David Bowie


Für David Bowie hat die Zukunft begonnen. Eine Zukunft, in der Musik auch weiterhin eine tragende Rolle spielen wird. Nichtsdestotrotz hat sich ein neues, faszinierendes Spielzeug in den Vordergrund geschoben: Video. Das Musik-Video als eigenständige Kunst- und Ausdrucksform, deren mögliche Tragweite man heute noch gar nicht abschätzen kann. Von den Medien bislang wenig beachtet, hat Bowie in jüngster Zeit eine Reihe surrealer Musik-Videos produziert, die auf dem unentdeckten Neuland erste Maßstäbe setzen. Mit Bowie, der Ende März wieder vor der Film-Kamera steht („The Hunger“ mit Catherine Deneuve) unterhielt sich in New York Karin Mecklenburg.

Anfang 1979 war das „Hurrah“ New Yorks heißester Club. Auf Monitoren wurden hier Videos verschiedener Bands gezeigt, bis die Gruppen dann – meistens sehr spät – auf die Bühne kamen.

Heute ist das „Hurrah“ längst geschlossen, aber unzählige neue Clubs haben die Tore für die New Yorker Nachtschwärmer aufgemacht. Doch ohne Videoleinwand (heute meist im Großformat) kann kein Club mehr auskommen. Die Tapes werden immer bunter, schriller, skurriler.

Kameramann und Produzent Marcel Peragine vom Public Television New York City (WNYC) und ich beobachteten diesen Trend und entschlossen uns, die interessantesten Bänder vorzustellen, jeweils mit Interview des Produzenten oder Regisseurs.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis wir auf David Bowie’s Videotapes stellen und begeistert waren. Hier stimmte alles: Sie waren kreativ, nicht illustrativ zum Song, sondern widersprüchlich, spannend.

Ein Interview mit dem Produzenten David Mallet blieb unergiebig: Seine Referenz bei jeder zweiten Frage hieß: Bowie. Eindeutig waren diese Tapes Bowie’s Werk, von der Idee bis zur Realisierung.

„Warum fragen wir ihn nicht selbst?‘ schlug ich vor – und klemmte mich dahinter zunächst seinen Manager ausfindig zu machen, dann Kontakt zur Pressedame aufzunehmen, immer wieder anzurufen, bereits gefilmte Interviews als Muster zu schicken usw. Es dauerte rund zwei Monate, bis es hieß: David möchte das Interview für WNYC machte. Mehrere Termine wurden umgestoßen, auch über die Zeit, die uns zur Verfügung stehen würde, wurde nicht diskutiert.

Schauplatz war die im Art-Deco-Stil gehaltene Wohnung der Pressedame auf der New Yorker East Side. Auf einem blauen Sofa, ein vorsintflutliches Radio im Hintergrund, davor ein blauer Glastisch mit einem Blumenstrauß, sollte das Interview stattfinden.

Als David Bowie mit seiner Sekretärin, eine halbe Stunde verspätet, endlich eintrifft, wirkt seine Anwesenheit auf alle entwaffnend. Er tragt einen blauen Anzug, passend zum Sofa (war das besprochen?) ein offenes Hemd, elegante, beige Schnürschuhe, hat kurze blonde Haare – zeigt also ein überraschend schlichtes Äußeres. Er wirkt nicht so zerbrechlich und ist größer, als ich es erwartet hatte. David Bowie, wie ich ihn erlebte, hatte man seiner Mutter vorstellen können und Komplimente für den „ordentlichen jungen Mann“ bekommen.

Auf dem blauen Sofa freilich, im Gespräch, mit seinem Lachen, seinem Charme kommt eine Person zum Vorschein, die keinerlei Kostümierung braucht. Die Antworten auf meine Fragen sind druckreif und kommen meistens schon, bevor ich meinen Satz beendet habe. Er macht hier einen Witz, nimmt manches nicht ganz ernst, lenkt aber immer wieder ein, damit die benötigten Informationen rüberkommen.

Nach einigen Zigaretten, einem Glas Wasser und einem brillanten Interview verabschiedete sich David. Das fertiggestellte Halbstunden-Programm stellte ihm sein Manager anschließend in die Schweiz zu, David schickte per Telex seine Komplimente: Die Show habe ihm sehr gefallen.

Ich habe mich in Videos vernarrt, als ich Anfang der 7Oer Jahre eine kleine schwarz-weiß Ausrüstung von Sony bekam und alles aufnahm, was mir vor die Augen kam. Ich besorgte mir noch einen kleinen Schneide-Tisch und hob damit alle möglichen Sachen ausprobiert. Für , Diamond Dogs“ beispielsweise habe ich ein Drehbuch geschrieben, das mit Miniatur-Sets und Zeichentrick-Techniken arbeitete. Es war eine Katastrophe Zumindest aber eine interessante Katastrophe.“

Erzähl bitte einmal, wie du beispielsweise „Ashes To Ashes“ für Video umgesetzt hast.

