Fury In The Slaughterhouse: Abräumer ohne Allüren


Seit Jahren zählen sie zur ersten Garnitur der deutschen Rockmusiker. Stars sind Fury In The Slaughterhouse dennoch nicht. Vielleicht, weil sie so schön normal geblieben sind?

AM ANFANG WAR DER ZORN. DAS AUFNAHMEGERÄT ist kaum eingeschaltet, da regt sich Kai Wingenfelder auch schon auf. Auf norddeutsche Art allerdings. Ohne die Stimme zu erheben. Aber eben doch erkennbar verärgert. Selbst heute noch, nach über einem Jahr, ist der Sänger und Songschreiber von Fury In The Slaughterhouse auf den „Spiegel“ stinksauer. Mitarbeiter des angesehenen Magazins hatten die Furys ein paar Tage im Tourbus begleitet, um daraus ein Portrait der Rockband aus Hannover zu destillieren. Das Ergebnis, eine zweiseitige Geschichte über Musiker mit lustigen Mützen und den Geruch von Whiskey und Highway-Staub, läßt Wingenfelder über das „Spiegel“-Personal aus dem Tourbus wenig Freundliches sagen: „Vollidioten! Komplette Vollidioten! Die haben sich drei Tage in den Bus gesetzt und vollgefressen und vollgesoffen und sich nett mit uns unterhalten und haben sich dann einzelne Sachen herausgenommen, aus dem Zusammenhang gerissen und daraus ihre Story gemacht. Ich war sehr verärgert. Wir hätten von einem Magazin wie dem ‚Spiegel‘ einen besseren Journalismus erwartet als das, was die da abgezogen haben.“

„Abgezogen“ hatte „Der Spiegel“ zum Beispiel Sätze wie diesen: „Die Bandmitglieder sind alle sehr damit beschäftigt, sympathisch zu wirken.“ Und diesen: „Einigung und Konsens sind etwas, das die Männer von Fury perfekt beherrschen.“ Um schließlich zu folgendem Ergebnis zu kommen: „Fury In The Slaughterhouse… sind Deutschlands Konsens-Rockband Nummer eins.“ Ist das denn schon ein Grund, so sauer zu reagieren, Herr Wingenfelder? Und überhaupt. Stimmt es etwa nicht, daß Fury von so vielen so sehr gemocht werden, weil sie so schön normal sind, weil sie keine Allüren haben, weil sie ihrem Publikum wie Kumpels begegnen und nicht wie abgehobene Rockstars. Ist also nicht doch was dran an der Theorie mit der Konsens-Band?

„Gute FRAGE“, RÄUMT WINGENFELDER EIN, „WÜRDEN WIR MANCHMAL auch gern wissen. Im Endeffekt tun wir aber nichts anderes, als genau die Musik zu schreiben, die wir gut finden, zu der wir hundertprozentig stehen.“ Und mit der man sicher nirgendwo aneckt? „Es gibt keinen Grund für uns, auf die Straße zu gehen und zu bestimmten Leuten zu sagen, du bist ein Arschgesicht, und du bist eins und du und du und du, und das finden wir toll, und das finden wir schlecht. Wir müssen nicht dauernd irgendwelche Statements abgeben. Wenn uns irgendwas nicht paßt, dann gibt es Menschen wie Christof (gemeint ist Christof Stein, Gitarrist bei Fury/Anmerkung der Redaktion) oder mich, die auf Konzerten durchaus ihre Meinung sagen.“ Und zur Musik: „Ich weiß nicht, was die Leute von uns erwarten. Wo ist der Unterschied zwischen einer Band wie U2 und einer Band wie Fury? Beide machen genau das, was sie wollen. Wenn es ein Fehler ist, daß wir seit zehn fahren die Musik machen, die wir gut finden, dann mag das so sein. Aber es stört uns nicht besonders.“ Was, so fragt man sich, stört denn dann? Vielleicht die eine oder andere, wenig wohlmeinende Kritik? Wingenfelder winkt ab: „Wenn man auf Kritik nicht hört, dann lernt man auch nicht mehr. Gute Kritik ist wichtig.‘ Und worin unterscheidet sich eine gute von einer schlechten Kritik? „Eine gute Kritik ist sachlich. Da sagt irgendjemand was, was mir nicht paßt, und es ist okay – auch wenn die Platte dabei schlecht wegkommt. Es kann ja nicht sein, daß nur derjenige, der die Platte gut findet, okay ist. Wenn jemand unsere Platte nicht mag, dann ist es sein gutes Recht, darüber zu schreiben. Bloß, dann soll er schreiben, das find‘ ich blöd und das und das und das. Dann ist das für mich okay.“ Und was, Herr Wingenfelder, ist nicht okay? „Die Variante von Kritik, die ich nicht mag, ist die, wenn jemand sich an seiner eigenen Art zu schreiben ergötzt und etwas verreißt, bloß weil’s ihm Spaß macht. Und am Ende weiß weder der Leser noch die Band, warum der Typ die Platte schlecht findet. Dann steht da zum Beispiel: ‚Scheiße, typisch Hannover‘. Das hatten wir auch schon.“

