Gasolin


Gasolin sind in ihrer Heimat Dänemark populärer als die Beatles oder Abba. Ihre Konzerte sind Treffpunkt für ganze Familien, ihre Songs singen die Kinder auf der Straße. Mit der Neuveröffentlichung ihrer LP „What A Lemon“ unternehmen die Dänen nun einen erneuten Versuch, ihren Ruhm auf den europäischen Kontinent auszudehnen. Konzerte in Flensburg und Hamburg verliefen recht vielversprechend, und das, obwohl die vier nur dänisch singen.

Gasolin besteht aus vier grundverschiedenen Typen. Als ich sie vor ihrem Hamburger Konzert treffe, sind sie gerade in Blödellaune. Kim Larsen, kreativer Mittelpunkt Gasolins, mimt den Clochard. Unrasiert, ungekämmt flegelt er sich auf einer Bank und macht dumme Sprüche. Neben ihm der intelligente Spätfreak Franz Beckerlee (Leadguitar, Synthesizer), blond, interessant gefurchtes Gesicht und mit einer offensichtlichen Vorliebe für Fantasieklamotten der Carnaby-Ara. Auf den Plattencovern posierte er meist in einem poppigen Bühnenanzug, der an die Flowerpowerzeit erinnert. Jetzt kombiniert er eine Uniformjacke mit schlabbrigen Samthosen, die dekorativ in schwarzen Gummistiefeln verschwinden. Drummer Sören Berlev, mit seinen 25 Jahren der jüngste im Bunde, ist das Urbild eines süßen Dänenjungen mit entsprechendem Akzent, und Wili Jönsson, Bassist und Keyboardmann, ist der seriöse Typ, an den man sich vertrauensvoll zuerst wendet.

Volksbewegung

In Dänemark also sind sie die Größten. Ihre Musik ist streckenweise ganz witzig; eine Mischung aus melodischen Balladen und durchschnittlichem Heavy-Rock. Ihr Live-Doppelalbum „Gasolin Live-Sadan“ fetzt zugegeben ganz schön los, aber es gibt weiß Gott aufregendere Gruppen. Die Biografie der Schallplattenfirma verrät, daß die vier in Dänemark zu einer echten Volksbewegung geworden sind, daß ihre Texte so phänomenal sind, daß man sie in der Schule analysiert. Daß Gasolin die Musik zu „Le Rone“, dem besten dänischen Film des Jahres 1970, geschrieben haben, daß Gasolin Dänemark beim Skandinavischen Rockfestival in Stockholm vertraten und daß sie die Musik zu „Stoned Days In Thy“ schreiben, einem Farbfilm über ein großes Sommerfestival in Nordjütland, bei dem unter anderem auch Blood Sweat & Tears, Fleetwood Mac und Ten Years After auftraten. Und daß alles 1969 „in einem einfachen, bescheidenen Hinterhaus in Christianshaven, Kopenhagens Montparnasse“ angefangen habe.

Und wie war das nun 1969? Die Gruppe ziert sich, findet, daß die Bio eigentlich informativ genug sei. Schließlich erbarmt sich Kim, der 30jährige Sänger und Rhythmusgitarrist, der sein Lehrergehalt der Musik geopfert hat. Umgekehrt wäre es wohl ein größeres Opfer gewesen. „Also,“ holt er aus, „1969 spielten wir noch mit unserem alten Drummer in einem Club.

Dänische Texte

Und alle raunten sich zu: ‚Habt ihr schon die wahnsinnige neue Gruppe gehört? Gasolin?‘ Wir waren die erste Gruppe, die dänische Texte gemacht hat, und das kam tierisch an. Wir lebten damals in Wilis Zweizimmerwohnung, bis seine Frau einen Nervenzusammenbruch bekam. Später drehte dann unser Drummer durch. Der mußte einfach weg von uns, er konnte das Gerede von früh bis spät über Musik und Frauen nicht mehr aushalten. Also machten wir uns auf die Suche nach einem neuen Schlagzeuger. Da fanden wir eines Tages Sören auf der Straße liegen. Er flehte uns an: „Ich bin so hungrig, habt ihr nicht ein Stück Brot für mich?“ Kannst du Schlagzeug spielen‘, fragen wir – und seitdem ist er bei uns.“ Soweit die Geschichte von Gasolin aus berufenem Munde. Oder genau: Kapitel eins.

