Der Schattenmann


Hierzulande gelten die Wallflowers noch als Geheimtip. In den USA indes gehört die Band um Jakob Dylan längst zu den Megasellern. Dennoch hat der 27jährige Sohn von Bob Dylan ein Problem: der übermächtige Schatten des Vaters.

Mit hochgeschlagenem Kragen, die braune Strickmütze tief in die Stirn gezogen und die Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgen, schlendert Jakob Dylan durch den „Stromlinien Club“ in München. Der 27jährige Sohn von Bob aus dessen Ehe mit Sara Lowndes ist großgewachsen, athletisch gebaut, hat die Gesichtszüge seines Vaters geerbt, wobei den jungen Dylan ein kantiges Kinn und ein spärlich sprießenden Bärtchen zieren. Den Kopf mürrisch zwischen den hochgezogenen Schultern versteckt, wirkt Jakob nicht eben wie die personifizierte Lebensfreude. Vielmehr wirkt seine grantige Aura wie ein Schutzschild – die Leute lassen ihn in Ruhe. Lediglich der Roadmanager darf sich kurz mit Jakob besprechen.

Es ist später Nachmittag. Die Wallflowers sind erst vor zwei Stunden aus Mailand kommend gelandet. Heute abend geben sie ihr erstes Konzert in Deutschland. Die fünf Musiker inspizieren die kleine Bühne. Sie sehen erschöpft aus. Kein Wunder, der dichtgedrängte Terminplan ihres Kurztrips in die Alte Welt läßt kaum ein Durchatmen zu. Zu Hause in den USA ist das Quintett seit mehr als 18 Monaten fast ununterbrochen on the road. Dylan jr. und seine Jungs haben sich dort bis in die größten Hallen des Landes vorgearbeitet. Wenn sie in wenigen Tagen wieder zurück sind, bleibt gerade Zeit, zu Hause in Los Angeles das Gepäck abzustellen. Denn bis Oktober geht der Tourneemarathon munter weiter. Lohn der Mühe: Das Wallflowers-Album „Bringing Down The Horse“ ist bis in die Top Five der US-Charts vorgedrungen und hat der Band zwei Grammy-Nominierungen beschert.

Zurück ins „Strom“, wo die Wallflowers für ein paar Gruppenschüsse im improvisierten Fotostudio posieren. Die Jungs albern herum, und sogar Jakob taut langsam auf und riskiert ein vorsichtiges Lächeln. Allerdings will sich derWallflowers-Boss partout nicht allein fotogafieren lassen. Sein lakonischer Kommentar: „Die Wallflowers sind eine Band.“ Und mißtrauisch ist der junge Dylan obendrein. Als der Fotograf ihn vor der Band stehend ablichten will, wirft Jakob höchstpersönlich einen Blick durch den Sucher, um das Motiv zu kontrollieren – Papa dürfte ihn über die Tricks der Presse hinreichend aufgeklärt haben.

Zeit, einen Blick auf die weiteren Wallflowers zu werfen. Jakobs ältester Mitstreiter, Keyboarder Rami Jaffee, war schon beim Wallflowers-Debut vor fünf Jahren dabei. In seinem verbeulten Nadelstreifenanzug, mit einem grotesken schwarzen Hut auf der dunklen Mähne und der unvermeidlichen Zigarre über dem akkurat gestutzten Kinnbart wirkt Rami wie ein versprengter Nachkomme der ehrwürdigen Pilgerväter. Gitarrist Michael Ward hingegen läßt eher an eine Kreuzung aus Lucky Luke und Michael Stipe denken:ein drahtiger, kleiner Mann mit glattrasiertem Schädel, auf dem er einen riesigen Stetson balanciert. Michael verdiente seine Brötchen vor seinem Einstieg bei den Wallflowers in der Tourband von John Hiatt, den er auch auf dessen „Perfectly Good Guitar“-Album begleitete. Bassist Greg Richling, ein kräftiger, dunkelhaariger Wuschelkopf, ist das vergleichsweise unauffälligste Bandmitglied. Mit Jakob ist er schon seit gemeinsamen Highschool-Tagen in Los Angeles befreundet. Last but not least wäre da noch das Nesthäkchen der Gruppe, der 22jährige Drummer Mario Calire, ein schmächtiger Jüngling mit schwarzen Botticelli-Locken und verträumten Augen – eine Kombination, die Mädchenherzen höher schlagen läßt.

