Tour-Tagebuch

Auf Tour mit Tocotronic – Tag 2, Münster: Warten auf Freiburg


Tammo Kasper, eigentlich Bassist der Band Trümmer, ist mit Ilgen-Nur als Support von Tocotronic unterwegs. Hier schreibt er sein Tour-Tagebuch für uns.

07.03.2018, Münster – „Hallo Münster!“ Wieder ausverkauft. Jacket oder kein Jacket? Gummistiefel. Draußen regnet es in Strömen. Tocotronic sind gerade mit dem Soundcheck fertig, als wir in die Halle kommen. Die alten analogen Scheinwerfer verströmen eine gemütliche Wärme. Die Ohrwürmer aus dem Tourbus halten sich hartnäckig. Flo – der Backliner (und Bassist der Band Kante) – hilft uns beim Aufbau. Sowieso: Die ganze Crew von Tocotronic ist unfassbar freundlich und großartig.

Während des Konzerts ruft uns irgendein Spinner entgegen: „Ihr seid gut – aber Isolation Berlin sind besser!“.

Letzte Woche war ich mit den Leoniden im Mehr!-Theater in Hamburg. Support für Franz Ferdinand – ganz andere Kiste. Fotoverbot. Hermetische Trennung von Vor- und Hauptgruppe. Franz Ferdinand mit eigenem Koch und importierter Küche unterwegs. Nur so viel: Anders macht echt mehr Spaß, ist familiärer, entspannter. Die Crew fährt im Nightliner vor, baut morgens auf, die Band kommt dann nachmittags dazu. Der Backstage wird sich geteilt. Das Gegenteil von Größenwahn, das Gegenteil von Rockstar-Klischees. Vielleicht ist das ja auch die einzige Möglichkeit, wie man in diesem komischen Business älter als 40 werden kann, ohne peinlich zu sein.

Aus Ilgen-Nurs Instagram-Story

Zum Beispiel: Rick McPhail hat die letzte EP seiner Band Mint Mind als Downloadcodebeileger zu einer selbstgebastelten Kaugummi-Packung veröffentlicht. Wir ärgern uns kurz, dass wir nicht selbst darauf gekommen sind. Irgendwann stehen wir dann auf der Bühne: Rrrrrriot. Fetzt gut heute. Schade, dass ich morgen nicht mehr mitspielen darf. Aber dann werden die Fotos besser. Ganz sicher. Während des Konzerts ruft uns irgendein Spinner entgegen: „Ihr seid gut – aber Isolation Berlin sind besser!“ Jetzt fangen die Leute schon an, Youtube-Kommentare zu brüllen. Das Diskursniveau im Diskursrock war auch schonmal höher. Aber sonst ist alles perfekt.

Es gibt kaum etwas, was Musiker vor Konzerten so wenig ausstehen können wie Musik.

Die Sputnikhalle ist noch so ein richtiger Club, eine ranzige und zugesprühte Halle in einer Industriebrache und keine klinische Eventlocation mit Red-Bull-Logos und dem ganzen Schwachsinn. Möchte man sofort unter Denkmalschutz stellen, das Ding. Der Backstage ist eine gemütliche Couchlandschaft und sieht aus, wie man sich einen Backstage aus den 90ern vorstellt: Sticker, Tags, vertrocknete Zimmerpflanzen und psychedelisches Licht. Außerdem steht ein Klavier im Backstage. Ungewöhnlich – schließlich gibt es kaum etwas, was Musiker vor Konzerten so wenig ausstehen können wie Musik. Ilgen und Dirk einigen sich trotzdem ziemlich schnell darauf, dass JLos „Jenny from the Block“ einer der besten Songs der Welt ist. Finde ich fragwürdig, aber geschenkt.

Es wird gemunkelt: Wenn es richtig krass wird, spielen Tocotronic als aller-aller-letzte Überzugabe noch „Freiburg“.

„Die Unendlichkeit“: Erste Singleauskopplung des gleichnamigen Albums. Erster Song des Konzerts. Beginn einer neuen Zeitrechnung, möchte man meinen. Sumpfig-dampfende Bassläufe schieben den Song ein Stück weit aus dem Nebel heraus, aber immer, wenn es zu greifbar werden könnte, verschwinden die Instrumente wieder im Reverbmeer, nur um wieder auszubrechen und sich gleich darauf wieder fallen zu lassen. Textlich: Neuanfang vs. Vergänglichkeit. Schließt aber durchaus dort an, wo das rote Album („Ich öffne mich“) aufhörte – ein Song, der bleiben wird.

Tocotronics Setlist

Es wird gemunkelt: Wenn es richtig krass wird, spielen Tocotronic als aller-aller-letzte Überzugabe noch „Freiburg“. Wir sind gespannt. Zur Zugabe fliegt eine Fledermaus in den Saal und zieht unbeachtet von der Band ihre Kreise über dem Publikum. Ozzy würde ihr jetzt vielleicht den Kopf abbeißen. Von Tocotronic hat sie nichts zu befürchten. Versprochen. Letztes Stück: „Letztes Jahr im Sommer“. Wir warten weiter auf „Freiburg“.