Bob Dylan


Vergessen wir mal für einen Moment die Etiketten aus der obersten Lob-schublade eines angestaubten Rockjournalismus, also Klischeebedienung á la „„lebende Legende“ oder „“Sprecher einer ganzen Generation“. Schicken wir statt dessen eine Warnung an alle Neugierigen raus, die noch mit altmodischem Preis/Leistungs-Bewußtsein in ein Konzert gehen, nach dem Motto: „„Für so viel Geld will ich aber auch allerhand geboten bekommen!“

Eine solche Ervrartungshaltung kann bei Bob Dylan gefährlich werden. Denn betrachten wir die Dinge doch einmal realistisch: Was kann der Mann eigentlich? Gut Gitarre spielen jedenfalls nicht. Das Geplinker, das er live auf der Akustischen losläßt, beherrscht jeder zweite Straßenmusiker besser. Sein Mundharmonikaspiel klingt wie die akustische Störung einer Herz-Lungen-Maschine. Und singen kann er auch nicht, sein gequetscht-näselndes Organ bezeichnete ein Kritiker der ‚Times‘ nicht umsonst einmal als „“eine Stimme, die klingt, als käme sie über die Mauern eines Tuberkulose-Sanatoriums.“ Sein Charisma? An schlechten Abenden versprüht Bob Dylan den spröden Charme eines Herbert Wehner. Den Rücken zum Publikum gewandt, nuschelt er Songklassiker wie ‚Like A Rolling Stone‘, ‚All Along The Watchtower‘, ‚Just Like A Woman‘ und ‚Knockin‘ On Heaven’s Door‘.

Die Frage des Abends lautet also: Wie ist er heute drauf? Erstaunlich gut, wenn man nach dem ersten Eindruck geht. Mit seinem Satin-Sakko und seinen Glitzerhosen sieht er zwar aus wie eine abgetakelte Las-Vegas-Nummer, aber er hat sichtbar gute Laune, konferiert mit dem Publikum und sagt artig „“Thank you“ nach gut aufgenommenen Songs. Das Schöne an Bob-Dylan-Konzerten ist: Man weiß nie, was er spielt. Für Insider, Aficionados, Dylanologen und Bootlegger ist His Bob-ness also ein unerschöpfliches Reservoir.

Und auch heute abend enttäuscht er seine Anhänger nicht. Nach ‚Watchtower‘ und ‚Lay Lady Lay‘ zaubert er unvermittelt ‚When The Ship Comes In‘ aus dem Hut, und kurze Zeit später das ewig nicht gespielte ‚Boots Of Spanish Leather‘. Und man kann über sein Gitarrenspiel sagen, was man will, aber heute abend gelingt ihm alles. Fingerpickin‘, Licks und Riffs, ja sogar Soli auf der elektrischen Gitarre perlen ihm makellos aus den Fingern.

Selbst die Bandmitglieder, mit denen er mehr oder weniger seit fünf Jahren pausenlos unterwegs ist, machen ob der Präzision erstaunte Gesichter. Kein verdaddelter Einstieg, keine vergessenen Texte, keine schiefen Akkorde, der zu Dylan gehörende Dilettantismus ist heute abend wie weggezaubert. Es ist einfach einer jener seltenen Glücksmomente auf dieser „„Never Ending Tour“, in denen Dylan gesammelt, konzentriert und inspiriert zu Werke geht.

Das langjährige Touren hat natürlich seinen Preis: Dylan hat mit Ausnahme des wunderbar federnden ‚Dignity‘ keine neuen Songs veröffentlicht. Gerade mal zwei rein akustische Alben mit vergessenen Folk-und Blues-Traditionals hat er veröffentlicht. Der Erfolg blieb nicht aus: Endlich mal wieder eine Platte, die in den amerikanischen und deutschen Charts bis in die Top 30 stieg. Das einzig Verläßliche an Dylan ist eben, daß er immer wieder Überraschungen in petto hat. Auch heute abend: läßt sich der alte Grantier doch immerhin zu drei Zugaben überreden. Das Publikum – übrigens keineswegs nur Vertreter der Kukident- und Herzschrittmacher-Fraktion – ist verblüfft und begeistert. Dylan ’95 – ein guter Jahrgang.