Bruce Springsteen: Chefsache


Nach dem 11.9. tröstete Bruce Springsteen die amerikanische Seele - und wurde zur moralischen Instanz im Bush-Land.

Man soll mit dem Unglück ja keinen Scherz treiben – aber der kleine Kalauer sei erlaubt: Turmhoch überlegen war das, was Bruce Springsteen und seine E Street Band nach dem Ende der New Yorker Twin Towers zu sagen hatten, den zumeist dürftigen Statements der Konkurrenz. Kein weinerliches Pathos, keine hymnischen Durchhalte-„Und-jetzt-erst-recht“-Parolen waren es, die der Boss mit seiner legendären Veteranentruppe auf „The Rising“ – dem ersten gemeinsamen Studioalbum seit dem so missverstandenen wie ungesund hitträchtigen „Born In The USA“ von 1984 – absonderte, sondern sensible Blicke in Abgründe, Bombenkrater und Brandnarben der amerikanischen Seele. Dabei politisierte er so wenig wie er polemisierte, er redete mit den Menschen, frei nach dem alten Kisch-Motto: „Schreib das auf, Bruce.“

Natürlich wurde „The Rising“ zum amerikanischsten aller Alben dieses Jahres, aber auch zu einem der menschlichsten. Zu einem der weltweit erfolgreichsten sowieso, der Mann kann seinen Job schließlich. Was sich dann im Herbst auch auf der Welttournee zeigte. Die Konzerte, immer noch nahe der erschöpfenden Drei-Stunden-Marke, gerieten zu heiligen Messen, die E Street Band klang kompakt und kraftstrotzend wie zuletzt vor 20 Jahren. Und die emotionale Resonanz in der Alten Welt, die der Tourtross für einige wenige Shows besuchte, haute den 53-jährigen Boss gar aus den Bikerstiefeln, wie er dem US-Rolling Stone erzählte: „Die ganze Band war vom Publikum in Europa überrascht Die Leute dort unterscheiden sehr wohl die Stimme der Band von der der offiziellen amerikanischen Politik.“

Schön, dass da einer noch zu differenzieren weiß zwischen aufrichtigem Patriotismus und tumbem Chauvinismus, zwischen Liberalismus und Beliebigkeit, zwischen Spiritualität und Geschwafel, zwischen Gefühl und Schablone. Willkommen zurück in der Kanzel, Bruder Bruce. Die Gemeinde wartet.