Steely Dan – Ein ME-Interview mit zwei ausnahmsweise redseligen Genies


Donald Fagen und Walter Becker, Kopf und Kern der großartigen amerikanischen Band Steely Dan, machen seit Jahren einen großen Bogen um die Presse und kultivieren ihr Image, schweigsame Genies zu sein. ME-Korrespondentin Sylvie Simmons hatte jedoch Glück und konnte die Herren zu einem Gespräch im Bel Air-Hotel in Los Angeles verführen. Ihre Seelen entblößen wollten Becker und Fagen zwar nicht. Aber sie gaben sich dennoch überraschend redselig. Als Einstimmung noch ein kleiner Hinweis: Die LP "Aja", die im Interview mehrfach eine Rolle spielt, wurde im ME 10/77 besprochen.

ME: Sagt mal, Walter und Don, bedrücken euch bei der Produktion einer neuen Platte eigentlich die hohen Erwartungen, die ihr bei euren Fans mit früheren Alben geweckt habt?

Fagen: Nein, eigentlich nicht. Weißt du, wir wollen uns im Grunde nur selbst zufriedenstellen.

Becker: Außerdem sehen wir auch gar keinen Weg, zu erfahren, was unser Publikum von uns erwartet.

Fagen: Ich denke, wir setzten uns eher selbst unter Druck. Und auf diese Weise haben wir uns wohl mit jedem gelungenen Album verbessert.

Becker: Na schön, wenn du das so sicher weißt, Donald! Ich selbst bin mir da nie sicher. Bei unserer neuesten LP „Aja“ habe ich ein gutes Gefühl im Bauch, aber es ist zu schwer, mehr dazu zu sagen, weil wir so lange daran gearbeitet haben. Ich meine, wir können die Platte nicht mehr objektiv hören. Aber ich bin schon stolz auf sie. Und nun kann ich sie vergessen und die nächste in Angriff nehmen.

ME: Hattet ihr ein bestimmtes Konzept oder überhaupt bestimmte Ideen im Kopf, als die Produktion von „Aja“ begann?

Fagen. Wir arbeiten uns stets Stück für Stück vor. Wir planen nie im voraus die genaue Gestalt einer LP. Bei „Aja“ stellten wir irgendwann fest, daß wir zu viele Songs mit langsamen oder gemäßigtem Tempo aufgenommen hatten. Daher machten wir uns noch einmal an die Arbeit und spielten noch ein paar schnellere Stücke ein. Da gibt es zum Beispiel einen Song, der heißt „Year Of The Western World“. Den hatten wir ursprünglich schon für die LP „The Royal Scam“ aufgenommen. Aber in dieses Album paßte er am Ende nicht richtig hinein. Für „Aja“ wiederum lagen schon zu viele Songs mit gleichem Tempo vor. Deshalb wartet dieses Stück nun immer noch auf seine große Stunde.

Aber irgendwann werden wir es schon noch herausbringen.

ME: Kein Stück von „Aja“ bietet sich auf Anhieb als Single an. Wollt ihr überhaupt eine Single herausbringen?

Becker: Klar, das werden wir bestimmt machen. Aber den richtigen Song dafür kennen wir auch noch nicht. Wenn wir unsere Alben erarbeiten, machen wir uns über solche Probleme nie Gedanken. Fast alle unsere Titel sind leider zu lang – hier in Amerika müssen Single-Platten ja auf jeden Fall auf die Bedürfnisse der Rundfunk-Sender zugeschnitten sein und dürfen daher nicht länger als zweieinhalb Minuten oder so laufen. Die Radio-Szene hierzulande ist noch immer eine sehr puritanische Gesellschaft. Stellenweise lockern sich die Zwänge zwar, aber bei den Hitparaden-Sendern (Top 40 radio) t sich absolut nichts. Einen simulierten Orgasmus auf Platten, den senden sie allerdings inzwischen…

Radio in Amerika: Orgasmus statt Steely Dan

ME: Auf welche Weise habt ihr eure Begleitmusiker für „Aja“ gefunden?

Becker: Wir haben sie auf Platten gehört…

Fagen: Wir haben sie auf Parties getroffen…

Becker: Ja, und wir haben andere Musiker über sie ausgefragt, uns weitere Platten besorgt und uns auf diese Weise ein Bild gemacht. Dann haben wir die Leute angerufen, sie vertraglich verpflichtet und abgewartet, was bei der Arbeit herauskam. Manchmal passiert es uns ja, daß wir glauben, für einen bestimmten Song den perfekten Mann gefunden zu haben, aber dann geschieht im Studio gar nichts und wir gehen alle früh nach Hause. Aber in der Regel geht alles schon gut los, weil wir uns über die vorgesehenen Musiker möglichst umfassend informieren – was sie können und wo ihre besonderen Stärken liegen.

ME: Sind all diese Sessionmusiker eigentlich glücklich, wenn sie sich nach Euren Anweisungen richten müssen?

