BAP


Der Stoff, aus dem die Träume sind: Mit Mundart-Rock ins Vorprogramm der Stones, aus Köln am Rhein via „Rockpalast“ in die Wohnstuben Europas und am Sonntag triffst du die Band in der Kneipe an der Ecke. Im Kölner „Chlodwig-Eck“ I riecht es so, wie es in allen Kneipen in Köln und sonstwo am Sonntagnachmittag um zwei riecht. Pinten-Melancholie mit auf den Kopf im Regal stehenden Glasern und ausgeschaltetem Flipper, Sonne scheint durch die Bleiverglasung, Kinder spielen auf der Straße. Nach und nach trudeln sie ein, Kölns lokalste Matadore, die Stones vom Rhein. An diesem Tag könnten sie sich wohl in keiner anderen Kneipe als „ihrer eigenen “ sehen lassen und in Ruhe Cola trinken. Knapp 20 Stunden vorher hatten sie Jeiiim Rockpalast“ die Post abgehen lassen (endlich trifft das blöde Wort mal wirklich), jetzt sehen sie wieder aus wie die jungen Herren vom Studenten-Schnelldienst. Es ist wahr, unter der Woche würde man sie in der Straßenbahn nicht erkennen. Ich hatte mir den BAP-Auftritt auf der Loreley absichtlich nur auf der Mattscheibe angesehen. Patti Smith hatte mich seinerzeit gelehrt: Ein Festival-Gig gleich welcher Band kann sich aus der hautnahen Perspektive noch so toll ausnehmen, dochnachher sagen dir die Daheimgebliebenen, im TV sei es sterbenslangweilig gewesen. Leid tat es mir in diesem Fall wirklich nicht. ich habe (obwohl wieder mal die Gitarren zu laut und die Keyboards zu dünne übertragen wurden) endlich mal die öffentlich-rechtliche Rockpalast-Kamera wirklich rangehen sehen. Wie kam’s? „Weiß ich auch nicht“, sagt der Major, BAFs leitender Gitarrero, „es war wirklich ein Heimspiel für uns. Alle, die auf dem Festival gearbeitet haben, auf der Bühne und die Leute vom Fernsehn, echt auch die ganzen Kabelschlepper und so, haben uns buchstäblich nach vorne gepusht. Et war doll, wirklich. Da war dann auch kein Nerven flattern mehr und gar nichts. Wir haben eigentlich noch nie so nach vorn raus gespielt.“ „Angst hatte ich die Woche vorher,“ ergänzt Niedecken, der sich für den Loreley-Auftritt von Hund und Freundin in Griechenland getrennt hatte und zwei Tage nach dem Gig nochmals für drei Wochen ans Mittelmeer flog (übrigens der einzige Jetset-mäßige Aspekt, den ich diesem Thema abgewinnen konnte), „ich hob da unten nich pennen können. Denn das Ding hätte ganz fürchterlich in die Hose gehen können, es hätt mich selbst nicht gewundert. Wir sollten uns erst buchstäblich drei Tage vorher zum Proben treffen. Dann liegst du zwischen den Ziegen und dir bricht der Schweiß aus bei dem, was dir so durch den Kopf geht. Aber ins kalte Wasser springen ist wohl immer das Beste.“ So kalt wird das Wasser nun auch nicht gewesen sein. Es gibt ungünSo kalt wird das Wasser nun auch nicht gewesen sein. Es gibt ungünstigere Bedingungen für einen Band-Auftritt als ein Festival bei schönem Wetter 60 Kilometer vor der Haustür. Dazu noch vor 15 000 Leuten, von denen mindestens ein Drittel eisenharte BAP-Fans sind, die nur darauf warten, Rockpalast-gemäß zu zeigen, was für ein phantastisches Abiahr-Publikum man doch sein kann. Daß die Gruppe dabei eine Musik macht, die sich nicht gerade durch Ecken und Kanten auszeichnet, sondern nach einem Muster gestrickt ist, das so ziemlich jedem paßt, der „Under My Thumb“ oder „Maggies Farm“ praktisch mit der Muttermilch eingesogen hat – all das kann man {muß man) zum Thema BAP im Kopf behalten. Vorwerfen kann man es keinem, auch nicht der Gruppe selbst. BAP ist jetzt im Wortsinn populär (was sie von einer Reihe anderer synthetischer Pop-Produkte unterscheidet, die alle auch auf dein Portemonnaie abgezielt sind). Die Frage ist nur, was man wo für sein Taschengeld geboten kriegt, die Zahl der Nieten war groß in den letzten Monaten. Wer obendrein von BAP erwartet, mehr zu sein als eine Pop-Gruppe, als Entertainment, dem sind im irdischen Dasein noch eine ganze Reihe von Enttäuschungen vorauszusagen. “ Glaubst du eigentlich an etwas“, hat Albrecht Metzger von Wolfgang Niedecken auf dem Loreleyfelsen wissen wollen. „Hoffen schon“, hat der geantwortet, „glauben schon lange nicht mehr.