LASSEN EINEN DERLEI ERFAHRUNGEN IM UMGANG MIT DEN MEDIEN vorsichtiger werden? „Ein wenig, vielleicht. Es gibt in jedem Job schwarze Schafe. Es gibt Interviews, da betritt jemand den Raum, und man weiß genau, das kann nichts werden. Aber Christof und ich haben irgendwann mal beschlossen, wenn da so einer reinkommt, und wir merken, das bringt nichts, weil der ohnehin schon die feste Absicht hat, uns zu verreißen, dann sagen wir auch, komm,‘ lass‘ uns das bleiben, wir haben nichts davon, der Leser hat nichts davon, sondern der einzige, der was davon hat, ist dieser Schreiber. Der kriegt sein Zeilenhonorar, und das war’s dann.“ Aber irgendwelche Zugeständnisse gegenüber den Medien muß man als Band ja wohl machen, um auf längere Sicht erfolgreich zu bleiben. „Klar“, weiß Wingenfelder, „ich mache zum Beispiel gern so was wie ‚Jam‘ bei Viva (ausführliches Bandportrait/Anmerkung der Redaltion), weil es eine interessante Variante ist, die Band zu präsentieren. Trotzdem, für die erste Single aus unserem neuen Album („Nowhere… Fast“/Anmerkung der Redaktion) haben wir kein Video gedreht, weil die ganze Band der Entwicklung auf dem Videomarkt etwas skeptisch gegenübersteht. Man muß sich doch fragen, ob die riesigen Budgets, die man für etwas ausgeben muß, das dann nachher doch nicht gespielt wird, wirklich noch einen Sinn machen.“ Ein neues Album also, aber kein bgleitendes Video? Nicht ganz. „Für die zweite Single“, räumt Wingenfelder ein, „machen wir dann doch ein Video, um zum Beispiel Dinge im Ausland plazieren zu können. Das heißt aber nicht, das wir irgendwelchen Blödsinn machen, nur um bei MTV oder Viva Plays zu kriegen. Der gutbezahlte MTV-Clown zu sein, das ist nun wahrlich nicht mein Lebensziel.“

