Oh Mann, ich bin Motörhead


Frage: Was ist das Schnellste, Lauteste, Ehrlichste an Rock, was je zu hören war und wird nicht nur von eingefleischten Hardrockern zur Kenntnis genommen? Antwort: Richtig, Motörhead!

Mit denen kann ich nicht quatschen, die sind mir zu kaputt!“ Die junge Reporterin kommt ziemlich sauer die Treppe in der alten Villa heruntergestapft, in der die Hamburger Filiale der Plattenfirma beheimatet ist.

Das macht uns, besonders mich, noch neugieriger, ich bin nämlich erst vor kürzester Zeit, reumütig bekehrt, Motörhead-Fan geworden. Wir schlängeln uns also schleunigst die Treppe hoch, und da hocken die drei, jeder ’nen dicken Drink in der Hand, und sie wirken so schwarz, langhaarig und ledern, wie zu erwarten war. Sie sollen fotografiert werden. Gitarrist Eddie sitzt in der Mitte, er ist schon reichlich hinüber und sein Kinn fällt pausenlos auf die Brust – müssen komische Fotos werden. Also erst mal zum kalten Büffet.

Dort treffe ich auf einen graumeliert-eleganten englischen Börsenmakler, der sich als Motörhead’s Manager Douglas Smith entpuppt – total schnieke, vom Scheitel bis zur Sohle ein Gentleman. Komisch, im Zusammenhang mit diesem Wahnsinnstrio, das nach englischen Pressemeldungen zu schließen, offenbar da weitermachen will, wo Keith „The Loon“ Moon abrupt aufhören mußte, konnte ich mir absolut keinen „normalen“ Bürger vorstellen. (Auf der letzten Englandtour mußte das Management immerhin die stolze Summe von £ 5000 Reparationskosten für Motörheads kleine Hotelvernichtungskriege hinblättern!) Ich werde mich an diesem spätwinterlichen Vormittag noch häufiger wundern.

Zunächst machen der elegante Mr. Smith und ich uns über die leckeren Nordseekrabben her, im Nebenraum laufen parallel zwei Riesenfernseher und zeigen nonstop ein Motörhead-Video. Mr. Smith fragt mich beiläufig, ob ich seine Jungs überhaupt schon mal live erlebt hätte. Plötzlich fällt es mir siedendheiß ein, natürlich, das war dieses entsetzliche Konzert vor drei Jahren im Berliner Kant-Kino, wo ich ca. 30 Sekunden vom Soundcheck mitbekam und danach zu Tode erschrocken, mit schmerzenden Ohren und hämmerndem Kopf rausrannte, um erst nach Schluß des „Konzertes“ wieder einen kleinen Blick in den Saal zu werfen. „Hast Du das gehört, Lemmy, sie fand Euren Gig damals in Berlin grauen-voll.“ – „Hat sie recht, war ja auch entsetzlich, alles war übersteuert, wir auch, sowas würden wir heute nicht mehr machen. Dazu ist die ganze Sache jetzt zu ernst“, sagt Meister Kilmister, genannt Lemmy und grinst mich mit diesem dentalen Müllhaufen von Gebiß an.

Wir spazieren nach nebenan, um uns gemeinsam den Videofilm anzusehen. Ein freundlicher Ober, der ohne zu fragen immer wieder die Wassergläser der Motorköpfe mit Southern Comfort auffüllt, möchte zwischendurch wissen, ob wir Kaffee wollen. „Nein danke, ich möchte schließlich betrunken bleiben“, so Don Lemmyone. Also doch die tumben Hardcoresäufer von der Heavy-Metal-Front? „Das Saufen ist beim Touren selbstverständlich, du hältst das sonst nicht aus, diese Schwerarbeit auf der Bühne, diese ewigen Hotels, fast immer nur Müllessen und dieses eigentlich idiotische Leben aus dem Koffer. Hinterher kannst du nicht so von heute auf morgen damit aufhören. Eigentlich sind wir ganz schön häufig in diesem leicht weggetretenen Zustand.“ Wir werden gefragt, ob wir „Fast“ Eddie, den schnellen Gitarrero, irgendwo gesehen hätten. Er ist spurlos verschwunden und soll eigentlich gleich ein Interview geben…