„Ich versuche, ausschließlich nach den Kriterien des Video zu arbeiten. Ich suche einen Handlungsfaden, der nicht Wort für Wort den Song illustrieren soll. Ich entwickle einen gegenläufigen Handlungsfaden, der das gleiche Gewicht hat wie der Song und dessen Handlung, aber mit anders gearteten Bildern und Situationen arbeitet. „Ashes To Ashes“ ist eine Wiederaufnahme der Thematik von „Space Oddity“ -nur daß aus dem Astronauten inzwischen ein Clown geworden ist. Ursprünglich war „Major Tom „aus

N der „Space Oddity“ eine brilliante und heroische Figur, die Schlachten zu schlagen wußte. Aber je älter der Song wurde, desto mehr entwickelte er sich zu einer Memme. „Ashes ToAshes“ handelt davon, wie der große Traum zerbröckelt, der ihn überhaupt erst die Heise ins All antreten ließ. Zehn Jahre später ist aus dem Traum Ernüchterung geworden. Es gab überhaupt nie einen Grund, ihn da hochzuschicken – es war nur ein technologischer Egotrip. Es werden immer so hochtrabende Phrasen wie „das Wohl der Menschheit“ bemüht, wenn über die Erforschung des Weltalls geredet wird. Sicher, es waren bestimm t einige noble Leute an diesem Projekt beteiligt. Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß es uns neue Welten eröffnet oder uns aus dem Schlamassel hilft, in den wir uns selbst hineinmanövriert haben. Der Clown, der in jeder Person steckt, hat in meinen A ugen das Erbe des Astronauten angetreten.

Inwieweit unterscheidet sich denn die erste vage Idee eines Videos von der endgültigen Fassung?

„Ich mache ein Drehbuch mit Illustrationen für die einzelnen Einstellungen, mache einen groben Schnittfolge-Plan und setze mich dann mit David Mallet, mit dem ich in den letzten Jahren gearbeitet habe, zusammen und bespreche die mehr technischen Details. Mallet macht beispielsweise Vorschläge, wie ich den Himmel rot oder sonstwas bekomme, aber von diesen technischen Finessen abgesehen, bleibt es im Großen und Ganzen so, wie ich es mir ursprünglich vorgestellt habe.“

Das Video von „Boys“ ist – was die Schnittfolge angeht – relativ einfach, aber es ist außergewöhnlich, was den Set, die Kostüme und die Charaktere betrifft. Hast du das alles selbst beaufsichtigt?

„Nein, die Kostüme wurden nicht speziell angefertigt. Wir haben das Video in letzter Minute gedreht und sind einfach zu einem Theater-Requisiteur gegangen, um uns Kostüme auszuleihen. Ich habe dem Requisiteur nur eine Idee der veschiedenen Charaktere gegeben, die ich haben wollte er hat dann das Material zusammengesucht. Ich wollte ein Mädchen aus den Midlands, ein 50er Jahre-Mädchen aus den Midianas in England. Dann einen Lauren Bacall-Typ – und schließlich so etwas wie eine Kreuzung zwischen Garbo und Dietrich.“

un gibt es ja viele Kritker des Medium Video, die behaupten, daß nach mehrmaligem Sehen die Bilder ermüdend werden.

„Ich denke, diese Frage führt uns wieder zu dem entscheidenden Punkt: Einen Song nur zu illustrieren, ist eine katastrophale Idee. Die Zuschauer haben nämlich durchaus ihre instinktive, wenn vielleicht auch nicht artikulierte Vorstellung von dem, wie ein Song visuell umgesetzt werden müßte. Ich arbeite deshalb auch bewußt gegen den Song, entwickle einen gegenläufigen Handlungsfaden. Undich glaube, man muß schon hart arbeiten, um etwas zusammenzuschweißen, das auch einem mehrmaligen Betrachten standhält. Etwas, das — selbst wenn der Ton abgeschaltet würde — den Zuschauer immer noch fesselt. Ich glaube, hier liegt die erste Hürde für Musiker/Künstler, die sich mit Videos beschäftigen wollen: Daß sie einen Weg finden, ihr Video zu einem substanziellen Erlebnis zu machen, das von Dauer und Bestemd ist.“

Vor allem gibt es in deinen Videos immer neue Details, die man erst nach mehrmaligem Betrachten sieht.

Ja, das ist ein alter Grundsatz, den ich nach wie vor schätze: Details und scheinbare Nebensächlichkeiten. „

In dem „Fashion“-Video ist mir beispielsweise aufgefallen, daß du eine eigentümliche Bewegung machst und dabei den Boden berührst. Hat das etwas zu bedeuten?

„Ja, das trage ich schon durch einige Videos mit mir herum. Ich weiß nicht, was es bedeuten soll Es ist wie ein durchgehendes Bindeglied zwischen den Videos. „

Es ist einfach eine Bewegung, die du gerne machst?

„Es ist einfach ausgefallen.“

Und es tauchte irgendwann einmal auf – und du hast es beibehalten?

„Es ist einfach eine Bewegung. Es ist wie ein …“

Talisman?

Ja, klar, richtig — das ist es (lacht). Du sagst mir, was es bedeutet -und ich antworte nur noch mit Ja und Nein.“

OK, kommen wir zum Thema zurück: Wie wird deiner Meinung nach die weitere Entwicklung und Zukunft des Musik-Videos aussehen?

