John Frusciante: Er wird noch weit über Pop hinauswachsen


Er zählt zu den besten Gitarristen und Songwritern mehrheitsfähiger Rockmusik Dach es zieht den jüngsten Chili Pepper in die Rventgarde. teht Dennis plhuk AlS John Frusciante 1996 zum ersten Mal einen Journalisten im Hotel Chateau Marmont empfing, um über ein Soloalbum zu sprechen (damals sein geplantes zweites, smile from the streets you hold), bot sich dem Autor der L.A. New Times ein erbärmliches Bild. In einer Suite des mythischen Hideaway-Hotels, das sich wie ein Schloss über dem Sunset Strip in West Hollywood erhebt, kauerte ein abgemagerter, zahnloser Junkie zwischen CD-Stapeln, Zigarettenkippen und desinfizierenden Alkohol-Pads und sinnierte bald stammelnd, wie ihn der ausartende Erfolg der Red Hot Chili Peppers einst in den Wahnsinn getrieben und zum Ausstieg aus der Band bewogen hatte. Ein paar Tage darauf flog Frusciante raus, weil er sein letztes Geld statt zur Begleichung seiner Rechnung an die Rezeption zu einem Heroindealer geschleppt hatte.

Das Chateau Marmont an einem Freitagabend Mitte Januar, acht Jahre später. Mit einem erleichterten Stöhnen fläzt sich John Frusciante auf die breite, durchgesessene Couch. „Ich gebe seit drei Tagen Interviews hier“, entschuldigt er sich mild lächelnd für den erschöpften Eindruck, den er wohl mache. Eine höfliche, doch überflüssige Geste: Auch nach einem solchen PR-Marathon wirkt Frusciante, dessen schwarze Haare die Schultern längst hinter sich gelassen haben, noch erstaunlich fit. Seit seinem Entzug und dem Wiedereinstieg bei den Peppers achtet er sorgsam auf seine Gesundheit, und neben dem neuen Gebiss, das ihn leicht nuscheln lässt, erinnern äußerlich nur noch seine vernarbten Arme an die lange Zeit, in der er an der Nadel hing. Frusciante hält sie meist unter langen Armein bedeckt, auch heute.

„I regret my past.“ Dass Frusciante diese mantraartig wiederholte Textzeile aus „Regret“, einem der herausragenden Songs auf seinem neuen, vierten Soloalbum SHADOWS COLLIDE with people, mit Ironie verstanden wissen will, kann einem angesichts der dunklen Kapitel seiner Biografie leicht entgehen. „Ich bereue die Jahre meiner Abhängigkeit nicht, obwohl ich niemandem so etwas wünschen möchte. Ich hatte kein Geld, aber dauernd Schmacht, winselte Dealer an und drehte völlig am Rad, wenn ich mal 24 oder 48 Stunden nichts bekam. Aber es war etwas, das ich wohl durchmachen musste. Ich habe seinerzeit Erfahrungen gesammelt, die ich jetzt künstlerisch verarbeiten kann. Damals konnte ich das nicht.“

Auch deshalb nahm er nach californication, seinem ’99er Comeback als Gitarrist der Peppers, SMILE FROM THE STREETS YOU HOLD wieder vom Markt. Zwar bestand die Platte weitgehend aus Überbleibseln, für die er auf seinem schon reichlich sperrigen Debüt niandra LADES AND USUALLY JUST A T-SHIRT drei Jahre zuvor keine Verwendung gefunden hatte. Aber es waren eben auch Tracks darauf, die er nachträglich aufgenommen hatte, unüberhörbar stoned. „Ich wollte nicht, dass jemand, der sich einfach aus Interesse an den Chili Peppers eine John-Frusciante-Platte kauft, so etwas zu hören bekommt. Die Platte kann einem schon gehörig Angst einjagen.“

Frusciante, 33, ist heute weit davon entfernt, seinen Anteil am musikalischen Erscheinungsbild der Band mit selbstbewussten 60 Prozent zu beziffern, so wie er es unmittelbar nach seinem Ausstieg 1992 tat. Doch es waren vor allem seine Gitarren, seine Keyboards, seine Backing-Vocals, die BY THE WAY 2002 veredelten und zu einer der ansprechendsten Pop-Platten ihres Jahres machten. „Ich gehe mit einem bestimmten Konzeptan unsere Alben, die anderen nicht. Sie spielen einfach, wonach ihnen gerade ist“, weicht er galant der Frage aus, ob er sich selbst als treibende Kraft im Bandgefüge sieht. Und ergänzt bescheiden:

„Die Harmoniegesänge waren nicht einmal meine Idee, sondern die von Rick Rubin. Er hat mich dort hingeführt, anfangs sogar gegen meinen Willen.“

Auf Rubins goldenes Händchen vertrauen die Red Hot Chili Peppers seit ihrem ’91er Meisterwerk BLOOD SUGAR SEX MAGIK, doch seine Soloalben produziert Frusciante nach wie vor allein. Immerhin: Anders als noch beim letzten, dem 2001 veröffentlichten TO RECORD ONLY WATER FORTEN DAYS, räumt der Multiinstrumentalist auf sha-DOWS COLLIDE WITH PEOPLE erstmals einer Handvoll Gastmusikern Raum ein, darunter seinen Bandkollegen Chad Smith und Flea sowie Mars-Volta-Mastermind Omar Rodriguez. Mit seinem engen Freund Josh Klinghoffer, der vormals im kurzlebigen L.A.-Indie-Trio The BicycleThief spielte, teilte er sich laut Credits sogar das Songwriring. Dennoch ist es Frusciante, der die Farben seiner Platte bestimmt hat. Es sind seine erklärten Favoriten, die man heraushört.

