10cc – Elitäre Grüppchen interessieren uns nicht


Die "schlechteste Band der Welt" nennen sie sich selbst, nicht ganz frei von Koketterie und mit dem Wissen um die Wirkung solcher Sprüche. "Jetzt erst recht!" sagt sich nämlich der Plattenkäufer, der sich nun, soeben aus seinem Tiefschlaf erwacht, eilig daranmacht, den Wahrheitsgehalt solch provozierender Behauptungen zu erforschen. Eins zu Null für lOcc, denn ein Interessent ist bereits ein potentieller Fan, davon sind zumindest lOcc überzeugt...

…Das war nicht immer so. Die Vier aus Manchester haben eine bewegte musikalische Vergangenheit hinter sich, womit sie sich heute noch nicht nennenswert von -zig anderen englischen Gruppen unterscheiden. Das Erstaunliche an lOcc ist die Art ihrer Entwicklung. Inzwischen dürfte bekannt sein, daß sie vor etlichen Jahren unter dem Namen Hotlegs mit dem Titel „Neanderthal Man“ einen echten Hitparaden-Renner hatten, daß Eric Stewart, Gitarrist, Pianist und Sänger (Sänger sind sie innerhalb der Gruppe alle im gleichen Maße), mal bei Wayne Fontana & The Mindbenders mitmischte, oder daß Graham Gouldman. der Bassist, schon vor zehn Jahren als Songwtitei ungeheuer erfolgreich war. „Bus Stop“ tut die Hollies, „For Your Love“ für die Yardbirds, „No Milk Today“ für Hermans Hermits oder „Tallyman“ für Jeff Beck stammen aus seiner Feder. Dies alles nur nochmal am Rande als kleine Gedächtnisstütze und um die enorme Wandlung darzustellen.

MANCHESTER KONTRA LONDON

Der große musikalische Wendepunkt trat vor knapp zwei Jahren mit dem Album „Original Soundtrack“ ein. Hatte lOee sich bis dahin der simplen Rockform, wenn auch stets von wahnwitzigen, teilweise bissigen Texten durchsetzt, bedient, so ist ihre Musik heute unvergleichlich vielschichtiger und differenzierter durchzogen. Besonders auffallend ist dabei die technische Perfektion, was sowohl die einzelnen Musiker angeht, als auch die Art, mit der in den Strawberry-Studios die Bänder für die späteren LPs eingespielt werden. Ernüchternd und Respekt einflößend zugleich wirkt dabei die Tatsache, daß auch dort nur mit Wasser gekocht wird, wie es so treffend heißt. Es handelt sich um ein gut eingerichtetes, doch keineswegs sensationelles Studio vor den Toren deswegen, weil es sich um eine, in solchen Kreisen übliche. 24-Spur Aufnahmemaschine handelt. Daß es mehr als ausreichender Aufwand ist, davon zeugen die Platten. Die Strawberry-Studios entstanden auf Eric Stewarts Initiative und sollten ein Gegengewicht zur Scene in London darstellen, wo sich damals das komplette britische Musik-Busines, abspielte. Das zumindest ist gelungen, die Strawberry – Studios werden inzwischen von vielen Gruppen für Plattenaufnahmen frequentiert und bringen den Mitbesitzern lOcc zusätzlich den Notgroschen ins ohnehin nicht leere Geldbeutelchen.

