Interview

„Akzeptieren, dass man alles ist“ – Jassin über ARSENALPLATZ im Interview

Vom toughen Rapper zum introvertierten Sänger: Jassin über Männlichkeit, Selbstzweifel – und warum Schwäche die größte Stärke sein kann.

Es ist Vormittag, graues Videolicht auf dem Bildschirm. Ein unromantisches Setting für ein Interview – und doch wirkt es erstaunlich intim, fast so, als würde ein Gespräch mit einem alten Freund aus der Heimat stattfinden. Jassin sitzt da, dreht sich eine Zigarette, lacht, als das Feuerzeug kurz streikt. Dann klickt’s, Rauch, Stille. Einige Minuten geht es über Belangloses, bis der Smalltalk versiegt und der Raum sich öffnet. Er erzählt, wie die letzten Wochen waren, die Zeit zwischen Abgabe und Erschöpfung: „Ich versuch‘ gerade zu akzeptieren, dass man loslassen muss“, und lehnt sich zurück. Er hat das Projekt abgeschlossen, nach Monaten zwischen Studio, Tourbus und Interviews. „Das war auf jeden Fall ein hartes Stück, das alles fertig zu machen. Aber jetzt ist es so weit.“ Sein Album ARSENALPLATZ erschien am 28. November.

Zwischen Trompete, Rap und Jazz

Jassin – Sohn einer deutschen Mutter und eines ägyptischen Vaters – wächst in Lutherstadt Wittenberg auf. Trompete ist sein erstes Instrument, Rap seine erste Sprache. „Ich wollte immer jemand sein, der ich nicht bin – in ganz verschiedene Richtungen“, sagt er. „Ich hab Rap gemacht, da ging’s um das taff sein. Dann hatte ich auf einmal ’ne Indieband, Mittelscheitel, Croptops. Und irgendwann war ich Jazzstudent.“

Er lacht, ohne Reue. Alles habe zu ihm gehört, sagt er. Heute klingt das mehr nach Versöhnung als nach Rückblick. „Ich glaub‘, das, was gerade passiert – in meiner Musik und bei mir selbst – ist, dass man diese Konflikte akzeptiert. Dass man versteht: Ich bin alles davon.“

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Während er spricht, liegt etwas Gelassenes, Ruhiges in seiner Stimme, etwas Erarbeitetes – Generation Zartmänner. Wohl auch, weil er weiß, wie lang der Weg hierher war. Seine Reise als der Künstler, den wir heute kennen, beginnt viel früher – die erste große Aufmerksamkeit bekam er jedoch bei der Eventreihe „Unreleased Berlin“: eine kleine Bühne, gedämpftes Licht, abgeklebte Handys. Kein Filmen, kein Hype – nur ein Publikum, das wirklich wegen der Musik da ist.

Der perfekte Anfang

„Unreleased“ war der Startschuss für einen Künstler, der schon viel länger Musik machte, als man ahnt. „Das war einer der geilsten Anfänge, die man sich vorstellen kann“, sagt Jassin. „Direkt vor echten Leuten, die neue Musik kennenlernen wollen. Besser geht’s ja nicht.“ Die Erinnerung wirkt wie ein Gegenpol zum Studioalltag – ein Moment, der ihn daran erinnert, warum er das alles macht.

Das erste Mal, dass Jassin über sich selbst stolpert, ist kein musikalischer Moment, sondern ein stiller. „Ich saß auf meinem Balkon, hab‘ geraucht und gedacht: Ich muss jetzt irgendwem schreiben.“ Er sucht sich therapeutische Hilfe – nicht, weil alles zusammenbricht, sondern weil er merkt, dass er sich selbst im Weg steht. „Ich wollte wissen, warum ich so viel Selbsthass spüre, warum ich denke, ich bin nicht genug. Und wie ich akzeptieren kann, dass ich eigentlich ganz nice bin.“

Therapie als Spiegel

Therapie wird zu einem Spiegel. „Als junger Mensch ist es schwer, sich zu akzeptieren, wenn man von außen nicht viel Akzeptanz erfahren hat. Musik ist ja das Persönlichste, was es gibt – und sich da ganz zu zeigen, fühlt sich an, als würde man sich ausziehen. Ich hatte früher nicht die Kraft dazu.“ Auf dem Album wird dieser Prozess greifbar, etwa in der Zeile: „Und ich sag‘ mei’m Therapeuten: ‚Geht nicht darum, mich zu finden. Geht darum, sich zu verlieren.’“

Heute kann er das. Auf seinem Song „Wann trennt ihr euch“ singt er über die Scheidung seiner Eltern – ein Stück, das ihn live jedes Mal aufbricht. „Meine Eltern waren beide im Publikum, in Leipzig. Mein Vater kannte den Song nicht. Ich musste ihn 20 Minuten vor Auftritt fragen, ob das okay ist, wenn ich den spiele.“ Jassin lächelt, dann wird seine Stimme leiser. „Ich hab‘ auf jeden Fall geweint und gelacht. Er hat applaudiert am Ende. Das war ein sehr schöner Moment.“

Schwäche als Stärke

„Ich glaub‘, niemand ist befreit von diesen Bildern“, sagt er. „Ich merke das selbst, wenn ich Verantwortung spüre, die gar nicht da ist – in meiner Beziehung zum Beispiel.“ Er lacht darüber, ohne Zynismus. „Ich hab‘ gelernt, dass Schwäche Stärke ist – für sich schwach zu sein heißt, für sich stark zu sein.“ Auf Arsenalplatz spiegeln sich Einsamkeit, Druck und Nähe in Zeilen wie: „Bitte sei vorsichtig, wenn du mich küsst. Ich bin zerbrechlich wie ein kleines Kind.“

Musikalisch hat Jassin längst eine Sprache gefunden, die nicht mehr fragt, ob das jetzt Rap, Pop oder Soul ist. „Je mehr man eins mit allem wird, desto mehr kann man das eh nicht mehr unterscheiden. Es ist nur noch Gefühl.“ Seine Einflüsse reichen von Haftbefehl bis Schmyt, von Dave bis Frank Ocean. Doch das, was ihn heute wirklich trägt, ist weniger Sound als Haltung. „Das oberste Ziel ist, ehrlich in der Musik zu sein. Und dafür musst du ehrlich zu dir selbst sein.“ Zwischen diesen beiden Sätzen liegt alles, das seine Songs ausmacht: die Balance zwischen Kontrolle und Hingabe, Introspektion und Offenheit.

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Verletzlichkeit als Haltung

Was Jassin erzählt, reiht sich ein in eine Bewegung junger Künstler:innen, die Verletzlichkeit in ihrer Musik zulassen. Manchen Künstler:innen kauft man es nicht ab. Doch bei Jassin hat man das Gefühl, seine Haltung kommt aus persönlicher Arbeit: Herkunft, Widersprüche, der Versuch, sich nicht zu erklären, sondern zu verstehen. Er wirkt wie jemand, der gelernt hat, sich in seinen Widersprüchen zu bewegen.

Auf die Frage, was er seinem jüngeren Ich sagen würde, antwortet er: „Ich würd‘ meinem jüngeren Ich sagen: ‚Ich sehe, was du durchmachst. Pass auf dich auf. Die Welt ist größer, als du denkst.’“ Er lacht kurz, dann fügt er hinzu: „Und ich würd‘ ihm fünf Scheine geben, damit er sich ’ne freshe Jacke kaufen kann.“ Das ist Jassin – ein Künstler, der verstanden hat, dass das Gegenteil von Härte nicht Schwäche ist, sondern Wahrheit.