Nach der Fotosession beschließt die Band, auf den Soundcheck zu verzichten (keine glückliche Entscheidung, wie sich beim Konzert herausstellen sollte) und statt dessen die knappe Zeit zum Imbiß in einem nahegelegenen Cafe zu nutzen. Dylanjr. erweist sich zwischen klapperndem Besteck und durcheinander plappernden Bandkollegen als höfllicher, wenngleich reservierter Gesprächspartner. Auf Fragen, die seine Familie betreffen, reagiert er ausgesprochen eisig. Auf die Frage, ob die Leute, die seine Konzerte besuchen, in erster Linie an der Tatsache interessiert wären, daß er der Sohn von Bob Dylan sei, kontert Jakob barsch: „Glaubst du das etwa?“ Nun, man kann sich zumindest vorstellen, daß Neugier eine gewisse Rolle spielt bei Konzerten des Nachkömmlings der Legende Dylan: „Das mag schon sein. Letztlich mögen uns die Leute aber wegen unserer Musik, sonst würden sie wohl auch die Platte nicht kaufen.“ Ein Argument, das überzeugt. Als wollte er das Gesagte noch einmal mit allem Nachdruck

unterstreichen, betont Jakob im Nachsatz höflich aber bestimmt:“Mein Vater war für die Wallflowers nie ein relevantes Thema – und wird es auch nie sein.“ Tatsächlich hat der Vater schon lange nicht mehr so viele Platten verkauft wie derzeit der Sohn. Wie fühlt man sich dabei? „Es ist nicht so wichtig, wieviele Platten du verkaufst. Die Karriere meines Vaters basierte nie auf Verkaufszahlen.“ Wohl wahr. Und was den eigenen Erfolg betrifft, bleibt Jakob skeptisch: „Nimm das Beispiel Hootie &The Blowfish.Vor zwei Jahren haben sie zwölf Millionen Platten verkauft, und heute kräht kein Hahn mehr nach ihnen. Plattenverkäufe bedeuten in dieser Hinsicht nicht viel.“ Und Dylan jr.fügt an:“lch freue mich,daß die Leute unsere Platte kaufen, aber wichtiger ist für uns, daß wir uns als Künstler und Band weiterentwickeln.“ Von den Anfängen mit den Highschool-Kumpels in Beverly Hills bis zum Multi-Millionen Coup „Bringing Down The Horse hat Jakob Sohn einen langen, mitunter steinigen Weg hinter sich gebracht. Aufgewachsen in einem Haus, in dem die teuersten Instrumente gleichsam zum Mobiliar gehörten, lernte Jakob schon früh das Gitarrespielen. „In unserem Haus war die Musik immer präsent“, erinnert er sich,“alle meine Geschwister beherrschen ein Instrument. Meine ersten Akkorde habe ich mit elf, zwölf Jahren gelernt. Einige Tricks hat mir auch mein Vater gezeigt, aber im Grunde habe ich mir alles selbst beigebracht.“

