Carolyne rockt nach Mas


Das ist die Geschichte einer äußerst begabten und sympathischen Frau, die genau weiß, was sie will. Einerseits ist sie ein Typ wie Du und ich - natürlich und ohne jedes Stargehabe. Andererseits ist sie auf keinen Fall wie alle anderen...

Das kann man vielleicht am besten an einem Beispiel klarmachen. Einige Monate vor dem Interview mit ihr sprach ich mit Pat Benatar. Zwischen beiden gibt es eine große Parallele – sie sollten nach dem Wunsch der Eltern Opemsängerinnen werden und haben den Absprung zum Rock’n’Roll geschafft. Aber sie sind doch grundverschieden. Während Pat sich zur Zeit des vereinbarten Interviews erst einmal anderthalb Stunden schön machen mußte (es waren ja auch Fotografen da und ihr Image als Sex-Idol darf ja nicht angekratzt werden), um dann ein Interview mit schüchternen Ja-Nein-Antworten zu geben, ist Carolyne einfach nur ein Mensch – aber war für einer! Ihre ehrlichen positiven vibes fangen einen sofort ein. Sie macht sich Gedanken zu allem und sagt, was sie denkt, ohne Rücksicht darauf, ob es ihr vielleicht von einem linkischen Journalisten falsch ausgelegt werden könnte. Sie ist echt vom Scheitel bis zur Sohle und eine wirklich gute Songschreiberin und Musikerin dazu. Doch genug geschwärmt. Ehe ich ganz abhebe, erst einmal ein paar Facts.

Carolyne singt, seit sie ein Baby ist. Und mit sechs Jahren lernte sie Klavier zu spielen. Beide Eltern musizieren auch und die Gitarre spielende Mutter inspirierte sie, es auch mal auf diesem Instrument zu versuchen… Mit zehn, elf Jahren beginnt sie viel Radio zu hören, und spielt ihre Lieblingssongs nach Gehör nach. Dann kommt die Zeit, als es ansteht, sich langsam von Mutters Schoß zu lösen. Sie streift durch sie Straßen von Greenwich Village, New York, und hört die gerade aufgekommene Musik der Beatles, auf die sie total abfährt. Sie kauft sich alle ihre Songbücher und Platten und spielt ihre Lieder. Es folgen einige Rock’n’Roll-Schulbands.

Nach der Schulzeit wollen die Eltern das musikalisch begabte Kind zur Opernsängerin ausbilden lassen. Carolyne besucht zwei Colleges dieser Art, doch da sie es .schrecklich“ findet, schmeißt sie die Sache sofort wieder hin. Dafür hat sie auch eine sehr plausible Erklärung: „Musik ist eine Sache, die man nicht studieren kann. Schon gar nicht Rock’n’Roll, der in diesem Umfeld obendrein noch verpönt ist. Es ist eine Sache, die du nicht lernen kannst, sondern fühlen mußt. Das ist auch der Punkt, warum ich gerade Rock’n’Roll so mag. Wenn du etwas studieren sollst, läufst du Gefahr, dein Gefühl dafür zu verlieren. Außerdem läuft klassische Musik in so engen Reglementierungen ab, daß du nicht dein eigenes Ding machen kannst.

Ihr eigenes Ding macht sie dann recht bald Während in der Folkhochburg Greenwich Village jeder, der weiß, wie eine Gitarre aussieht, Folk spielt, spielt Carolyne Rock’n’Roll. „Das war nicht gerade einfach. Zu der Zeit gab es dort kaum Clubs wo man auftreten konnte und niemand wollte Rock hören.“

Über ihren Bekannten Steve Forbert lernt sie später Steve Burgh kennen, der ihr hilft, eine eigene Band zusammenzustellen und der auch ihr erstes Album CAROLYNE MAS (ME 12/79) produziert. Schon ungefähr ein halbes Jahr später erscheint das auch von Burgh produzierte zweite Album HOLD ON (ME 8/ 80), das das gute erste durch die bessere, frischere und direktere Interpretation der Songs voll in den Schatten stellt. Carolyne selbst findet ihre erste Platte auch etwas glatt. Da die Band damals noch nicht lange zusammen war, wurde im Studio zu lange rumgetüftelt, hier und da noch etwas verbessert und geglättet, während das zweite Album innerhalb von anderthalb Wochen live im Studio mit nur wenigen Overdubs eingespielt worden ist. Carolyne: „Im Studio mußt du verdammt aufpassen, daß du Herr über die Technik bleibst und nicht umgekehrt.“

Die Livestärke von Carolyne (rhythm-g + voc) und der Band, bestehend aus Crispin Cioe (sax), Rick Desarno (lead-g, – der für David Landau in die Band kam), Ivan Elias (gb), Charles Giordano (keys) und Bobby Chouinard (dr), zeigte sich nicht nur auf der fabelhaften Live-LP MAS HYSTERIA (ME 3/ 81) (der hier spielende Drummer Vince Barranco war nur für einige Wochen für den unabkömmlichen Bobby Chouinard eingesprungen), sondern auch ihr tolles Gastspiel in der Hamburger Markthalle (ME Live 3/ 81). Was hier an musikalischer Kompetenz, voll aufgedrehter Power (was nichts mit Phonzahlen zu tun hat), permanenter Aktion auf der Bühne und ausgewogener Harmonie in der Band geboten wurde, findet man bei solch einer noch ziemlich jungen Band sehr selten.