Verständlich für einen 38jährigen, würde man meinen. Aber wie lautet es denn dann, das Lebensziel des Kai Wingenfelder? „Ich würde gern das, was mir Spaß macht, möglichst lange und exzessiv betreiben. Ich möchte also weiter Musik machen – und mir möglichst nicht dauernd darüber Gedanken machen, wieviel Kohle ich dafür kriege.“ Nun, die Kohlefrage dürfte spätestens geklärt sein, seit Fury In The Slaughterhouse, bisher bei dem Mittelständler SPV unter Vertrag, einen langfristigen Deal mit dem Branchenriesen EMI unter Dach und Fach gebracht haben. Und zwar für so viel Geld, daß man sich im Grunde über das künftige Auskommen der Bandmitglieder keine allzu großen Sorgen mehr machen muß. Kein langes Drumrumreden also bei der Frage, ob denn auch der schnöde Mammon beim Wechsel der Plattenfirma eine Rolle gespielt habe. „Sicher“, kommentiert Wingenfelder knapp. Und? Ist ja schon ganz schön was zusammengekommen in elf lahren Rock’n’Roll. Was macht man mit dem ganzen Geld? „Wir lassen es für uns arbeiten. Allerdings: In den Köpfen der Menschen ist es immer viel mehr, als es in Wirklichkeit ist. Ich habe mir ein Studio aufgebaut zusammen mit meinem Bruder (er heißt Thorsten und ist Gitarrist bei Fury In The Slaughterhouse/ Anmerkung der Redaktion). Darüber hinaus haben wir uns einen Platz geschaffen, wo wir loben können. Das machen die anderen auch, und das ist okay so.Wir sind nicht die Supermultimillionäre, aber es geht uns wahrlich nicht schlecht.“ Warum also dann weitermachen? Was treibt einen, sich oft wochen-, ja monatelang hintereinander auf die Bühne zu stellen und anderen etwas vorzuführen. Eine Form von Exhibitionismus vielleicht? „Könnte sein. Auf alle Fälle aber ist es die Tatsache, daß man etwas erschaffen hat, was man ganz toll findet, und dementsprechend das Bedürfnis verspürt, es anderen vorzuführen. Weil man ja auch hart daran gearbeitet hat. Wenn man ein Bild gemalt hat, das man so richtig klasse findet, dann hängt man es ja auch nicht ins Klo, damit es bloß keiner so richtig sehen kann. Auf die Musik bezogen: Ich denke schon, daß auf der Bühne zumindest unterschwellig die Hoffnung eine Rolle spielt, daß da jemand kommt und sagt, super Jungs, da habt ihr wirklich einen tollen Song geschrieben.“ Anerkennung hin, Stolz auf die eigene Arbeit her. Was, wenn durch das dauernde Unterwegssein zum Beispiel eine gewachsene Beziehung in die Brüche geht? „Das habe ich auch schon hinter mir“, berichtet Wingenfelder, um dann mit erstaunlichem Pragmatismus („Ich bin ein Realist“) fortzufahren: „Es ist also ratsam, sich eine Partnerin zu suchen, die mit diesem Leben umgehen kann. Außerdem finde ich es ganz spannend, wenn man sich nicht jeden Tag sieht. Dann freut man sich wenigstens, wenn man sich mal wieder sieht. Ich möchte nicht beamtenmäßig leben von acht bis fünf und jeden Tag dasselbe tun. Lind deshalb ist es gut, daß es so ist, wie es ist. Kostet ’ne Menge Kraft, aber man wird dafür belohnt.“ Plant Kai Wingenfelder den jeweils nächsten Tag? „Nein, ich lebe mehr heute. Natürlich gibt es da einen Terminkalender und gewisse Zwänge, im Grunde aber bin ich eher der Mensch, der alles auf sich zurauschen läßt.“

UND DIE SONGS, LÄSST DU DIE AUCH AUF DICH ZURAUSCHEN? Wachst Du manchmal morgens auf und hast einen Song im Kopf? „Nöö, morgens hab‘ ich meistens nix im Kopf. Aber ich besitze ein Diktiergerät, feine Sache übrigens, auf dem ich Songideen oder -fragmente festhalte.“ Kann man einen Hit künstlich generieren, quasi am Reißbrett entwerfen? „Eigentlich nicht, wenn man mal davon absieht, daß die Plattenfirmen irgendeinen Art auf die Bühne stellen, der dann auch prompt Erfolg hat, um dann 32 andere hinterherzuschicken, die dann allesamt so klingen wie das fragwürdige Original. ‚Ne hundertprozentige Hitgarantie gibt es aber eher nicht. Und wenn doch, dann hat Dieter Bohlen das ganz toll raus.“