Sein musikalische Erweckung erlebte Jakob mit zwölf Jahren, als ihn sein älterer Bruder Jesse zu einem Konzert von The Clash mitnahm (deren Album „London Calling“ bis heute zum festen Inventar im Tourbus der Wallflowers gehört). Mit 18 Jahren verließ Jakob das Haus seiner inzwischen von Bob geschiedenen Mutter, um in New York City an der „Parsons School Of Design“ zu studieren. Genau zwei Wochen hielt er es dort aus. Dann kehrte er nach Los Angels zurück und beschloß endgültig, eine Karriere als Musiker ins Visier zu nehmen. Ob Vater Bob ihn eindringlich vor diesem Job gewarnt hat, ist nicht überliefert. Doch Jakob das Greenhorn hatte seinen Entschluß ohnehin schon gefaßt:“lch hatte mich entschieden. Es wäre also egal gewesen, was Mom und Dad gesagt hätten. In diesem Alter fragt man seine Eltern nicht mehr um Erlaubnis für das, was man machen möchte. Außerdem hat mich meine Familie ohnehin immer in allem unterstützt, was ich tun wollte.“ Seinen Vater um das Geld für einen neuen Verstärker zu bitten, dafür jedoch war der junge Dylan zu stolz. Jakob wollte es allein schaffen-. „Ich habe mit 17,18 Jahren verschiedene Jobs angenommen, wie jeder andere in diesem Alter auch. Und seit ich mit 21 meinen ersten Vertrag unterschrieb, habe ich mich immer selbst finanzieren können.“ Wohl dem, der im harten Pop-Business solches von sich behaupten kann. Doch die Anfänge waren auch für den Sprößling von Sir Bob alles andere als ein Zuckerschlecken. Mit seinem Schulfreund Tobi Miller gründete Jakob 1987 den Vorläufer der Wallflowers. Damals nannten sich die jungen Musiker noch schlicht The Apples. 1990 war die Gruppe soweit, regelmäßig im „Kibitz Room“ aufzutreten, einem der bekannteren Clubs in LA Und dort kamen die Dinge ins Rollen: Jeff Ayeroff und Jordan Harris, zwei A&iR-Manager von Virgin Records, wurden auf das Talent des schüchternen Frontmannes der jetzt schon unter dem Namen Wallflowers firmierenden Band aufmerksam. Ayeroff erinnert sich: „Damals schien Jakob vom Mythos seines Vaters regelrecht paralysiert, aber man konnte sehen, daß er brannte und es unbedingt schaffen wollte.“ Die blutjunge Band bekam ihren ersten Profivertrag, und 1992 erschien das „Wallflowers“ betitelte Debutalbum. Bemerkenswert daran: Das Cover zeigte lediglich die Beine der fünf Musiker, und der Name Dylan tauchte nur im Kleingedruckten auf. Kurz nach Veröffentlichung der Platte jedoch verließen Ayeroff und Harris Virgin. Fortan warb die Firma ungeniert mit dem griffigen Slogan: „Son Of Bob“. Passenderweise hatte zudem Jakobs Bruder Jesse den Videoclip gedreht – das Ganze roch also verdächtig nach Vetternwirtschaft – eine Entwicklung, mit der Jakob verständlicherweise unglücklich war und die ihn gegenüber Presse und Industrie dauerhaft und aus gutem Grund mißtrauisch machte.“Wir kamen mit unserer damaligen Firma nicht klar, und die nicht mit uns.“ So faßt Jakob die Situation rückblickend zusammen. Die Trennung „im gegenseitigen Einvernehmen“ (wie er eine Spur zu energisch betont-manche behaupten auch, die Band sei bei Virgin schlicht rausgeflogen) folgte wenig später, und die Wallflowers waren drauf und dran auseinanderzubrechen.

Zwei Jahre kostete es Jakob und den verbliebenen Ur-Wallflower Rami Jaffee, ein neues Line-up zusammenzustellen. Branchenintern hatte sich Jakob den Ruf eines eigensinnigen Sturkopfes eingehandelt, was auch die Suche nach einer neuen Plattenfirma nicht leichter machte. Einzig das kleine Label Interscope gab der Band eine Chance. Als Produzent für das zweite Album wurde T-Bone Burnett verpflichtet, seines Zeichens ein alter Freund der Dylans, der schon 1975 bei Bobs „Rolling Thunder Revue“ mit dabei war. Sieben Monate arbeiteten Band und Produzent an „Bringing Down The Horse“. Jakob bestätigt, daß Burnett ihn ermunterte, vom produktionstechnischen Purismus des ersten Wallflowers-Albums abzurücken und gelegentlich sogar Effektgeräte einzusetzen: „T-Bone hat meineSongs in die richtige Form gegossen.“ Neben den zupackenden Arrangements, die ihre Nähe zu den

Glanztaten von Vater Bob in dessen „Highway 6i“-Phase nicht leugnen, beeindruckt das zweite Wallflowers-Album vor allem auch durch das gereifte Songwriting. Für Jakob eine ganz natürliche Entwicklung:“Als ich die Songs für unser erstes Album geschrieben hatte, war ich gerade 18,19 Jahre alt, also noch ein Teenager. Später konnte ich die Dinge viel besser auf den Punkt bringen.“ Das amerikanische Publikum scheint das ähnlich zu sehen-fast drei Millionen verkaufte Alben sprechen eine deutliche Sprache. Die Dinge könnten für Jakob, der inzwischen selbst verheiratet und Vater eines dreijährigen Sohnes ist, zur Zeit also nicht besserstehen – wäre da nicht der allgegenwärtige, übermächtige Schatten seines Vaters, aus dem Dylan jr. wohl nie ganz heraustreten kann. Hätte ihm vor diesem Hintergrund ein Pseudonym nicht eine ganze Menge Probleme erspart? Nachdenklich zupft Jakob an seinen dunklen Locken: „Anfangs habe ich tatsächlich eine halbe Stunde lang darüber nachgedacht. Aber irgendwann hätten die Leute meinen richtigen Namen sowieso rausgekriegt. In meinem Paß steht schließlich Jakob Dylan. Ich würde ihn dir sogar zeigen, aber momentan liegt er nun mal in unserem Tourbus.“