Hattest du Iggy Pops „The Passenger im Ohr, als du „This Cold“ geschrieben hast?

john frusciante: Oh, sind es dieselben Akkorde? {grübelt, dann ehrlich überrascht) Tatsächlich, es sind dieselben Akkorde! (lacht) Weißt du, Iggy Pop ist neben David Bowie und Lou Reed seit jeher einer der inspirierendsten Songwriter für mich. Mit seiner Musik bin ich aufgewachsen, zu seiner Musik habe ich den besten Draht. Und das wird sich wahrscheinlich in allem, was ich je machen werde, niederschlagen – ob ich es will oder nicht. Ich versuche allerdings immerzu vermeiden, dass ich etwas kopiere, und mache mir stattdessen schon lange vor dem Album Gedanken, wie es einmal klingen soll.

Wie sollte shadows collide with people denn klingen?

Zum Beispiel wie violator von Depeche Mode. Da trifft man an jeder Ecke auf neue Sounds und weiß nie, was einen als nächstes erwartet. Außerdem wirken viele der Synthesizer eher live eingespielt als programmiert. Solche Dinge führe ich mir dann vor Augen, wenn ich mich ans Songwriting mache.

Interessant, dass du ausgerechnet violator erwähnst, die Platte, mit der Depeche Mode begannen, konventionelle Instrumente in ihre elektronische Musik einzubinden. Bei dir verläuft die Entwicklung ja genau umgekehrt: Du bist Gitarrist einer Rockband und hast deine Liebe zu Synthesizern entdeckt.

Das liegt mit Sicherheit daran, dass ich mich mehr und mehr mit Bands wie Can, NEU! und Kraftwerk beschäftige. Gruppen, die mich immer wieder daran erinnern, wie unbegrenzt Musik sein kann.

Auch an den Peppers-Gig im März 2003 in Hamburg, als du und Omar Rodriguez noch ausgiebigst mit NEU‘.-Gitarrist Michael Rother gejammt habt?

Ja, diese Nacht war einer der glücklichsten Momente in meinem Leben.

Dein wachsendes Faible für elektronische Musik vor Augen was, glaubst du, machst du in zehn Jahren ? Schwer zu sagen, weil ich mich laufend verändere. Ich kann mir aber schon gut vorstellen, dass es sich noch weiter in Richtung Avantgarde und Elektronik verlagern wird. Dorthin zieht es mich.

Klingt nicht gerade, als würdest du auf lange Sicht mit den Chili Peppers planen.

So froh und stolz ich auch bin, in dieser Band zu sein – ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass wir mit 50 noch auf die Bühne gehen und etwas vorgeben, was wir dann nicht mehr sind. Bei der Vorstellung wird mir schlecht, (lacht)

Mindestens ein Album wollen die Red Hot Chili Peppers aber in jedem Fall noch abliefern. „Wir sind bereits zur Hälfte fertig“, bestätigt Frusciante und schickt gleich die Warnung hinterher, sich auf eine ruppige Platte gefasst zu machen.“ I like mistakes, and I like fucked-up guitar solos at the moment.“ Einen Vorgeschmack aufs nächste Album seiner Band gibt shadows collide with people da kaum. „Die ldee dieser Platte war, bis ans Limit zu gehen, eine möglichst große und saubere Produktion zufahren. Das habe ich verwirklicht. Auf meinen bisherigen Soloalben gab es viele Ideen, die man noch in die ein oder andere Richtung hätte weiterentwickeln können. Hier dagegen ist alles vollendet – was mir sagt, dass ich nun auf dem richtigen Weg bin.“ Auch künftig will John Frusciante die raren Löcher im dichten Tourplan der Chili Peppers nutzen, um eigene Songs zu schreiben. „Es gab eine lange Zeit in meinem Leben, in der ich weit unter meinen Möglichkeiten gebliehen bin, und das versuche ich jetzt nachzuholen: diese vier, fünf Jahre, in denen ich hätte kreativ sein können es aber wegen meiner inneren Probleme nicht war. Ich habe schon jetzt Berge von Musik, die ich noch nirgendwo veröffentlicht habe.“

Um genug Beschäftigung braucht sich der Mann fürs erste also nicht zu sorgen. Eher stellt sich die Frage, ob er vor lauter Solo-, Band- und Projektvorhaben nicht manchmal schon unschlüssig wird, für wen er da eigentlich gerade einen Song schreibt.

„Vor kurzem ist mir das tatsächlich zum ersten Mal passiert. Ich habe mich dann entschieden, den Song für die Chili Peppers aufzuheben, und ihn Anthony gegeben. Bisher hat er aber noch keinen Text dazu geschrieben, und ich frage mich, ob er es irgendwann noch macht.“ Frusciante grinst. „Wen?? nicht, hole ich mir den Song wieder zurück.“

Danke dafür: Der Beweis, dass Syd Barret doch nicht der letzte Schrei in Sachen bizarre Solowerke war. Was hat er uns beschert? John Frusciante hat die einst „größte Band der Welt“ (NME) dorthin zurückgeführt, wo sie hingehört: on top.

Das wollen mir als nächstes uon ihm sehen: Er soll sich aktiv am nächsten Kraftwerk-Tribute-Album beteiligen. Unter drei Songs geht da nichts!