Deacon Blue


Ricky Ross heißt er, kommt aus Glasgow und will mit der ungeliebten Trend-Metropole London nichts zu tun haben. Statt auf modischen Overkill setzt er in seinen Songs auf handwerkliche Eleganz. Und hat damit richtig gesetzt: Das zweite Deacon-Blue-Album schoß in England von 0 auf 1. ME/Sounds-Mitarbeiter Detlef Kinsler flog ebenso schnell nach Glasgow.

Nach Glasgow fliegt der Normalsterbliche nicht unbedingt zum Sightseeing. Schottlands größte Stadt ist, zumindest auf den ersten Blick, grau und schmutzig. Eine klassische Arbeiterstadt, die schon bessere Tage gesehen hat. Was nun aber nicht heißt, daß man in Selbstmitleid und Melancholie absäult.

Für Ricky Ross, den es einst von Dundee nach Glasgow zog, ist die Stadt am Clyde längst zum unverzichtbaren Nährboden für seine Musik geworden. Ihr hat er denn auch das erste Deacon Blue-Album RAINTOWN gewidmet. „Ich bin einfach gern in Schottland. Es gibt hier eine ganz eigenständige Kunst- und Kulturszene. Während man in Edinburgh immer nach London oder gar bis hinüber nach Europa geschielt hat, hatte Glasgow immer seine eigenen Schriftsteller, Schauspieler und Musiker, die typisch Glasgower Werke geschaffen haben. Ich sehe Deacon Blue in genau dieser Tradition.“

Glasgow ist für Ricky und seine Mitstreiter Lorraine Mclntosh (Gesang), Graeme Kelling (Gitarre), James Prime (Keyboards), Ewen Vernal (Baß) und Douglas Vipond (Drums) Inspirationsquelle und bietet ihnen schier unerschöpfliche Entwicklungsmöglichkeiten. „Hier kann es einfach passieren, hier kann der kreative Knoten platzen. Und das kann man wirklich nur über wenige Städte sagen. Vielleicht über New York. Über Dublin. Liverpool. „

Das Selbstbewußtsein resultiert vor allem aus der Erfahrung der letzten Jahre. Da kam die inspirierte und inspirierende Rockmusik aus der Provinz. Aus Nordwestund Nordost-England. Aus Wales, Irland und nicht zuletzt eben auch aus Schottland.

„Auf RAINTOWN haben wir hier und da noch ein wenig gejammert. Die Musik war sanfter, vielleicht auch schlaffer. Die Stimmungen darauf haben den Hörer eher dazu verführt, sich entspannt im Sessel zurückzulehnen.“

Eine vergleichbare Atmosphäre sollte mit WHEN THE WORLD KNOWS YOUR NAME nicht mehr aufgebaut werden. “ Wenn du erst einmal eine Platte auf dem Markt hast, identifiziert dich natürlich jeder automatisch und ausschließlich damit. RAINTOWN sollte nun wirklich nicht zur Schlinge um unseren Hals werden. WHEN THE WORLD… hat mehr Power, setzt viel mehr Energie frei, hat auch die Rauheit, die man bislang nur von Ricky Ross: „Deacon Blue steht in der großen Tradition Glasgower Künstler.“

unseren Konzerten her kannte. Da steckt einfach mehr Entschlossenheit dahinter.“

Ricky Ross führt diese Veränderung auch und vor allem auf die Tatsache zurück, daß die zweite LP (in Großbritannien von 0 auf 1 gechartet) ein echtes Deacon Blue-Album ist. Vor der Produktion des Debüts hatte das Sextett kaum live gespielt, als Band nicht richtig zusammenfinden können. Da setzten die Musiker noch hauptsächlich die Ideen ihres Chefdenkers und Schreibers um. Bei WHEN THE WORLD… beteiligten sich Ewen und Jimmy am Komponieren. Und die Songs waren zum großen Teil auch schon konzerterprobt.

Deacon Blue waren zwischen ihren beiden LPs konstant on tour. Die Schotten wollten es wissen. Und sie haben das befriedigende Gefühl, sich jeden Fan einzeln erkämpft zu haben. Arbeiten für den Erfolg. Sich für nichts zu schade sein. „Man kann sich letztlich nur auf sich selbst verlassen“, zuckt Ricky mit den Schultern.

Bei Deacon Blue funktionierte nicht zuletzt auch die gute alte Mundpropaganda. Die Gruppe wirkt auf der Bühne ehrlich und am Kontakt zum Publikum interessiert. Mit den Texten und den Typen auf der Bühne konnten sich die englischen Zuschauer identifizieren. Die Attitüde, an sich zu glauben, sich aber nicht zu ernst zu nehmen, trug Früchte.

Wie überhaupt ihre ganze Einstellung zu Musik begrüßenswert normal ist. “ Wir schreiben schließlich 1989. Und da kannst du eben nicht mehr in einen Club gehen und zum ersten Mal Bill Haley erleben. Auch wenn das Grundvokabular des Rock’n’Roll seitdem das gleiche geblieben ist: Es kommt eben darauf an, was man daraus macht. Wenn ein Song funktioniert, dann funktioniert er eben“, hat Ross eine einfache Erklärung. „Meine Idee vom Songschreiben heißt Simplizität. Ich halte es, was meine Texte betrifft, mit George Orwell und seinen Sprachregeln: Orwell hat nie zwei Worte geschrieben, wenn es auch eines getan hat, nie ein langes Wort benutzt, wenn es auch ein kürzeres gab. Wenn du Songtexte schreibst, geht es im Höchstfall um 50 Worte. Und da fand ich es schon immer extrem anmaßend, wenn Kollegen sich für ihre Texte etwa auf Albert Camus berufen. Nur der liebe Gott weiß, wo da der Zusammenhang besteht.“

Und er witzelt über Lloyd Cole und Paddy McAloon von Prefab Sprout, der einmal Bruce Springsteen für seine Texte angegriffen hat. „Ich wäre jedenfalls verdammt dankbar, wenn ich in der Lage wäre, zehn Jahre lang mit den immer gleichen Bildern hunderte von Gefühlen ausdrücken zu können. Wer das kann, ist für mich ein Genie“.

Ricky Ross ist ein klassischer Erzähler. Auch mit dem Blick für die kleinen Dinge des Lebens, die er in eine ganz eigene, bildhafte Sprache packt. Schön, mit Stil, aber unprätentiös. Wie er das Glasgow schuldig ist.

“ Was Städte wie Glasgow und Liverpool wohl vor allem ausmacht, ist ihr Humor. Es ist der Humor der klein Gehaltenen, der Unterdrückten, die sich diebisch freuen können, wenn ein feiner Pinkel auf einer Bananenschale ausrutscht. Weil dadurch die biblische Prophezeihung wahr zu werden scheint, daß der Kleinere dem Großen ein Bein stellen kann.“

Zu diesem Bild paßt auch das verrottete Monument im Glasgow Green Park. Die einstmals schönen Statuen, die den Commenwealth repräsentieren, gammeln vor sich hin, sind kopflos oder an Armen und Beinen amputiert. Nur das Wappen von Glasgow ist ohne Schaden geblieben, samt des stolzen und würdevollen Mottos: Let Glasgow florish