„Ace of Spades“ dröhnt gerade über die Mattscheibe, und Lemuel ist begeistert: „Ich seh‘ mich selbst zu gerne spielen, guck‘ mal, sind doch tolle Bewegungen, oder? Das mit der Windmaschine sieht auch phantastisch aus.“ Im Film bläst ein Riesenmiefquirl den wackeren Helden des schweren Metalls die lange Mähne aus der Stirn. Jetzt reißt er wieder seinen Mund auf, um mit dieser unglaublichen Röhre brüllend loszulegen. Dabei erfaßt die Kamera natürlich auch sein Gebiß. „Schrecklich, die Zähne sehen wirklich schrecklich aus.“ Ich mache mir lauthals darüber Gedanken, bei welcher furchtbaren Schlägerei der kräftige Lemmy sie wohl einbüßen mußte. „Als ich noch fast ein Kind war habe ich eines Morgens Corn Flakes gegessen. Ich steckte einfach den Löffel in den Mund, und ich weiß nicht mehr wie, auf einmal, Kracks, war ein Zahn draußen. Später war ich dann mal bei einem Zahnarzt, aber das war ein so ekliger Typ, daß ich dem in die Hand gebissen hab‘. Er hat mir einfach nur höllisch weh getan. Seitdem hab‘ ich eine tierische Angst vorm Zahnarzt, aber irgendwann muß ich wohl doch mal hin. Sieht ja schrecklich aus.“

Philthy, das Tier am Schlagzeug, schlendert rein. Sein Hals ist wieder von der Gipskrause befreit, in die man ihn nach einem gefährlichen Treppensturz stekken mußte. Der Ex-Skinhead entdeckt hinter einem der Fernseher eine Kiste mit Karnevalsmasken: „Die muß ich haben“. Lemmy, so richtig ins Plaudern gekommen, kichert: „Phil sammelt solche Kuriositäten. Auf Tour schleppt er immer einen ganzen Koffer ausschließlich mit solchem Kram wie Monstermasken aus Gummi und Plastik mit sich herum. Im Bus oder im Hotel kommt er dann pausenlos mit den irresten Verkleidungen um die Ecke gebogen.“

Wir sehen uns weiter den Film an, gerade spielen sie wie die Berserker „(We Are) The Road Crew“. A propos Road Crew: Ja, stimmt. Ich hab‘ ein halbes Jahr als Roadie für Hendrix gearbeitet. Nur die Anlage geschleppt. Gitarrespielen hatte ich aufgegeben, nachdem ich Jimmy gesehen hatte. 1971 wurde ich dann plötzlich Bassist, weil Hawkwind einen brauchten. Und bei Hawkwind waren auch noch ein paar andere Roadies, einer z.B. von Deke Leonards MAN. Vielleicht waren wir deshalb damals so ’ne Art Kultband. Später bin ich dann aus der Band geflogen, weil ich in Kanada mit Dope erwischt worden bin. Da hab‘ ich eben meine eigene Gruppe zusammengesucht. Der erste Versuch ging zwar daneben (mit Gitarrist Larry Wallis und Drummer Luca Fox), aber zum Glück sind wir ja jetzt eine ideale Mischung.“

Das kann man wohl sagen, es gibt wohl kaum eine Heavy-Metal-Band, hinter der die Fans so einmütig stehen, vom Rocker bis zum Punk, mal ganz abgesehen von solchen Leuten wie mir oder der Redaktion dieses Blattes. Wie kommt das? – Sie sind nicht gekünstelt, sind ehrlich und in der Lage, das von der Bühne her zu vermitteln. Wir erwähnen den einen oder anderen Hardrockstar, und als wir bei Ted Nugent ankommen, kann ich Lemmy nur beipflichten. „Ein selten beknackter Heini. Verkleidet sich als wilder Hardrocktarzan und kann noch nicht mal richtig laut spielen. Der geht so weit, daß er ein Goldfischglas auf die Bühne stellt und beim entscheidenden Solo schießt es dann einer von den Roadies, ohne daß das Publikum es merken soll, kaputt. Der hat’s im Kopf mit seinem Waffenfimmel.“ Soweit das kluge Haupt von Motörhead.

Am liebsten hören sie sich selbst und zu diesem entwaffnenden Egotrip gehört natürlich auch, daß sie auf die ihnen nahestehenden Mädchen von Girlschool abfahren. Philthy, das Tier, zeigt sich übrigens geschmeichelt, mit seinem Kollegen aus der Muppetshow verglichen zu werden. Alles in allem ein vergnüglicher und anregender Vormittag. Bleibt nur noch zu erwähnen, daß der ebenfalls anwesende Dr. Gonzo auf die geniale Idee kam, kleinen Motörheadstickern zu ihrer endgültigen Bestimmung zu verhelfen: eine Wand im Büro der Plattenfirma ist übersäht mit den z. T. unglaublichsten Singles. Da wurde dann schwuppdiwupp mit Hilfe der kleinen Kleber aus „Oh, Mann, bin ich verliebt“ ein „Oh, Mann, bin ich Motörhead“ und aus „Am Tag, als der Regen kam“ ein „Am Tag, als Motörhead kam“. Fürwahr!