Gary U.S. Bonds – Old Rock’n’Rollers Never Die


Hätte ihn Bruce Springsteen nicht vor 15 Jahren in sein Herz geschlossen, so würde Gary U.S. Bonds vermutlich auch heute noch durch zweitklassige Bars und Nachtclubs tingeln. So aber kam alles anders...

Norfolk in Virginia, 1960. Gary Anderson, ein junger Farbiger, gerade 20 Jahre alt, vertreibt sich seine reichlich vorhandene Freizeit damit, die Rock’n’Roll-Hits der US-Charts mit ein paar Freunden in Garagen und an Straßenecken herunterzuspielen. Was anderes gibt es in dem gottverdammten Nest sowieso nicht zu tun.

Zur selben Zeit, am selben Ort, hatte ein gewisser Frank Guida beschlossen, im großen Stil ins Rock-Business einzusteigen und sein eigenes Plattenlabel, Legrand Records, ins Leben gerufen. Ein eigenes Aufnahmestudio stand ihm schon zur Verfügung. Sogar eine perfekt poppige Rhythm & Blues-Nummer hatte er geschrieben, die nur noch aufgenommen werden mußte. Wie, das wußte er auch schon: mit Dampf und sau-chaotisch.

Anderson fiel ihm ein, den hatte er irgendwann mal singen gehört – und der war natürlich von Guidas überraschendem Vorschlag hellauf begeistert.

Die Single, die aus dieser Zufalls-Bekanntschaft entstand, wurde von einem wummernden Bass Drum-Beat und penetrant scheppernden Beckenschlägen eingeleitet, denen dann ein simples, aber eingängiges Sax-Riff und eine frenetische Gesangs-Fanfare folgten: „I said-a hey, hey, hey, hey, yeah …!“: „New Orleans“, die erste Single von Gary U.S. Bonds (so hatte man Anderson umgetauft), erreichte auf Anhieb Platz sechs der amerikanischen Hitparade. Wohlweislich hatten Guida und Bonds/Anderson vermieden, Bonds Hautfarbe an die große Glocke zu hängen, denn somit konnte „New Orleans“ die Pop-Charts heraufmarschieren, und nicht, wie bei farbigen Künstlern damals üblich, nur die R&B-Charts.

Gary U.S. Bond’s nächster Schlag saß noch besser. „Quarter To Three“ hörte sich an, als hätte man Bonds auf freiem Feld neben der Rollbahn eines Flughafens vors Mikrophon gestellt und die Regler nur dann aufgezogen, wenn gerade eine Acht-Propeller-Maschine im Start vorbeizog. Obendrein schienen alle Musiker im Vollrausch zu agieren. Das Ding wurde im Juni 1961 prompt ein Nummer Eins-Hit. Sowohl „New Orleans“ als auch „Quarter To Three“ hinterließen auch in Europa bleibenden Eindruck.

Nicht so allerdings die Nachfolger „School Is Out“, „School Is In“ (wie sinnig!), „Dear Lady Twist“ und „Twist, Twist, Senora“, die allenfalls in den Staaten mäßige Erfolge wurden. Wie so vielen Rock’n’Rollern der ersten und zweiten Stunde machte der Erdrutsch, der sich Beatles nannte, auch Gary U.S. Bonds den Garaus …

Die Neuzeit. Auftritt Bruce Springsteen, seines Zeichens Messias der gegenwärtigen US-Rockszene, ein Mann, über den nicht mehr viel Worte verloren werden müssen. Zu betonen in unserem Zusammenhang ist jedoch, daß er sich der Tradition der populären amerikanischen Musik bewußt ist wie kaum ein anderer und in seinen Konzerten die Größen der Vergangenheit mit Coverversionen ihrer Songs bedenkt. Gary U.S. Bonds konnte er dabei gar nicht übersehen.

Bonds hatte die letzten knapp 20 Jahre damit verbracht, an die 40 Wochen pro Jahr ein Repertoire aus Rhythm & Blues- und Soul-Nummern in Clubs und Musikkaschemmen abzuspulen und dabei nicht übel gelebt. (Neben seinem freundlichen Grinsen, dem lackschwarzen Lockenkopf und einer attraktiven Lücke zwischen den Vorderzähnen finde ich seine Leibesfülle ganz bemerkenswert) . Zugegeben, so ein Job ist hart, aber sicher besser als 20 Jahre Gräben zu schaufeln, oder?

Die USA setzen sich – soweit ich weiß – aus 50 Staaten zusammen, und irgendwann muß Gary U.S. Bonds auch im Staat New Jersey aufgetreten sein. Bruce Springsteen hatte sich das natürlich nicht entgehen lassen, denn die letzte Zugabe bei vielen seiner Konzerte ist schließlich seit langem „Quarter To Three“. Bruce, der bekanntlich recht freigiebig mit seinen Kompositionen ist (man denke an Patti Smith, Robert Gordon oder Greg Kihn), hatte zu Bonds‘ Gig auch gleich einen Song mitgebracht, „Dedication“, der eindeutig an „Quarter To Three“ angelehnt war. Aus der Begegnung entwickelte sich eine Freundschaft und der Plan zu einer LP.

Produzent dieser LP wurde Steve „Miami“ van Zandt, Gitarrist von Springsteens E-Street Band, die auch gleich zu den meisten Songs des Albums die exzellenten Backing Tracks einspielten. Die Rede ist natürlich von DEDICATION, der jüngsten LP von Gary U.S. Bonds, zu der Bruce Springsteen mit „This Little Girl“ und „Your Love“ noch zwei weitere Songs beisteuerte.

Inzwischen ist Bonds mit eigener Band wieder auf Achse, um wie man im Branchenjargon zu sagen pflegt – das Album zu promoten. Man wird ihn auch bei uns sehen und hören können, so Ende November/Anfang Dezember, und das sollte sich niemand entgehen lassen, der auf eine verschärfte Mischung aus Rhythm & Blues, Rock’n’Roll und ’ner Prise amerikanischem Entertainment steht.

Im August gab’s das bereits in der Hamburger Markthalle, und ich kann nur sagen: A splendid time was (is) guaranteed for all!

Neben sämtlichen Songs der LP, von denen mir besonders Steve van Zandts „Daddy’s Come Home“ als grandioser Höhepunkt in Erinnerung geblieben ist (Leute, dieser Gary Bonds kann sowas von tierisch singen!), gibt’s natürlich auch die alten Hits in aufpolierter Form, sowie ein paar R&B-Standards – und das alles mit einem Höchstmaß an Dynamik und ausgefeilter Präzision. Dieser Alte ist ganz gewiß noch nicht müde!