Jedes Wort ein Treffer


Naiver und Fatalist, Zyniker und Moralist. Der Wortakrobat Lotte Ohm läßt sich nirgends einordnen, frönt jedoch heimlich der Fußball-WM.

Merkwürdig ist das ja schon“, mummelt Vincent Wilkie, während er an seinem trockenen Käsebrötchen kaut: „Da mache ich endlich die Musik, die ich immer machen wollte – und plötzlich bin ich Everybody’s Darling. Die Plattenfirmen reißen sich um mich, und jeder aus der Branche prognostiziert mir.daß ich in diesem Sommer Deutschlands Superstar sein werde. Und das, obwohl meine Musik nun gar nichts mit Mainstream oder Pop oder Dance zu tun hat. Es ist einfach nur meine Musik – also die Musik eines komischen Menschen. Tja, das ist alles merkwürdig. Aber man kann sich vorstellen, daß ich mich gerade ziemlich wohl in meiner Haut fühle. Oder nicht?“

Merkwürdig ist in der Tat so einiges an Herrn Wilkie und seiner Arbeit. Etwa, daß er sich in der Öffentlichkeit Lotte Ohm nennt (amtlich nur in Kleinschreibung und mit einem Schlußpunkt). Oder daß er Platten aufnimmt mit wirren Titeln wie „Die Liebe in den Zeiten des Rinderwahns“ bzw. „Letzte Tanke vor Babylon“. Oder daß man seine Musik in der Tat nicht kategorisieren kann, weil da wüster Sonic Youth-Krach neben Beckschem Sprechgesang vorkommt, militante Technotöne neben Krautrock-Skurrilitäten, zarte Folkklänge neben knochentrockenen Drum & Bass-Beats. Und all das paßt letztlich auch noch irgendwie zusammen. Der Zuhörer bekommt ein Konglomerat von Klängen serviert, das er so garantiert noch nie gehört hat.

„Naja“, mummelt der 29jährige,der momentan – völlig uncool – im bayerischen Regensburg zu Hause ist, „ich nenne meinen Sound einfach ‚das ohm.sche Gesetz‘. So mache ich es den Leuten von den Medien etwas einfacher, mich einzuordnen, denke ich…“ Passenderweise hat Wilkie auch sein aktuelles Album so betitelt. Aber einfacher macht „das ohm.sche Gesetz“ natürlich gar nichts. Doch das liegt letztlich auch nicht in Lottes Absicht. Denn neben seinem Gespür, die unmöglichsten Sounds zu einem aufregenden Ganzen zu kombinieren, legt Wilkie auch gesteigerten Wert auf seine Textqualität. Neben purem Dada-Nonsens und spaßigen Wortspielen hat der Schlaks mit Glatzkopf und Faible für auffällige Brillengestelle auch einen Sinn für die kleinen, aber um so wichtigeren Geschichten des täglichen Lebens, die er mal als Naiver, mal als Fatalist, mal als Zyniker, mal als Moralist kommentiert. Vor allem aben.Jch begegne allem und jedem mit Humor und grenzenlosem Optimismus“, bekennt Wilkie, „deshalb wirst Du auf meinen Platten auch nie einen einzigen pessimistischen Ton hören. So etwas interessiert mich nicht, ist schlecht fürs Karma.“

Wilkie hat das Glück, Sohn des angesehenen Folksängers Colin Wilkie zu sein. Denn dessen rund 10.000 Alben umfassende Plattensammlung ist die Basis für Ohms verwegenes Stilkonglomerat. „Alles, was Swing hat“,grinst Vincent, „hat eine Chance, von mir verwurstet zu werden. Und privat höre ich eh alles-von Lou Reed bis Busta Rhymes, von AI Jarreau bis Mouse On Mars. So ein Mix prägt!“ Natürlich. Bis zum 12. Juli aber wird Wilkies Plattenteller Staub ansetzen. „Klar schaue ich mir die Fußball-WM an“, bekennt Wilkie sich zu seiner geheimen Leidenschaft. Allerdings hegt er auch hier eine ausgefallene Hoffnung: „Ich hoffe“,sagt er, „daß Nigeria den Cup holt – die haben nämlich die geilste Nationalhymne. Und außerdem hoffe ich, daß Deutschland schon nach der Vorrunde rausfliegt, damit die deutschen Fans endlich von ihrem hohen Roß runterkommen.“ In der Tat: Dieser Mann ist merkwürdig. