotzdem aus wie Sau), die beiden größten Bühnen liegen direkt gegenüber, sodass man auch zehn Minuten vor dem Nine-Inch-Nails-Slot noch gute Plätze ergattern kann. Und das Line-Up ist – wie jedes Jahr – lächerlich grandios, genau wie die Location. So ist das Primavera keine Kreuzung aus einem promifreien Coachella und einem saufboldlosen Rock am Ring, sondern vielmehr eine Fundgrube für (Nicht-)Nerds und solche, die es werden wollen. Für Menschen, die „Catch the Breeze“ mitsingen, als wär’s „Wonderwall“, die dich bei Deafheaven nicht aufheben, wenn du im Moshpit hinfällst, aber dafür sorgen, dass das gute Fleisch am Grillstand einsam vor sich hin brutzelt, während die vegetarischen Retortenfrikadellen schneller weg sind als die letzte Pixies-Bassistin. Ein schönes Durcheinander also, mit teils unschönen Hintergründen.

Und apropros Pixies: Die haben ja, auch wenn sie unten nicht auftauchen, auch noch gespielt. Bevor es zu The War On Drugs ging, stand ich mit etwas Sicherheitsabstand vor den Godfathers of Indie (Cindy) und sah ihnen dabei zu, wie sie ihren eigenen Mythos begruben – in merkwürdiger Gesellschaft: Zu meiner Rechten ein zwei Meter hoher, hackedichter Holländer, der kaum noch stehen konnte, aber die entscheidenden Stellen von „Caribou“ immer noch doppelt so inbrünstig und überzeugend gebrüllt hat wie Black Francis. Zu meiner Linken, von der Menge völlig unbeachtet, drei Fünftel von Slowdive, die kicherten wie Sechstklässler in der großen Pause, billiges Dosenbier tranken und nichts taten, was irgendwie darauf hindeutete, dass es sie die letzten zwanzig Jahre nicht gab. Sie standen da und schauten sich gemeinsam die only in it for the money-Band an, der genau das abhandengekommen ist, was man bei Slowdive bewundern kann. Die Unverkrampftheit, der Spieltrieb, das Unberechenbare. Sollten sich Slowdive zu einem neuen Album aufraffen: Es wäre wohl kein neues SOUVLAKI aber erst recht kein INDIE CINDY. Ich wünsche es mir jetzt schon zu Weihnachten. Und Alvaro wünsche ich einen Job wie diesen.