Ist Kai Wingenfelder im Grunde seines Musikerherzens ein eher konservativer Songwriter? Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Wenn konservativ bedeutet, daß man melodiebetont komponiert und bewährte Songschemata einsetzt, dann bin ich wahrscheinlich ein konservativer Songwriter.“

Selbst wenn es den garantierten Hit gar nicht gibt – inwieweit spielt Kalkül beim Songwriting eine Rolle? „Es kommt vor, daß Kalkül eine Rolle spielt, ist aber nicht die Regel. Wenn es doch so ist dann sagen wir, dieser Refrain ist so affengeil, den müssen wir einfach noch mal singen. Weil wir ihn noch mal hören wollen, aber eben auch das Publikum. Aber Feuerzeugballaden mit Absicht schreiben, so was machen wir nicht. Obwohl ich BaJladen gern mag, weil ich sie sehr gut singen kann. Besser als rappen jedenfalls. Das kann ich nicht so gut.“

LIND WAS, WENN MANCHEN LEUTEN DAS, WAS KAI Wingenfelder gut kan, auch nicht so richtig gefällt? Das sei nicht weiter schlimm, versichert Wingenfelder, schließlich könne nicht jedem alles gefallen („nicht mal, wenn die Musik von Deutschlands größter Konsens-Band stammt“). Der wahre Horror, so Wingenfelder, liege für einen Musiker in einer ganz anderen Situation: „Ignoriert zur werden, das ist so ziemlich das Schlimmste, was einem passieren kann. Schlimmer als Ablehnung. Zum Beispiel auf der Bühne, da sind Pfiffe leichter zu ertragen als Schweigen. Oder wenn es um eine neue Platte geht. Okay ist, wenn einer sagt, eure Platte ist Bullenscheiße, und er kann es begründen. Oder andersherum, eure Platte ist Klasse. Aber bitte nicht na ja, eure Platte ist solala. Das heißt doch: braucht eigentlich kein Mensch. Das ist so ziemlich das Schlimmste.“

Tourstreß, ewig dauernde Studiosessions, kreative Selbstquälerei beim Songwriting – braucht ein überzeugender Musiker eine ausgeprägte Leidensfähigkeit? Wingenfelder muß nicht lange nachdenken: „Ein überzeugender Musiker hat eine ausgeprägte Leidensfähigkeit, denn das Leben eines Musikers ist ein stetiges Auf und Ab. Das bedeutet, daß es einem erst mal richtig schlecht gehen muß, damit man überhaupt merkt, wenn es einem wieder gutgeht. Da muß man irgendwie durch. Aber das gilt für alle Arten von künstlerischen Tätigkeiten – für Maler, Schauspieler, Fotografen oder auch für Schriftsteller.“ Und wie merkt man als Künstler, in Wingenfelders Fall als Musiker, daß eine Arbeit funktioniert? „Wenn man einen Song im Hinterhof auf der Wandergitarre vortragen kann, dann funktioniert die Nummer auch anderswo.“ Und wann funktioniert ein Song besonders gut, was sind – sozusagen – die Idealbedingungen? Wingenfelder lächelt, obwohl seine Antwort das genaue Gegenteil bewirken müßte: „Die besten Texte schreibe ich, wenn’s mir schlecht geht. Aber das kann man nicht erklären, das passiert einfach.“ Was ebenfalls einfach passiert ist, daß dauernd davon geredet wird, Fury In The Slaughterhouse, das seien im Grund nur die Gebrüder Wingenfelder. Eine Behauptung, die Sänger und Songschreiber Kai schlicht und ergreifend als „völlig falsch“ bezeichnet: „Wir sind sechs, und die haben alle ihren musikalischen Kopf, und den muß man unter einen Hut bringen.“ Daß zwar die Musik, nicht aber die Köpfe, die sie ersinnen, fast jeder kennt, stimmt Kai Wingenfelder und die anderen Furys froh: „Wir können noch beim Italiener essen, ohne daß uns einer was vom Teller guckt – glücklicherweise.