„Rock im Revier“, Tag 3: Tanz im Regen, Testosteron und verblassender Glanz


Großes Finale in Gelsenkirchen: Judas Priest zeigen, wie es ist, in Würde zu altern. Kiss hingegen stellen dies in Frage. Und The Darkness machen ohnehin nur das, was sie wollen.

Am Sonntag, dem dritten und letzten Tag im „Revier“, kommen vorwiegend die Nostalgiker und Kinder der 80er-Jahre auf ihre Kosten. Das Festival wartet mit Judas Priest und Kiss als finale Bands des Stadion-Events auf. Doch vor dem Abschluss gibt es noch einiges zu entdecken, trotz kühlem Wind und Regen.

The Darkness sind eine der ersten Bands, die sich dem Wetter widersetzen und es perfekt verstehen, das ungeliebte Nass in ihre Show zu integrieren. „It’s unbearably hot! Come on, join me, take off your shirts!“, ruft Sänger Justin Hawkins in die Menge. Kurz zuvor hatte der Brite sich aus seiner Lederjacke gepellt und begegnete dem Regen Oberkörper-frei. Und tatsächlich finden sich eine Handvoll Fans, die sich ebenso oben rum freimachen und ihr Glück kaum fassen können, als sie als Belohnung mit der Band für einen Song auf der Bühne stehen dürfen. Auch sonst verstehen The Darkness es, das Publikum für sich zu begeistern. Da kann man schon mal darüber hinweg sehen, dass die Band in den ein oder anderen AC/DC-Moment verfällt. Hawkins, gezeichnet von seiner Drogen-Vergangenheit, ist dennoch fit genug, um über die Bühne zu hüpfen und seine Hüften anzüglich zu „I Believe In A Thing Called Love“ kreisen zu lassen.

Feuriges Finale mit Kiss

Während es auf den Nebenschauplätzen, „Boom“-  und „Bang“-Stage, mit Bands wie den Australiern von Airbourne, Sick Of It All und Anti-Flag in die letzte Festival-Runde geht, begegnet man in der Arena vermehrt aufwendig geschminkten Gesichtern – hier wird offenbar sehnsüchtig auf Kiss gewartet. Doch das stört Judas Priest nicht im Geringsten, die mit Testosteron-geladener Musik auch die älteren Herrschaften auf den Rängen zum Mitgröllen animieren können. Die Demonstration von Männlichkeit wird mit einem Motorrad auf der Bühne zusätzlich verstärkt. Dennoch schaffen Judas Priest es, nach so vielen Jahren, authentisch zu wirken. Tiefenentspannt und freundlich lächelnd verabschieden sich Rob Halford, Ian Hill & Co. von der jubelnden Menge.

Für die finalen Momente dieses Stadion-Festivals sollte man Popcorn holen, denn was Kiss live bereithalten, geht über Musik hinaus. Wobei an dieser Stelle die seit Jahrzehnten nicht beantworteten Fragen erneut aufkommen: Wozu das Make-up? Weshalb die Kostüme? Und wieso genau muss es Funken aus der Gitarre sprühen? Kiss kündigen sich selbst als die beste Band der Welt an, der Vorhang fällt, der Schlagzeuger senkt sich mitsamt Instrument auf einer Hebe-Bühne herab und Feuerflammen lodern auf. Das Spektakel ist eröffnet und lenkt grundsätzlich von den gespielten Songs ab. Womöglich ist dies aber auch der Trick an der Sache. Was bleibt noch von dieser Band, wenn Make-up, Kostüme und die große Show wegfallen? Der Glanz der frühen Jahre von Kiss ist längst verflogen und der Anklang im Publikum offenbar in zwei Lager gespalten: Die Nostalgiker und eisernen Mitglieder der „Kiss Army“ – „Weißt du noch damals, als wir zu Kiss feiern gegangen sind?“ – und die Opportunisten: „Ach, wenn die spielen und ich schon mal hier bin, dann guck‘ ich mir die auch an.“

„Rock im Revier“, das neue Stadion-Festival?

„Rock im Revier“ findet damit dennoch einen würdigen Abschluss. Es könnte sich in den nächsten Jahren als Stadion-Festival etablieren, das an drei verschiedenen Tagen drei unterschiedliche Zielgruppen anspricht. Eine Fortsetzung für 2016 wurde bereits angekündigt. Das Konzept geht vor allem aufgrund der Ein-Tages-Tickets auf, das am Freitag Metallica für die Metal-Fans im Angebot hatte, am Samstag mit Muse, Hives und Incubus auf das jüngere Publikum abzielt und am letzten Tag eine weitere Facette mit Bands wie Judas Priest und Kiss abdeckt. Wohin die Reise geht, ist in solch jungem Alter noch schwer zu sagen und das „Revier“ steckt ja noch in den Kinderschuhen. Und das mit dem Fussball hatte man übrigens spätestens am Sonntag vollkommen vergessen.