Interview

Marco Wanda im Interview: „Ich bin durch Himmel & Hölle gegangen“

„Ich habe beim Schreiben gelacht, geweint, mich gewundert“: Marco Wanda im Gespräch über „Dass es uns überhaupt gegeben hat“.

In den elf Jahren seit Erscheinen des bahnbrechenden Debütalbums seiner Band hat Sänger und Songwriter Marco Wanda nicht für möglich gehaltene Höhen und Tiefen durchlebt. Von den größten Bühnen im deutschsprachigen Raum über eine Doppel-Nummer-Eins in den österreichischen Charts und einem im Rausch zerstörten Dorf bis hin zum Tod seines Keyboarders Christian Hummer. All den Wahnsinn aus mehr als einer Dekade Rock’n’Roll hat er nun zu Papier gebracht. Ein Gespräch mit dem Autoren von „Dass es uns überhaupt gegeben hat“.

Warum erschien dir jetzt ein guter Zeitpunkt, deine Memoiren zu schreiben?

Ich wollte nie Memoiren oder eine Autobiografie schreiben. Ich wollte ein Buch schreiben und ich denke, würden wir den Menschen in dem Buch Pseudonyme verleihen, hätten wir einen Roman vorliegen …

Die Lederjacke, in der du berühmt geworden bist, ist längst musealisiert (mittlerweile leider verlorengegangen). Anlässlich der Ankündigung deines Buchs zeigst du dich nun hinter Denkerbrille, in Rollkragenpulli und Sakko. Halt wie ein klassischer Schriftsteller. Ein bewusstes Spiel mit Rollen oder ist der entfesselte Rockstar Marco Wanda passé?

Ich weiß, dass mir dieses eine Fotoshooting im Anzug jetzt ein Leben lang nachhängen wird. Es ist wie mit der Lederjacke, ich habe sie in der Öffentlichkeit nur selten getragen, aber denkt man an Wanda, denkt man an Lederjacke. Ich beschäftige mich nicht in großer Detail-Tiefe mit meiner Kleidung und ich hoffe, das tut auch sonst niemand.

Zu Anfang eurer Karriere waren dir die Bands im Roster eures ersten Labels Problembär Records genau aufgrund dieses Anstrichs ein Dorn im Auge; du nennst sie in deinem Buch „sensible, vergeistigte Literaten, die auch Musik machten“. Hat sich da was an deiner Einstellung geändert?

Mir war niemand ein Dorn im Auge, ich habe einfach gemerkt, dass Wanda sich in allen Aspekten vollkommen von allen Bands in dieser Zeit unterschieden hat. Wir hatten eine andere Dringlichkeit, wir mussten, die anderen konnten. Das war ein großer Unterschied.

Im Buch geht’s immer mal wieder darum, dass du deine eigenen Songs manchmal erst mit ein paar Jahren Abstand verstanden hast. Ging es dir nun im Rückblick mit manchen Lebensmomenten ähnlich?

Das Buch möchte, dass Lesende anhand des Modells meines Lebens etwas über ihr eigenes lernen. Man spaziert in diesem Buch einmal mit literarischer VR-Brille durch 14 Jahre meines Lebens, wird mit mir erwachsen, berühmt, ausgelaugt, traurig, euphorisch und ernüchtert.

Es gibt Stellen in dem Buch, die sind so packend wie eure mitreißendsten Songs, etwa die Schilderung eines frühen Gigs vor 120 Leuten im Wiener „Werk X“ – Glückwunsch! Hast du durch das Schreiben an dem Buch gemerkt, dass dir noch ganz andere Kanäle außer der Musik offen stehen, dich emotional auszudrücken?

Das Buch zu schreiben, war eine rauschhafte Erfahrung, ich bin durch alle Himmel und Höllen gegangen und ich musste davon berichten. Nach einer Seite kam die nächste, und nach wenigen Wochen war ich fertig und musste das teilen, das war alles zu lehrreich und aufregend, um es nicht zu teilen. Die Wanda-Karriere ist zwar der Rahmen, aber letzten Endes ist es ein Buch über das Leben.

Du warst immer schon belesener Pop-Fan, kennst etwa die Biografien der Beatles in- und auswendig. Ist dieses Wissen von Vorteil, wenn man selbst Rockstar wird? Weil man schon ahnen kann, welcher Teil des Programms als Nächstes abgespielt wird?

Nach 3 Jahren Hype habe ich gemerkt, dass vieles von dem, was ich in Biografien gelesen habe, auf einmal in meinem eigenen Leben passiert. Und das war ein beängstigendes und aufregendes Gefühl.

Welche Erwartungen an ein Leben als Rockstar wurden nicht erfüllt?

Ich habe nicht den Luxus empfunden, mir überhaupt ein Leben als Rockstar aussuchen zu können. Ich war am Sand, ein Lebensentwurf als Musiker schien mir alternativlos, dass es dann funktioniert hat, hat mein Leben gerettet.

Eine der schönsten Zeilen im Buch ist: „Erfolg ist keine Salbe, Anerkennung heilt keine Wunden“. Was macht einen wirklich glücklich?

Ja, das darf mir mal ruhig jemand erklären … Mir ist das Streben nach Glück unheimlich, es gibt kein Paradies, niemand wird uns retten, ich habe mich von vielen Glaubenssätzen, Erzählungen und Illusionen befreit und suche kein Glück, sondern, wenn überhaupt, dann so etwas wie Zufriedenheit, oder noch geringer, das seltene Auftreten von Schmerz.

Deine Biografie liest sich wie die endlose Suche nach Leben – und funktioniert deshalb gewiss auch für Leute, die nicht unbedingt Wanda-Fans sind. Die Frage aller Fragen: Was ist der Sinn des Lebens? Is it to be here now?