“ Im Chlodwig-Eck frage ich, ob das mit der Hoffnung nicht ein bißchen zu hoch angesetzt war und zum Glück stimmt er mir zu. Was der Metzger wohl hat wissen wollen (ich auch), war der Grund für die auffallend häufigen biblischen Bezüge in Niedeckens Texten. Die Antwort (naheliegend, wir sind in Kölle am Dom): „Du m ußt die vorstellen, daß ich eine stock-katholische Erziehung hinter mir habe, mit Patres im Internat, zehn Jahre lang. Das wird sich in meiner Ausdrucksweise und den Bildern, die mir zu Geschichten in den Kopf kommen, immer auswirken. A ufdie Symbole, die du da einmal mitbekommen hast, kommst du auch dann zwangsläufig zurück, wenn du mit Kirche und dem Brimborium überhaupt nichts mehr zu tun hast. Sie sitzen drin und sind eben das, was ich mitbekommen habe.“ Zurück zum Irdischen: Mit dem Sprung ins kalte Wasser (siehe oben) ist es nicht getan, allein dadurch kann der BAP-Erfolg nicht erklärt werden. Die Band, die mir hier so „normal“, sprich ohne Star-Attitüden gegenübersitzt, hat eine ganze Menge Wind von hinten gekriegt, um da zu landen, wo sie heute ist. Nicht jeder spielt schließlich im Vorprogramm der Stones. Da hat doch einer dran gedreht, oder? „Moment mal,“ unterbricht der Major meine Frage und die gleichzeitigen Atemholer und Antwort-Ansätze seiner Kollegen, “ der Gig mit den Stones ist nicht auf dem Mist unserer Com pany gewachsen, sondern auf einer Suffidee von Balou (BAPBetreuer, Telefonist, Koordinator, dem optischen Gegenteil eines Managers im Schaugeschäft) und mir. Wir hatten gehört, daß Maifay in München das Vorprogramm der Stones macht und haben uns daraufhin im besoffenen Kopp gesagt: Wir sind der Kölner Stones-Fandub – und wenn hier einer in Köln das Vorprogramm macht, dann sind wir das. Am nächsten Tag waren wir uns der Sache längst nicht mehr so sicher, haben aber doch angefangen zu telefonieren. Bei der EMI haben sie uns gesagt, daß wir jetzt wohl doch ganz verrückt geworden wären. Fritz Rau fand die Idee ganz lustig, sagte uns aber, da war mit Sicherheit nichts zu machen. Als sich dann der zweite Konzerttag in Köln doch nicht so gut verkaufte, wie vorgesehen, haben sie sich wohl gedacht, daß so ein lokaler A et vorneweg gar nicht schlecht war. Da standen wir dann da, kein Soundcheck, garnix, rauf auf die Bühne, jetzt macht mal.“ „Da hab ich wirklich Schiß gehabt,“ sagt der Niedecken mehr zu sich selbst als zu den anderen am Tisch, „son Lampenfieber kannst du dir einfach nicht vorstellen. Aber der Major hat recht: Die großen Sachen sind uns von außen angeboten worden, wobei wir in keinem der Fälle damit gerechnet haben. „Ftockpop in Concert“ hat sich für die Bocknacht alle Gruppen geholt, die zu der Zeit in den Charts waren. Und Peter Rücheis Entscheidung, uns jetzt wieder in den „Rockpalast“ zu holen, ist seine eigene persönliche Sache gewesen. Es gibt ja wohl keinen, der mehr nach seinem eigenen Kopf geht wie der.“ Die Band, die sich mit al len direkt mit dem Ding zusammenhängenden Die Band, die sich mit allen direkt mit dem Ding zusammenhängenden Leuten inzwischen ironisch „Firma BAP“ nennt, hat untereinander ein deutlich spürbares Clan-Bewußtsein entwickelt, in der es zumindest für Außenstehende keine erkennbaren Hierarchie-Unterschiede gibt. 12 Leute (sechs Musiker, ein Soundmann, drei Roadies, ein organisatorisches und geschäftliches Duo) haben innerhalb der Band alle zum ersten Mal einen solchen Job übernommen. Wenn es BAP nicht gegeben hätte, wäre es für jeden der Beteiligten grundsätzlich anders gelaufen. Jeder, den ich innerhalb der Firma danach befragte, bestätigte mir, daß für ihn der persönliche Draht zum einen oder anderen aus dem Clan immer alter war, länger bestand, als sein Job-Mitarbett-Beteiligten-Verhältnis zu BAP. Die BAP-rypische Kumpanei, die Tom Hospelt vor einem Jahr (ME 10/81) ausgemacht hat, ist inzwischen nicht vor die Hunde gegangen. Es ist sicher leicht, einen Kuchen zu teilen, der so groß ist wie eine goldene Schallplatte, einfach weil genug zu teilen da ist, doch die Plackerei einer Band, die so oft und intensiv live spielt wie es der Kölner Haufen tut, kann