Becker: Ich glaube, sie sind mit der Art von Songs, die wir schreiben, meist sehr zufrieden. Und wir lassen ihnen auch viel Freiheit bei den Aufnahmen. Mit anderen Worten: es gibt bestimmte Harmonien und bestimmte Motive in unserer Musik, da müssen die Session-Leute genau aufpassen. Auf diese Weise entsteht auch die Kontinuität im Sound unserer Platten. Daneben aber gibt es immer Sessions, wo die Musiker freier als bei den meisten vergleichbaren Anlässen spielen und vor allem das bringen können,was ihnen am besten liegt. Wir verlangen niemals von irgendjemandem, unseren eigenen Stil ganz bewußt zu übernehmen. Ich glaube sogar, daß kaum jemand von all den Leuten, die hierherkommen, sich über unseren Stil überhaupt tiefsinnige Gedanken macht.

Alles über Scheidungen im Paradies Haiti

ME: Wollt ihr irgendwann mal wieder eine feste Band auf die Beine stellen?

Fagen: Mit einigen Musikern spielen wir ja regelmäßig zusammen. Auf unseren letzten drei Alben war zum Beispiel Victor Feldmann immer dabei. Chuck Rainey kommt stets zu unseren Sessions, und Larry Carlton ebenso. Wir haben also in Wirklichkeit eine Band mit mehreren Ersatzleuten.

ME: Nebenbei bemerkt: Geht ihr eigentlich in Konzerte, um andere Bands zu sehen?

Becker: Ganz selten. In den Konzerthallen hier ist der Sound verdammt mies, das Parken kostet einen Dollar, und so weiter. Da sagen wir nein.

ME: Man hört oft, eure Songs seien unpersönlich…

Becker: Wir haben nicht das dringende Bedürfnis, unsere Seelen so zu entblößen, wie Ted Nugent das tut, oder Kiss, oder Queen, oder Black Death oder die Bees Knees… (der Rest des Satzes geht in Gelächter über).

Fagen: Wir schreiben ähnlich wie ein Romanautor. Wir versetzen uns in die Rolle einer Person, und aus diesem Grunde wirken unsere Texte wohl unpersönlich. Ich versuche, eine Rolle zu spielen, mit den Worten der erfundenen Person zu sprechen, ihre Gefühle auszudrücken, ihre Probleme und Freuden.

Becker: Ich glaube, daß diese Art zu arbeiten uns den fruchtbaren Boden beschert hat, dem unsere Texte in den letzten Jahren entwachsen sind. Es ist verdammt schwer, immer wieder auf Songthemen zu kommen, die neu sind. Meist kehrt man unwillkürlich zu Dingen zurück, mit denen man sich bei früheren Plattenaufnahmen schon einmal befaßt hat.

ME: Glaubt ihr, daß eure Texte einen aufklärenden oder belehrenden Charakter haben?

Fagen (grinst): Sie erhellen ganz bestimmte Situationen. Nimm die LP „The Royal Scam“: Nun wissen bestimmt viele Leute besser über Scheidungen auf Haiti („Haitian Divorce“) Bescheid.

Becker: Nun, natürlich gibt es diese Scheidungen auf Haiti nicht mehr. Früher war das Land mal ein Scheidungsparadies und alles wurde sehr schnell erledigt. Man bekam dieses Dokument in französischer Sprache, mit Schmuckbändern und Federn, und es wurde von der amerikanischen Regierung anerkannt. Diese Information in unserem Song klärt schon irgendwie auf. Möglicherweise gibt es aber Leute, die glauben, wir hätten den Namen Haiti erfunden. Man wirft uns ja alles mögliche vor…

Fagen: Da gibt es ja Leute, die sagen, wir hätten das Wort ,,Aja“ erfunden…

Ein Handbuch für Steely Dan Hörer

ME: Aber eure Texte sind doch sehr hintergründig, vielleicht sogar undurchschaubar.. .

Becker: Für uns ist das alles eine ganz klare Geschichte. Wenn andererseits jemand glaubt, unsere Worte seien undurchschaubar, dann gibt’s ja immer noch die Musik. Selbst wenn man also absolut gar nichts über Scheidungen auf Haiti weiß…

Fagen: ….. dann kann man immer noch in das Handbuch für Steely Dan-Hörer schauen!

ME: Ganz im Ernst: Irgenwo steckt in euren Texten doch auch viel Zynismus und daneben bittere Wirklichkeit.

Becker: Viel von dem, was du bitter oder zynisch nennst, nennen wir spaßig.

Fagen: Wir glauben, daß wir ganz witzige Songs schreiben. Und wenn wir sie schreiben, dann bereiten uns all die Worte und Gedanken einen Heidenspaß.

Becker: Mag sein, daß wir einen etwas schwärzeren Sinn für Humor haben, als der Durschnittsbürger. Ich bin immer wieder überrascht, daß Scheidungen und solche Sachen in der Realität nicht lustiger ausfallen. Und der amerikanische Traum: der ist doch auch verdammt witzig…