Sechs Fans in Frisco

Weiter ging es dann mit der ersten LP: „Gasolin 1“, die nach langen Diskussionen in dänisch produziert wurde. Die Entscheidung war richtig. Schon mit „Gasolin 2“ bahnte sich in Dänemark der absolute Durchbruch an. „Gasolin 3“, „Stakkies Jim“, „Gasolin 5“, „Efter endnu en Dag“, „Gör Det Noget“, das Live-Album und der Sampler „What A Lemon“ – alles wurde in Dänemark zu Platin. In englischer Sprache nachproduziert wurden nur „Stakkies Jim“ (unter dem Titel „The Last Jim“) und „Gasolin 3“. Eine englischsprachige LP liegt noch auf Eis. Ihre Veröffentlichung hängt weitgehend davon ab. wie das deutsche/kontinentale Publikum auf „What A Lemon“ reagiert.

Auch in Amerika haben sie schon getourt und dabei natürlich einen Haufen Geld verloren. Völlig perplex waren sie, als sie erfuhren, daß es drüben Radiostationen gab, die ihre Platten aus London importiert hatten. „Unser erster Gig lief in einem kleinen Club in San Franzisko,“ erzählt Kim. „Im Publikum saßen circa sechs Leute, fünf davon waren Dänen. Naja, die Tour war jedenfalls fantastisch. Wir haben die Staaten gesehen. Ist das nichts? Meine Schwester wohnt seit 16 Jahren in New York, sie kennt die Staaten nicht – ich habe sie in zwei Monaten gesehen. Es waren natürlich auch gute Jobs dabei. In Dallas zum Beispiel…“

Solo-Ausflüge

Gasolins Erfolg außerhalb ihrer Heimat Dänemark hängt eben allein von ihrer Musik ab. Der Reiz ihrer vielgelobten Lyrics bleibt uns zwangsläufig verborgen. „Wir singen über alles, was sich in unserem Leben ereignet,“ erklärt Kim. Und von Franz, dem ehemaligen Avantgarde-Jazzer, kommt noch der Hinweis, daß Kim beim Dichten der Produktivste ist. Zu mehr kann sich niemand in der Band aufraffen.

Keine Angst bei Gasoline, daß die Punk-Welle ihnen mal in die Quere kommen könnte? Gleichmütiges Schulterzucken. „Du weißt, wie es im Showbiz ist,“ meint Franz, „da gibt es ups und downs.“ Sie sind sich ihrer selbst ziemlich sicher. Der Promotionmann ihrer dänischen Schallplattenfirma kommt mit einer Kassette, Kims neuestem Solo-Produkt: „Kim Larsen & Yankee dregene“, was zu deutsch soviel bedeutet wie „Kim Larsen und die Yankee-Jungen“. 1973 hatte er mit „Versgo“ („Bitte sehr“) schon einen ersten Solo-Ausflug gemacht. Die neue LP nahm er in den USA auf. „Kannst Du mir wenigstens noch sagen, wer die Musiker sind?“ – „Keine Ahnung, kenne ich nicht. Ich habe die Platte innerhalb einer Woche aufgenommen.“ nuschelt er und verzieht sich mit den anderen zum Soundcheck.

Abends auf der Bühne wirkt er geradezu geschniegelt. Die Band ist in ihrem Element. Die Halle ist voll und aus dem Publikum tönt es in akzentfreiem Dänisch. Irgendjemand muß da einen Reisebus gechartert haben. Die Dänen flippen tatsächlich auf ihre Jungs aus. Vielleicht kommen wir Deutschen ja auch nochmal hinter das Geheimnis ihres Erfolges.