Bilanz und Vorschau zur Konzertsaison ’75


Deutschlands Konzertveranstalter haben Halbzeit. Nach den Tourneen von Deep Purple, Jethro Tull, Uriah Heep, Sweet, Grand Funk, Frank Sinatra, Barry White, Little Richard, Status Quo, Rory Gallagher, Bad Company, Genesis, Donovan, Queen, Nazareth, Jack Bruce und Bachman Turner Overdrive bereitet man sich nun auf die kommende Herbst- und Wintersaison vor. Zeit für einen Rückblick und eine kurze Vorschau auf das Programm der nächsten Monate.

Sehr zufrieden mit der vergangenen Saison ist Marcel Avram von der Frankfurter Konzert-Agentur ‚Mama Concerts‘.

„Die letzte Saison war ein tierisches Geschäft!“

„Wir hatten in diesem Jahr noch keinen einzigen finanziellen Reinfall“, freut sich Avram. „In den vergangenen Monaten haben wir vor allem Acts nach Deutschland gebracht, die bisher noch nie dagewesen sind! Frank Sinatra, Barry White, Bachman Turner Overdrive eine Sensation sowohl für die Presse als auch für das Publikum.

Schön für uns, daß es gleichzeitig auch ein finanzieller Erfolg war.

Bei Frank Sinatra hat es zwar einige Schwierigkeiten gegeben: Franky-Boy hat zu viele Erwartungen in Europa gesetzt. So war es beispielsweise völlig verkehrt von ihm, in der Münchener Olympiahalle auftreten zu wollen. Das sind Dimensionen, die für Sinalra vielleicht in Amerika angemessen sind. Aber nicht in Deutschland . .,“

Von Frank Sinatra bis Queen organisieren „Mama Concerts‘ die verschiedensten Konzert-Tourneen. „Deshalb kann ich auch nicht gerade behaupten, daß wir uns mit allen unseren Gruppen identifizieren“, gesteht Avram. „Natürlich haben wir bestimmte Lieblingsformationen. Aber: Wir bringen auch Gruppen, die unserem musikalischen Geschmack nicht so recht entsprechen, denn wir müssen ja an unsere Einnahmen denken. Veranstalter ist ein Job wie jeder andere – nur teilweise noch etwas härter. Wir müssen die richtige Auswahl von Gruppen treffen. Dazu kommen Vertragsverhandlungen und die ganze Organisationsarbeit wie Tourneeplanung, das Mieten der Hallen, Werbung, Bühnenbau und so weiter. Und am Ende des Monats haben wir zwölf Angestellte zu bezahlen – auch wenn die Einnahmen aus einer Tournee einmal geringer sind, oder gar ein Verlust entsteht.

So trifft uns eine Panne wie beispielsweise das Desaster mit Uriah Heep letztes Jahr besonders hart“.

Uriah Heep 74: „… wie die Schweine!“

„Die vorletzte Tournee von Uriah Heep war ein totales Chaos. Überall, wo die Jungs auftraten, sah es anschließend aus wie auf einem Schlachtfeld. Uriah Heep haben randaliert und Leute angepöbelt. In Frankfurt ließen sie ein ganzes Festival platzen, und die enttäuschten Fans verursachten in der Festhalle einen Sachschaden von rund 10.000 DM. In Gelsenkirchen schlug die Gruppe eine Diskothek zu Kleinholz — am nächsten Morgen mußten wir sie aus dem Gefängnis abholen.“

„Doch hei der jüngsten Tournee war wieder alles in Ordnung. Diesmal waren sie brav wie die Engel. Durch das Free-Konzert in Frankfurt haben wir wieder viel Vertrauen gewonnen. Und jetzt können wir auch wieder Konzerte in der Frankfurter Festhalle einplanen — Heep-Manager Gerry Bron gab es uns schriftlich, daß er damals an allem schuld war.“

Die Juni-Tournee von Uriah Heep war ein Riesenerfolg, und so kann sich ‚Mama Concerts‘ im Herbst wieder voll in neue Aktivitäten stürzen.

Avram: „Wir sind vor allem mit den Amerikanern sehr gut im Geschäft. Jetzt machen wir erst einmal ein Festival mit Alice Cooper und Tourneen von Sammy Davies jr. und Paul Anka – durch ganz Europa.

Allgemein hat sich gezeigt, daß nicht alle großen Tourneen von England ausgehen müssen. Mit Status Quo machen wir eine 3-Länder-Tournce durch Deutschland, Österreich und Jugoslawien, und mit Leonard Cohen sind wir im Gespräch über eine Konzertreise mit Stationen wie Glasgow. Kopenhagen. Antwerpen, Brüssel, München, Wien, Prag, Budapest, Athen und -Jerusalem. Von den altbewährten Star-Formationen ziehen dagegen nur noch die größten wie Stones, Led Zeppelin und Pink Floyd.“

Die Zeit von Deep Purple und ELP ist für mich vorbei

„Viele Bands bringen einfach nichts Neues mehr. Ich glaube, daß sich Deep Purple in ihrer vierten Besetzung nochmals halten können, und Emerson, Lake & Palmer imponieren seit ihrer dritten LP-Veröffentlichung nur noch mit Bühnenbauten. Statt dessen rücken viele interessante neue Gruppen nach. Deshalb bringen wir im September auch einige vielversprechende Newcomer. Ich persönlich setze auf Lynyrd Skynyrd und Supertramp …“

Fritz Rau kündigt große Namen und Newcomer an

Deutschlands größte Konzert-Agentur Lippmann + Rau hat ebenfalls neben großen Namen auch junge vielversprechende Gruppen im Programm.