Permanenter Mittelpunkt des Geschehens ist Carolyne selbst. Mit ihrem knapp 1,60 m großen, schmalen Körper fliegt sie wie ein kräftig abgefeuerter Vollgummiball über die Bühne. Wenn man diesen kleinen, neuerdings blonden Wuschelkopf mit ihrer scheinbar nie endenden Energie sieht, glaubt man fast, Struwelpeter sei aus dem Märchenland ausgebrochen, hätte sich eine Gitarre besorgt und sei nach dem ungewohnten Genuß von einigen „Nasen“ Kokain oder Speed nicht mehr zu bremsen. Doch der Schein trügt: Carolyne geht nur mit klarem Kopf auf die Bühne. Die Power kommt aus ihr selbst. Gewiß, das totale Erlebnis eines Bruce Springsteen-Gigs wird hier noch nicht geboten, doch sollte die Band noch einige Jahre Bestand haben und Carolyne’s Ideenreichtum nicht abbrechen, dann brauchen sie wohl kaum einen Vergleich mehr zu scheuen. Bruce Springsteen, mit dem Carolyne’s Musik oft in Verbindung gebracht wird, war dann auch ein weiteres Thema meines Interviews. „Hauptsächlich liegt das wohl am Saxophon“, kommentiert sie die permanenten Vergleiche mit Bruce. Außerdem gibt es einen speziellen New Yorker-Sound. Wir nennen es Eastcoast-Rock oder Romantic-Rock. Wenn du in irgendwelche Rock-Clubs in N.Y. reinhörst, haben fast alle Bands in gewisser Weise diesen Sound… Beeinflußt hat Bruce mich nicht. Vor einem Monat habe ich ihn das erste Mal live gesehen und ich muß sagen – es war das beste Konzert, das ich je erlebt habe. Da war ich wirklich stolz auf den Vergleich, doch irgendwann geht es einem verdammt auf die Nerven. In jeder Stadt, in der du spielst, reden alle Radiostationen oder Zeitungen nur vom weiblichen Bruce Springsteen. Es wird noch soweit kommen“, sagt sie mit einem verschmitzten Lächeln, „daß ich nachts, bevor ich mich schlafen lege, unters Bett gucke, ob er nicht darunter liegt!“

Insidern des Rock-Biz brauche ich wohl nicht zu erzählen, daß es dort oft ziemlich chauvinistisch zugeht (man achte nur auf die teilweise schon nicht mehr nur geschmacklos zu nennenden H.-M.-Cover). Spürt auch Carolyne Benachteiligung oder gar offene Diskriminierung? „Manchmal sicher. Ich würde es aber eher als Verwirrung bezeichnen. Besonders konnte man da an meinen Anzeigen sehen. Sie waren schlichtweg beschissen. Ich wollte mich nicht in diese Frau-Sex-Kiste stecken lassen und das wußten sie nicht, was sie mit mir anfangen sollten. Das ist nicht unbedingt absichtliche Diskriminierung, außer vielleicht bei manchen US-Radiostationen, aber alles was von Frauen kommt, wird so speziell behandelt. Weiß du, wenn ein Mann eine gute Platte gemacht hat, sagt man völlig richtig und schlicht ‚die Platte ist gut‘, bei einer Frau jedoch heißt es ‚Wow, eine Frau hat diese Platte gemacht‘ und danach reden sie nur noch über dich als Frau oder Frauen und Rock-Musik allgemein und vergessen dabei ganz die Musik. Was ich will, ist, daß man mir, völlig unabhängig davon, daß ich eine Frau bin, sagt, das was du machst, ist gut oder schlecht.“

Wer jetzt vermutet, Carolyne sei eine verbissene Feministin, liegt total falsch. Sie hatte sogar vor kurzem Zoff bei einem Interview mit einer Journalistin, die ihr unbedingt einreden wollte, sie müßte in ihren Songs über feministische Probleme singen. Sie singt lieber über das .übergeordnete Problem“ – das Problem, das alle Leute haben: den Umgang der Menschen untereinander. „Manche Leute schlagen sich wegen bullshit die Köpfe ein. Sie versteifen sich auf spezifisches Problem und vergessen dabei, daß wir alle an einem gemeinsamen Problem zu arbeiten haben.“

ie Registrierung dieses Problems ist für Miss Mas jedoch gottweiß kein Grund zu resignieren. Sie hat eindeutig ein positives Lebensgefühl, was unschwer an ihrer Musik und ihrer fröhlichen Natur zu erkennen ist. Und damit liegt sie auch völlig richtig. Es gibt heutzutage wirklich genügend Gründe, depressiv zu sein. Doch wenn man daraus ein Lebensgefühl macht, was bei vielen neuen Bands der Fall ist, so bringt man sich damit bestimmt nicht weiter. Was bringt es, sich im Selbstmitleid zu suhlen und alles prinzipiell zum Kotzen zu finden. Denn Depression liegt ganz nah bei Resignation und das ist dann wirklich das Ende. Ich weiß auch, daß ein Blick in die Nachrichten genügt, um zu wissen, daß die Welt bestimmt nicht gut ist. – Doch wollten wir sie nicht, wenn auch nur Stück für Stück (man achte auf die kleinen Erfolge der Hausbesetzer-Szene), verändern? Und außerdem sollten wir dafür sorgen, daß wir auch ein bißchen Spaß haben – Carolyne würde mir da ganz gewiß zustimmen…