„WIR HABEN KEINE BOTSCHAFT AN DIE FANS!“

Das Wort „Money ist überhaupt in ihrer Gegenwart ganz gelassen auszusprechen. Sie machen ihre Musik nur deswegen, das verheimlichen sie sowenig, wie sie es kunstvoll zu umschreiben versuchen. Natürlich sind sie Musiker aus Passion, sonst wären sie nicht da, wo sie sind. Aber sie haben gern Erfolg und seine erfreulichen Begleiterscheinungen. „Wir haben auch keine Botschaften in unseren Texten parat, wie das Fans und Kritiker heraushören wollen.“ .sagt Eric bei einem Interview in Manchester. „Wie es kommt, daß wir ,One Night In Paris‘ singen, wollen Journalisten von uns wissen, oder an wen sich ,Art For Art’s Sake‘ richtet. Die Antwort ist immer gleich: Es kam uns gerade in den Sinn, keine Botschaft, keine Gesellschaftskritik, just for fun, ist das zu wenig? Wir sind überglücklich, wenn es uns gelingt, einen großen Kreis mit unserer Musik anzusprechen, elitäre Grüppchen interessieren uns ebensowenig wie kreischende Teenies, die sich mit uns als Personen und nicht mit unserer Musik identifizieren wollen. Ich glaube, daß uns die Mischung von eingängiger Musik mit gehaltvollen, manchmal ironischen Texten gelungen ist: Musik, die jeder mag, mit Worten, die jeder versteht, Unterhaltung ohne Verblödung, ich habe immer geglaubt, daß die Kombination möglich ist, bisher haben sie allerdings nur die Beatles verwirklicht. Die sind nun leider nicht mehr da, aber wir.“ Soweit Eric, der den letzten Teil des Satzes mit einem feinen Lächeln begleitet. Dabei ist der Vergleich gar nicht so fehl am Platze, zumindest was die oben zitierte Mischung von Unterhaltung und Intellekt betrifft.

ON STAGE

Inzwischen haben l0cc auch mit dem Tournee-Streß Bekanntschaft gemacht, seit zwei Jahren etwa sind sie ständig „on the road“, genaugenommen seit ihrem Hit „Rubber Bullets“. Für den erhielten sie damals den Ivor Novelle Award, was uns nicht viel sagt, aber kurz darauf brachten sie ihre erste US-Tournee hinter sich. Mittlerweile sind es derer drei, und dazu kommen jede Menge Heimat-Tours. An Deutschland wagen sie sich in diesen Tagen zum erstenmal heran; mit gemischten Gefühlen allerdings, wie sich im Gespräch sehr schnell herausstellt. Der Grand ist, daß sie das deutsche Publikum nicht einschätzen können. Bei uns vermuten sie in verstärktem Maße die Sucht, alles einordnen zu wollen und für jede musikalische Idee das Motiv mitgeliefert zu bekommen. Doch diese Vorbehalte sind sicher unbegründet, die lOcc-Show ist eine zu runde Sache, als daß man lange nach Hintergründen und Motivationen suchen müßte. Eine glückliche Kombination von packender Musik und witzigen Gags, der Song mit der „Fasten Seatbelt“-Leuchtschrift etwa oder der Telefonsong „How Dare You“ sind gute Beispiele für die Kombination „Rock plus Show“.

DIE HEILE WELT DER FAMILIE

Eigenartig ist die Arbeitsweise der Vier. Die Songs entstammen immer einem Duo, entweder kommen sie aus den Köpfen von Eric Stewart und Graham Gouldman oder vom Team Kevin Godley – Lol Creme. Um sich da nicht festzufahren, haben sie es auch mal andersrum probiert, doch das Ergebnis fiel wenig überzeugend aus: So bleibt es erst mal bei der gewohnten Arbeitsteilung. Überhaupt wirkt alles ungewöhnlich harmonisch und familiär bei ihnen. Erstaunlich, zeigt die Erfahrung doch, daß sich Musiker, die vergleichbar lange zusammen arbeiten, gewöhnlich privat aus dem Wege gehen. Nicht so bei lOcc, sie siedelten vor kurzem gemeinsam nach London über, bis auf Graham Gouldman, der sich nicht von Manchester trennen mochte, sie sehen sich fast täglich im Studio, auf der Bühne oder privat und haben sich trotzdem eine friedliche Arbeitsatmosphäre bewahren können. Das Rezept? Sie haben keins. nur soviel ist sicher, niemand hat Ego-Probleme, weil es keinen Star oder Leader in der Gruppe gibt. Sie erfüllen etwa das gleiche musikalische Pensum auf Platte und on stage, jeder Ist zu gleichen Anteilen Sänger und ansonsten mit seinem (oder mehreren) Instrumenten) beschäftigt. Da auch die Song-Ideen ziemlich gleichmäßig verteilt geboren werden, gibt es vor vornherein wenig Ansatzpunkte für gruppeninterne Reibereien. Aber wo gibt es schon dieses seltene Zusammentreffen vor vier absolut gleichrangigen Musikern? Doch 1Occ stehen erst am Anfang, was ihren Superstar-Status angeht, und gemeinsame Erfoigsjahrc haben bisher noch jede große Gruppe auseinandergebracht. Hoffentlich bleibt’s unbegründete Schwarz-Seherei.