Fritz Rau: „Wir sind froh, daß wir im Herbst und Winter wieder einige der bewährtesten und gute Namen vorstellen können: Led Zeppelin, Santana und im Dezember voraussichtlich auch die Rolling Stones. Dann widmen wir uns Gordon Lightfcxit. Gentle Giant und einem Phänomen wie Robin Trower; wir sind auf die Average White Band aufmerksam gemacht worden, und John Mayall kommt wieder mit einer neuen Band. Außerdem bringen wir Johnny Cash, Vicky Leandros und Peter Alexander. Es ist also wieder eine ganze Palette.“

„Nur durch ein breites Angebot bleibt das Konzertgeschäft für uns wirtschaftlich interessant. So haben wir in der vergangenen Konzert-Saison nicht durch Rock verdient, sondern durch Tourneen mit Liza Minelli, den Les Humphries Singers und Folklore-Festivals wie La Singla und das Festival Flamenco Citana. Auch die Pointer Sisters sind überraschend gut Gelaufen.“

Im nächsten halben Jahr: nichts Revolutionäres

So sieht Fritz Rau der weiteren Entwicklung des Rock eher skeptisch entgegen: „Auf dem Gebiet der Rock-Musik haben sich keine neuen Giganten entwickelt.“ Fritz Rau bedauert:

„Auch im nächsten halben Jahr ist nichts Revolutionäres zu erwarten!“ Werner Kuhls von ‚Sunrise“ ist derselben Meinung.

„Kuhls: „Wir müssen uns bei der Auswahl unseres Tournee-Programms im zweiten Halbjahr 75 sehr, sehr vorsichtig verhallen. Nicht alles, was als neue Sensation angekündigt wird, ist auch tatsächlich ein Super-Renner. Wirklich große Erfolge haben wahrscheinlich doch nur wieder die alten Giganten: Stones, Who .. .

Natürlich gibt es einige, die man aufbauen kann. Wir werden es mit Alex Harvey, Kris Krisloflerson und J.J. Cale versuchen. Für eine kleinere Agentur wie uns ist es recht schwierig, sich gegen die Konkurrenz der großen Veranstalter zu behaupten. Wir müssen immer ein etwas größeres Risiko eingehen. Zum Glück hatten wir mit Wishbone Ash und Genesis sensationelle Erfolge. Aber bisher hat die Kasse nicht immer gestimmt.“

„Die Tour der Jack Bruce Band war eine Pleite“

„Die Fans sind viel sparsamer geworden. Inzwischen überlegen sie es sich ganz genau, bevor sie Geld für einen Konzertbesuch ausgeben.

Dazu kommt, daß die örtlichen Kosten in den verschiedenen TourneeStädten gewaltig angestiegen sind. Im Congress Centrum Hamburg beispielsweise hat man die Miete um 200% hochgeschraubt. Rock-Konzerte werden in diesen Hallen sowieso nicht gerade gerne gesehen, und so stellt man sich auf den Standpunkt: Wenn es schon sein muß — dann sollen die Veranstalter auch tüchtig berappen.

An eine fruchtbare Zusammenarbeit mit den Verwaltern der Säle ist leider nicht zu denken!“

D“ie Hallen-Vermieter verschanzen sich hinter Bestimmungen – es ist idiotisch“

„Man rechnet uns vor. was wir verdienen und geht mit den Mietpreisen in die Höhe. Die Herren meinen, wir könnten ja notfalls immer noch die Eintrittspreise anheben.

Am Anfang haben wir die Tickets für 8 bis 10 DM verkauft, aber heute müssen wir Eintrittspreise nehmen, die wirklich zu hoch sind — wir sind inzwischen bei 18 bis 20 DM angelangt.

Bei Sweet haben wir 9 bis 14 DM Eintritt verlangt – und das war zu günstig. Da haben wir uns leider verkalkuliert, und so konnten wir trotz der guten Besucherzahlen wieder kaum ein Geschäft machen. Außerdem hat es in jeder Stadt Sachschäden gegeben.

Die Roadies waren einfach unmöglich: In Braunschweig haben sie die Boxen über den Boden geschleift und dabei das ganze Parkett verkratzt. Überall wurden Nägel in die Flolzvertäfelungen geschlagen. Die Rechnung dafür bekomme ich auf den Tisch.

Sweet selbst hatten daran jedoch keine Schuld. Es lag einfach an der wahnwitzigen Road-Crcw. Der Manager von Sweet hat sich bei mir für ihr Verhalten noch nachträglich entschuldigt.

Aber dann ist noch etwas passiert: Bei dem Sweet-Konzert in Stuttgart wurde ein Mädchen schwer verletzt. Vielleicht durch die Flaschen, die aus dem Publikum geworfen wurden — vielleicht war es aber auch das Bühnen-Feuerwerk von Sweet. Dem Mädchen sind jedenfalls einige Partikel in den Kopf gedrungen. Jetzt liegt das Kind einseitig gelähmt im Krankenhaus.“

Wir Veranstalter sind immer die Prügelknaben

„Auch bei den Vertragsverhandlungen in England versucht man oft, uns hinzuhalten und die verschiedenen Agenturen gegeneinander auszuspielen. Da fliegt man zig-mal nach London —und nie kommt es zu einem Abschluß. Meist sind schon alle Vertragspunkte festgelegt und die Vorbereitungen zur Tournee haben längst begonnen, bevor die Vereinbarungen vom englischen Management endlich bestätigt werden — und das teils nur mit Fernschreiben. Dann ist die Hälfte der Werbezeit schon um, und man sitzt wie auf heißen Kohlen, um alles noch rechtzeitig über die Bühne zu bekommen. Durch eine Partnerschaft mit einem skandinavischen Veranstalter haben wir inzwischen zum Glück an Einfluß gewonnen. Jetzt kann man nicht mehr so leicht Pingpong mit uns spielen!“