Ich weiß nicht, was der Sinn des Lebens ist, aber ich habe zumindest die Vermutung, dass wir ihn auf Instagram nicht finden werden.

Wie um alles in der Welt konntest du dich angesichts deines sagenhaften Alkohol- und Drogenkonsums an so viele Details erinnern? Hast du während dieser wilden Jahre Tagebuch geführt?

Eigentlich habe ich dieses Buch 14 Jahre lang in meinem Kopf geschrieben. Ich habe die gesamte Karriere durch die Augen eines Schriftstellers beobachtet, vielleicht hat mich das auch davor bewahrt, verrückt zu werden.

Falco soll unmittelbar nachdem er erfahren hat, dass „Rock Me Amadeus“ Nr. 1 in den USA ist, in eine Sinnkrise verfallen sein. Er wusste nicht, wie er dieses Niveau je beibehalten oder gar toppen sollte. Ähnlich liest sich die Passage in deinem Buch, als „Columbo“ und NIENTE gleichzeitig die Single- bzw. Album-Charts in Österreich anführten: „Wir hatten Historisches erreicht. Aber wir fühlten es nicht.“ Kannst du heute, etwa acht Jahre später, Erfolg wieder genießen?

Ich möchte nie wieder der Sklave eines Erfolgs sein. Das hat mir nie entsprochen, Wanda war unser Ticket in einen Lebensentwurf, und ich liebe, was ich mache, und mache, was ich liebe. Aber Erfolg bemesse ich nicht mehr in numerischen Kategorien, einen Nummer-1-Hit brauch’ ich nie wieder, aber wenn ich an einem Tag eine Sache wirklich gefühlt, eine Sache wirklich gedacht und eine Sache wirklich gemacht habe, dann war es ein erfolgreicher Tag. And then we go from there …

Du warst während des Arabischen Frühlings in Kairo, hast von deinem Hotelzimmer aus beobachtet, wie Menschen getötet werden. 2015 warst du während der Terroranschläge in Paris, wärst du dort in der Konzerthalle „Bataclan“ gewesen, hättest du gewusst, dass dort neben den Eagles Of Death Metal auch die österreichische Band White Miles spielt. Inwiefern haben dich diese Erlebnisse geprägt?

Ich schreib’ im Buch darüber, wie mich vor allem meine Zeit in Kairo geprägt hat, das möchte ich aber hier niemandem spoilern. Na gut, nur so viel: Ich habe in Kairo gesehen, wo die Spaltung einer Gesellschaft hinführt, und das hat mich verändert, hat mich erkennen lassen, wie wichtig es ist, Brücken zu bauen zwischen den Lagern, die unsere Gesellschaft zerreißen. Und ja, ich bin von uns allen enttäuscht, wir haben aufgehört, uns zu lieben, wir wollen uns andauernd belehren und überzeugen. Aber lieben wir uns?

Kürzlich hat euer Ex-Manager Stefan Redelsteiner seine Memoiren veröffentlicht. Hast du sie gelesen?

Ich bin nicht dazu gekommen.

Darin beschreibt er dich als „Einzelkind aus einem Akademikerhaushalt. Der Vater war ein hohes Tier beim ORF, die Mutter eine angesehene Psychologin. Aber als wir einander kennenlernten, versuchte Marco, sich um jeden Preis wie ein Prolo aufzuführen und sich fast schon wie ein Landstreicher zu inszenieren. Ein Schönbrunner Wienerisch sprechender Landstreicher mit Altbauwohnung im Nobelgrätzel, die Marco aber punkig verkommen lassen musste, weil er sich für seinen Wohlstand genierte.“ An anderer Stelle heißt es: „Marco Wanda hat kein natürliches, sondern ein erarbeitetes Charisma.“ Wie empfindest du solche Stellen?

Was mich an diesem Auszug ärgert, ist die Darstellung meiner damaligen Wohnung als verkommen. Ich war sehr ordentlich und stolz auf meine Ordnung, die 28 Quadratmeter, auf denen ich gewohnt habe, waren auch leicht aufzuräumen … Und ich wusste weder, dass mein Vater ein hohes Tier war, noch, dass er Akademiker war. Mein Vater hatte in meinem Alter so wenig Geld, dass er am Westbahnhof öffentlich geduscht hat.

Auch wir als Musikexpress kommen in dem Buch vor, zunächst zitierst du begeistert große Passagen aus eurer ersten Titelgeschichte 2015 bei uns, doch schon über die nächste Coverstory von 2017 heißt es: „eine verwirrende, schizophrene Fotostrecke mit ebenso konfusem seitenlangem Interview. Ein schlimmer Absturz.“ Was hältst du mittlerweile von uns?

Ohne den Artikel von Reiner Reitsamer 2015 glaube ich nicht, dass die Band jemals in Deutschland so schnell abgehoben wäre.

Was ist das Wichtigste, das du mit deiner Musik erreichen wolltest?

Menschen zusammenbringen, Menschen in Krisen helfen, Menschen eine Lieblingsband schenken.

Was würdest du heute anders machen, wenn du noch mal am Beginn deiner Musikkarriere stehen würdest?

Ich möchte nie wieder am Anfang dieser Karriere stehen. Ich habe darüber geschrieben und beim Schreiben genug gelacht, geweint, mich gewundert und gefreut. Es hat sich ein gewisser Friede in mir eingestellt, und die Dinge sind unabänderlich bereits passiert. Außerdem: Der damalige Marco, Anfang zwanzig, besessen, auf heiliger Mission, sich ein Leben zu erarbeiten, der hätte mir nicht zugehört, und das ist gut so.

Was man so hört, arbeitest du bereits an deinem nächsten Buch – möchtest du schon etwas darüber verraten?

Nein, beim Schreiben ist meine Tür geschlossen.