„Ich glaube, daß Videos in absehbarer Zukunft noch erheblich billiger und eine ernsthafte Konkurrenz für die Schallplatte sein werden.“

Welche Wirkung hat denn auf Musiker die Feststellung, daß viele Leute ihre Songs erst kennenlernen, nachdem sie in Form eines Videos visualisiert wurden?

„Es wird auf einige der jüngeren Bands einen direkten und nachhaltigen Einfluß haben. Sie sehen ihre Musik von vornherein viel mehr aus der visuellen Perspektive als wie es bei etablierten Künstlern der Fall ist. Ich glaube, hier wird ein aufregendes neues Medium entstehen – etwas, das wir momentan in seinen Auswirkungen noch gar nicht übersehen können. Ich kann mirvorstellen, daß aus der Kombination von Musik und Video ein neuer Typ des Künstlers entsteht – etwas, das vielleicht auf seine Weise ebenso wichtig werden könnte wie der Rock’n’Roll, als er erstmals Amerika überschwemmte. Etwas Neues liegt definitiv in der Luft.“

Trifft es denn deiner Meinung nach zu, daß sich in der Rockmusik derzeit nicht viel bewegt?

„Ich bin mir nicht sicher, ob das für die USA zutrifft, in England jedenfalls ist die Rockmusik so stark, so geradeheraus, so realitätsbezogen wie selten zuvor. Allein schon deswegen, weil es heute – mehr als vor 15 Jahren – so viele deprimierende Dinge gibt, gegen die man sich engagieren kann. Mit dem Ergebnis, daß es eine völlig verschiedenartige musikalische Front gibt: Unzählige Bands, jede mit einer kleinen, aber unglaublich loyalen, ja fast schon fanatischen Gefolgschaft.

Es gibt aber auch so vieleDin ge heute, die einfach verkehrt laufen. Die Menge ist so kurzsichtig und so leicht manipulierbar, wenn es um die Mechanismen des Hasses geht. Besonders dann, wenn sich diese Politik hinter gediegener Kleidung und legalen Parteien versteckt.“

Und welche Rolle spielt in diesem Mechanismus der Künstler?

„Es ist traurig, daß die Polarität von Kunst und Gesellschaft im gegenwärtigen Bildungssystem nach wie vor aufrecht erhalten wird- teilweise auch von den Künstlern selbst. Das war auch einer der Gründe, diemich ursprünglich zum Rock’n’Roll gebracht haben. Es ist Kunst, aber es ist gleichzeitig real existierend und kreativ, noch nicht institutionalisiert, lebendig. Rockmusik erlaubt Freiheit. Wir haben freie Hand, Gesetze zu machen und zu brechen. Es gibt niemanden, der uns vorschreibt, wie wir es machen sollen, wie wir auf Dinge reagieren sollen. „Die Wahrheit ist nur dann von Bedeutung, wenn sie von denen, die ihr begegnen, auch nachempfunden wird.“ Derek Boshier, der Maler, hat das gesagt – undich glaube, er trifft den Nagel auf den Kopf.“

Vielleicht zum Schluß noch zu einem Thema, das vor allem in Deutschland von Interesse ist: Du hast an dem Film „Christiane F.7 „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ mitgewirkt. Wie bist du dazu gekommen?

„Ein Freund von mir hat das Drehbuch gelesen und mir erzählt, daß es eine wahre und nicht beschönigende Geschichte ist. Wenn ich in einem solchen Fall meinen Beitrag leisten kann, tue ich es gem.“

Du hast in Berlin für eine Weile gelebt.

„Ein wenig, ja. Es war eigentlich mehr ein Kommen und Gehen.“

gen?

Hast du eigentlich selbst je Kontakt zu den Leuten gehabt, die am Bahnhof Zoo herumhän“Nein“. Was hat dich an Berlin fasziniert?‘ „Sich durchzusetzen, das Gefühl einer Spannung, das für einen Künstler so elementar ist, um nicht in seiner Arbeit zu stagnieren. Es ist wichtig, in einer Umgebung zu leben, die soziale Spannung produziert. Ich habe auch Tiefschläge und Entmutigungen immer für eine Quelle der Inspiration gehalten. Ich habe einige meiner besten Songs geschrieben, als ich am Boden war – Arm in Arm mit dem Untergang. „

Und Berlin ist dafür ein Beispiel?

„Ein sehr gutes Beispiel. Es gibt dort eine künstlerische Spannung. Und es ist sicher kein Zulall, daß es gerade dort so viele Maler und Designer und…Bist du eigentlich noch in Kontakt mit diesen Leuten?

„Mit einigen. Viele kommen zur Zeit ja auch nach New York. Es ist schon eine deutsche Invasion hier. Selbst Faßbinder ist hier.“

Wirst du Berlin und Deutschland in absehbarer Zukunft wieder besuchen?

„Bestimmt. Ich bin ohnehin ständig unterwegs, mal hier — mal dort, ohne daß es irgendeiner überhaupt merkt …“