Chris Whitley: Blues für die Kinder von MTV


NEW YORK. Robbie Robertson schaut irritiert: Drei Schritte hinter der Eingangstur geht auch für VIPs nichts mehr — das Tramps ist hoffnungslos überfüllt. Was auf Chris Whitley wie Ironie des Schicksals wirken muß: Jahrelang war der 31jährige Wahl-New Yorker durch die Bluesclubs in der Bleecker Street getingelt, doch mit Erscheinen des LP-Debüts irVING WrTH THE LAW katapultierte sich Whitley 1991 über Nacht auf den Musik-Olymp.

Völlig zu recht, wie der emotionale Abend im Tramps beweist. Während sich Whitleys bluesige Songs als Opener für Tom Pettys jüngste Tournee in den Großarenen zu verlieren drohten, blühen sie in der Clubatmosphäre geradezu auf. Ebenso wie der metallene Stachel von Whitleys Dobro-Stahlgitarre. die mit den Drums zu seltsam artverwandten Sounds verschmilzt.

Whitleys Songs sind inspiriert vom Blues eines Robert Johnson oder Elmore James. Seine Texte hingegen bevölkern die gleichen Requisiten wie die eines typischen Springsteen-Songs: die Motels, die stillgelegten Fördertürme und der harte Alltag des einfachen Amerikas. Whitleys im Country-Blues verschlungene Wurzeln werfen jedoch weitaus dunklere Schatten über diese Landschaft. Selbst Sex wird in Whitleys Songs zu einer bedrohlichen Angelegenheit. „Kick The Stones“ etwa (das während der Sexszene im Film „Thelma und Louise“ zu hören ist) klingt wie ein Echo auf Robert Johnsons eisiges „Stones In My Passway“.

Und wer Whitley total versunken die Stahlgitarre spielen sieht, versteht auch, warum der Texaner kaum auf die Zurufe des Publikums reagiert. Als er zwei Songs ohne Unterstützung der dreiköpfigen Band spielt, scheint sich die Gitarre gar in einen imaginären Geschichtenerzähler zu verwandeln.

Vor 20 Jahren hätte dieses Konzert kaum Aufsehen erregt. Im MTV-Zeitalter aber, wo die musikalischen Werte kaum über die Lebensspanne des Mediums zurückreichen, ist Whitley ein willkommener Anachronismus.