Interview

An der Bar: Austra

Katie Stelmanis im Gespräch mit Negroni über Therapie, Herzschmerz und die Schattenseiten des Streamings.

Die Laternenlichter sind bereits angeknipst, der Menschenstrom ebbt trotzdem nicht rund um den Berliner Rosenthaler Platz ab. Wir sitzen im Außenbereich der 100 Gramm Bar, nah am rauschhaften Geschehen, nah an der immervollen Tram und reden über Klicks, Retro-Rauchen und Herzschmerz.

Austra: Die ganze Stimmung hier erinnert mich an Paris, wo ich gerade erst war. Ich mag das. Aber ich vermisse richtige Menü-Karten!

Ja, QR-Code scannen ist nicht so chic, da gebe ich dir recht. Was trinken wir? Hier gibt es eine Auswahl, die mich erschlägt.

Da bin ich ganz klassisch und wähle Negroni.

Bin ich dabei. Auch Snacks dazu? Bist du fürs Teilen?

Klar, meine Nüsse sind deine. Ok, das klingt jetzt komisch.

Aber ich schätze das, danke. Und wie war Paris so?

Ich mochte die Kombination aus Album-Promo und Freizeit, in der ich immer mal irgendwo herumsitzen konnte – nur für mich.

Für dich funktioniert also das Alleinsein an öffentlichen Orten?

Wenn ich reise, ist das gar kein Problem. Gerade in Paris fühlt sich das schon regelrecht ikonisch an. Außerdem gibt es da oft Tische nur für eine Person. Ich bin eher zu ängstlich dafür, wenn ich zuhause, in Toronto, bin. Ich könnte ja in so einer Situation plötzlich jemand Bekanntes treffen …

Rauchst du? Ich habe das Gefühl, dass das darauf einzahlt, ob man dafür geschaffen ist, allein abzuhängen und sich nicht doof dabei vorzukommen.

Ich finde rauchen total eklig, aber es ist schon so, dass es in Paris bei den Leuten cool aussieht.

In Filmen und Serien ist es derzeit auch wieder mehr als eine Coole-Person-Angewohnheit zu sehen.

Rauchen ist so retro. Ich kenne niemanden in meinem Freundeskreis, der raucht. Wenn es jetzt als glamourös dargestellt wird, ist das so ein Y2K-Ding.

Also ich finde es schon cool, dass du auf Reisen alleine in Bars sitzen kannst, ohne darüber zu grübeln, was andere von dir halten. Gilt das auch für den Umgang mit deiner Musik – also machst du ebensowenig Gedanken über die Meinung anderer dazu?

Oh nein, ich denke rund um die Uhr darüber nach, wie Leute meine Musik beurteilen könnten. Das ist ein Thema, das ich auch oft in der Therapie angesprochen habe. Es ist so schwer, etwas selbst Erschaffenes in der Welt einfach laufen zu lassen. Denn man bekommt so gut wie nie die Reaktion, die man sich gewünscht hätte. Meine Therapie-Sessions sollten mich dafür wappnen, dass ich spätestens jetzt zum neuen Album entspannter bin, aber nein … Kaum war ein neuer Track von mir im Internet, war ich obsessiv am Lesen der Kommentare dazu. Ich bin wohl doch nicht so erleuchtet, wie ich es gerne gehabt hätte.

Wie versucht du, dich in Balance zu halten?

Ich probiere es mit Ablenkung. Übrigens sind das hier vor uns echt viele Nüsse …

Aber wirklich! Und schön, wie du dich nun bewiesen hast, dass du gut ablenken kannst.

(lacht) Stimmt. Aber es ist auch ein leidliches Thema … Streamingdienste funktionieren ja wie Social-Media-Plattformen. Die Streamingservices zeigen an, wie oft ein Song abgespielt wurde und es ist so leicht, darauf fixiert zu sein und eine weitere Sucht diesbezüglich zu entwickeln. Dabei sollte man doch nicht Stunde für Stunde danach beurteilt werden können! Aber so ist es wohl und es macht, dass ich konstant darüber nachdenke, wie man die Abrufzahl weiter in die Höhe treiben könnte. Das ist so ungesund. Und am Ende weiß ich trotz der Abrufzahlen nicht, wie etwas bei den Leuten ankommt. Mein vorheriges Album erschien 2020 – also mitten in der Pandemie. Ich musste 75 Shows canceln, es fühlte sich in Sachen Feedback für mich so an, als wäre die Platte nie herausgekommen. Aber als ich wieder Konzerte spielen konnte, war ich überrascht, wie gut bestimmte Lieder von ebendiesem Album von der Crowd aufgenommen wurden. Ich hatte damit nicht gerechnet, weil mir genau so was die Streamingzahlen nicht verraten haben.

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Also ich nutze Spotify vor allem, um Neues zu entdecken und dann freue ich mich eher, wenn ein Song noch nicht so viele Klicks hat.

Ja, das kenne ich auch. Und ich wähle Spotify, um auf dem Laufenden zu sein, die Abrufzahlen anderer Artists zu kennen. Aber es ist doch so: Wenn ich richtig Musik genießen will, dann setze ich mich zuhause mit einem Negroni hin, dimme das Licht und lege Vinyl auf. Ich mag das Physische daran. Ich liebe es, zu Auktionen und Garagenverkäufen zu gehen, alte Klassik- und Jazz-Platten für 20 Cent zu kaufen und die in einer Art Zeremonie in meinen eigenen vier Wänden anzumachen. Für andere mag das keinen Wert haben, aber für mich ist so eine abgegrabbelte LP der Wahnsinn. Übrigens so wie auch der Negroni. Der ist perfekt.

Genau richtig gerade. Draußen sitzen und das schlürfen … Aber ich spreche mal den Elefanten im Raum an: Wir sitzen uns nicht gegenüber, sondern nebeneinander und müssen uns immer etwas verdrehen, um uns beim Reden in die Augen zu gucken. Von einer Skala von 1 bis 10 – wie unangenehm ist es dir?

Also für mich geht das total klar, das gehört irgendwie auch zu meinem neuen Pariser Lifestyle dazu. (lacht) Ist es zu komisch für dich?

Je mehr Negroni ich trinke, desto wohliger fühle ich mich. Alles gut also! Mit welchen Musiker:innen, tot oder lebendig, würdest du gerne mal so nah in einer Kneipe zusammensitzen?

Ich hätte wirklich gerne Puccini kennengelernt. Nur um zu wissen, wie er sich so gegeben hat. Das gilt auch für Debussy. Irgendwie glaube ich, dass sie heimlich schwul waren. Ich weiß, sie hatten Ehefrauen, aber mein Kopf sagt mir: In keiner Welt haben sie die Art von Musik gemacht und waren nicht nicht schwul. Ich würde gerne bestätigt wissen, dass sie gar nicht unbedingt diesen angespannten, staatstragenden Konzerthallen entsprechen, in denen sie jetzt nur noch gespielt werden. Und weil mein Lieblingsfilm „Amadeus“ ist, würde ich auch mit Mozart gerne einen trinken gehen. Ich weiß nicht, ob es okay ist, das zu sagen, aber ich habe das Gefühl, dass er autistisch war. Er war so unglaublich produktiv, aber seine – wirklich fantastischen – Kompositionen hatten allesamt etwas Ähnliches, als hätte er sich auf etwas Bestimmtes fixiert, an dem er sich abarbeiten musste. Ich denke derzeit viel darüber nach, gerade weil Trump darüber redet, dass Leute mit Autismus seiner Meinung nach geheilt werden sollten. Aber wieso sollte man das wollen? Um bei meinem wackelig erdachten Beispiel von Mozart zu bleiben: Warum hätte man Mozart heilen wollen? Wen hätte das genützt?

Trump hört nicht auf, Dinge zu sagen und zu tun, die beängstigend sind. Hast du mit deinem Album, CHIN UP BUTTERCUP, auch diese gesellschaftspolitisch problematischen Entwicklungen mitgemeint?

Es ist schon so, dass bereits der Albumtitel darauf einzahlt, dass es darum geht, dass man selbst dann noch zur Arbeit geht und im Alltag funktioniert, wenn alles um einen herum zusammenbricht. Das meine ich im politischen Sinne, wie auch im privaten. Derzeitig fühlt sich alles wie ein einziges Chaos in der Welt an. Aber mit der Platte meinte ich dennoch vor allem mein persönliches Chaos, weil ich 2020 eine schlimme Trennung durchgemacht habe. Die Trennung hat mich komplett destabilisiert. Nun bin ich aber an einem Punkt, an dem ich fast schon über den Melodrama-Aspekt des Ganzen lachen kann. Auch darüber, dass mir mein Kopf zum schlimmsten Zeitpunkt des Beziehungsbruchs Realitäten vorgespielt hat, die nicht der Wahrheit entsprachen, aber auf dem Album habe ich mich dennoch in diese Fake-Realitäten etwas mehr reingelehnt und mich teils auch darüber lustig gemacht. Aber nicht im Negativen, nicht als Auslachen, sondern Lachen als etwas, das einen besser fühlen lässt.

Ist Alkohol eine gute oder schlechte Idee, wenn man mit Herzschmerz zu tun hat?

Wenn ich richtig traurig bin, lasse ich die Finger vom Alkohol. Und der Herzschmerz war so krass, dass ich für ein Jahr nicht mal Musik gemacht habe. Ich fing sofort mit Therapie-Sessions an, versuchte anderweitig auch Motivation zu finden. Ich habe zum Beispiel in der Pandemie und der Herzschmerzzeit mit dem Marmelade-Machen begonnen. Aber das Musizieren, was mich zuvor immer reguliert und entspannt hat, blieb weg, weil ich Sorge hatte, dass es nicht die gleiche Kraft wie früher haben würde. Erst, als ich mich weniger deprimiert und dank meiner neuen Beziehung regelrecht dauer-euphorisch fühlte, wusste ich, dass es mit der Musik wieder flutschen würde.

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Mehr zu Austra

Seit 2011 bringt Katie Stelmanis als Austra ihren clubbigen Synth-Pop in die Welt, bei dem vor allem ihre eindringliche Stimme – der hörbar eine klassische Ausbildung zugrunde liegt – im Vordergrund steht. Die in Toronto lebende Musikerin veröffentlicht mit CHIN UP BUTTERCUP (Release: 14. November) ihr fünftes Album, bei dem sich alles um Trennungstrauer im Tanzgewand dreht.