nur jemand auf sich nehmen, der sich gerade in dieser Plackerei sauwohl fühlt und für den die Höhe der damit eingefahrenen Kohlen hochwillkommene ßeg/e;f-Erscheinung sind. Der Club hängt neun von zwölf Monaten im Jahr zusammen, die mit Konzert-Arbeit, Proben, Studio, nochmal Proben, Rumfahren, Einladen, Ausladen, ausgefüllt sind. Texte würden Niedecken nur noch zum Thema Autobahn und Hotel und Proberaum einfallen, wenn er sich nicht, wie er sagt, das Autoren-Privileg herausnehmen und bei jeder verbleibenden Gelegenheit nach Griechenland absetzen würde. Ohne diesen Freiraum, beteuert er, geht es nicht mehr. „Am Ende liest du nur noch Comics. Etwas anderes kannst du gar nicht mehr aufnehmen, du liest drei Seiten in einem Buch, das du schon ein paar Wochen in der Tasche hast und dann fällt dir auf, daß noch im selben Augenblick nichts, aber auch gar nichts hängengeblieben ist von dem, was du in den letzten zehn Minuten gelesen hast.“ Infolgedessen liest sich das Beiheft zur neuen BAP-Platte mehr wie ein Urlaubstagebuch von jemand, der seine Flucht vor dem einheimischen Karneval dazu genutzt hat, um das Sieb in seinem Kopf zwischen Agaven und Steinen auszuklopfen und die herausgefallenen Gedanken zu Notizen und Songs zusammenstellt. Die Texte sind nicht selten von einer , Wenn-wir-alle-ganzdicht-zusamm enrücken -kann vielleicht-ja-doch -cJles-gut-werden „-Moral durchzogen, die sich so gut in die Dcea-Idylle einfügt und mir aus diesem letzten Grund suspekt ist. Damit paßt er, Niedecken, letztlich genau so ins Konzept der Herrschenden wie der „Wellenreiter“, den er auf in einem Titel der neuen BAP-LP als Ochs vorm Berg dastehen laßt. Wer vor dem Vulkan steht und an diesen Vulkan kurz vor dem Ausbruch appelliert, doch nicht auszubrechen, ist ebenso naiv wie der, der sich mangels Alternative die tollsten Klamotten anzieht und auf dem Vulkan tanzen geht. Verstehen kann ich beide. Doch hat der kölsche Dylan in seinen Texten und Beobachtungen eine Genauigkeit, eine Prägnanz und eine Bildhaftigkeit entwickelt, die ihn mit Ambros, vielleicht noch Wecker, allein auf weiter Flur dastehen läßt und die in guten Momenten an die Highlights des Niedecken-Vorbilds Dylan herankommen. (Der hat später schließlich auch Kitsch produziert, was den „Subterranean Homesick Blues“ allerdings nicht ungeschrieben macht.) Die Gruppe, die hinter Niedekken steht, namentlich Klaus Heuser (der „Major“, an der Gitarre, die Schlagwerker Manfred „Schmal“ Boecker, dessen Bruder Wolli, Hans „Fouz“ Wollrath, Steve Borg am Bass und Alex Büchel an den Tasten), zeichnet kollektiv für die BAP-Musik verantwortlich, wobei allerdings von allen der Gitarren-Major Haley als der Wichtigste genannt wird. Das Musik-Konzert ist im Rahmen Rockmusik konventionell und handwerklich, was jedoch – wie gesagt – auch nicht bestritten wird. Die Aussage „wir stehen halt auf den Stones“ läßt sie jedenfalls ehrlicher dastehen als so manche hochfrisierte „Neu“-töner. Für diesen Herbst ist ein Tournee-Marathon angesagt, in dem die Kölner in 80 Tagen 56 Konzerte absolvieren wollen, ein zweiter Tourblock ist für die ersten drei Monate des kommenden Jahres angekündigt. In einer Periode, in der die Musikalien-Branche über die Flaute stöhnt und ein zahlenmäßig aufgeblasenes Angebot an Musikprodukten knapperen Kundenkassen gegenübersteht, braucht sich BAP über ausverkaufte Häuser keine Sorgen mehr zu machen. Es gibt genug Leute, die wissen, was sie erwartet, wenn sie sich ihr Ticket gekauft haben. Für den, der’s mag, ist BAP live ein solides Angebot man hat’s gesehen. Die Tour geht den ganz großen Hallen aus dem Wege, die Gruppe hat in der Heimat Köln lieber fünf Termine in überschaubarer bis winziger Größenordnung („Basement“) gebucht, als einmal in der Sporthalle hinzulangen. Gibt es keine Angst vor dem Kräfteverschleiß oder vor möglicher Publikumsermüdung? Major: “ Wir stehen echt zum Spaß auf der Bühne – und zumindest ich persönlich kann davon vorerst nicht genug kriegen. Was wir allerdings danach machen, ist völlig ungewiß. Laß uns dat Ding ers’imal hinter uns bringen“ Holger Krüssmann