Blue Rondo A La Turk


Eigentlich bin ich ja Trotzkist. Unser erster Auftritt fand genau am Abend vor der Trauung von Prinz Charles und Lady Di statt, und zwar nur ein paar Meter davon entfernt. Deshalb wollten wir die Veranstaltung in ein Anti-Royalist-Festival umfunktionieren und am Morgen zusammen gegen das Hochzeitsspektakel demonstrieren gehen. Das Pech war nur, daß es Freibier gab und wir alle so stockbesoffen waren, daß ich eine Stunde lang meine Haustür gesucht habe, bis mich ein Kumpel durchs Fenster reingezogen hat.“

Die Stimmung danach muß ungefähr so gewesen sein wie an diesem Morgen, als mir ein völlig verkaterter, aber freudestrahlender Chris Sullivan mit krächzender Stimme Szenen aus seinem bewegten Leben erzählt Er und seine Jungs können es noch gar nicht fassen: Ihr erster Auftritt in der BRD, anläßlich der TV-Sendung „Rock aus dem Alabama“, war ein solch grandioser Erfolg, daß die begeisterten Zuschauer sie gar nicht mehr von der Bühne lassen wollten“ Und dabei geben wir doch sonst gar keine Zugaben“, wundert sich Christos Tolera, der zweite Sänger neben Chris.

Sooo verwunderlich war das gar nicht, denn was das zehnköpfige Mini-Orchester auf der Bühne ablieferte, war abenteuerlich und atemberaubend zugleich. Blue Rondo – ein Schmelztiegel von Hautfarben, Nationalitäten und Musikstilen: Brasilien, Südafrika, Barbados, Zypern, Jamaika, Indien, Irland, England, USA, alles vertreten.

Musikalisch überwiegt der lateinamerikanische Einfluß allerdings bei weitem. Als Nachfahren von SalonOrchestern der 50er wie Tito Puente oder Xavier Cugat möchten sie sich trotzdem nicht verstanden wissen:

„Eine reine Latin-Band sind wir nicht. Dazu findet man zuviele andere Einflüsse. z.B. afrikanische Rhythmik Funk oder Swing.“

Für den Vorwurf (anderer Kollegen), eigentlich würden Blue Rondo ja nur geschickt klauen, ohne wirklich einen eigenen Stil einen eigenen Charakter zu entwickeln, muß ich eine zehnminütige Schimpfkanonade von Chris Sullivan über mich ergehen lassen: „Alles verdammte Parasiten, alte Hippies, die gern mal Punks geworden wären, aber nicht über den Schatten ihrer Mittelklasse-Abstammung springen können. Was wir machen und wie wir aussehen, bringt sie total aus der Fassung. Nicht neu! Was soll das eigentlich? Das sind doch dieselben Leute, die feuchte Augen kriegen, wenn sie ein Jam-Album hören. Und da gibt’s ja soviel Neues zu hören! Langweilige, doofe, alte Hippies!“

Vom Vergleich mit Kid Creole wollen sie natürlich auch nichts wissen, obwohl sich ein solcher geradezu aufdrängt. Ich kann mir nicht helfen, ich finde sie einfach viel besser, weil ihnen diese einstudierte Pose, diese perfekte Sterilität vollkommen abgeht.

Blue Rondo ist ein unglaublicher Chaotenhaufen, laut, grell, bunt, lustig, unverschämt, sympathisch. „Die Leute mögen uns, weil wir uns über uns selbst lustig machen“, sinniert Christos und rückt sich die Biberfellmütze für Arktis-Expeditionen zurecht, die er schon seit Stunden im gut geheizten Raum auf dem Kopf hat.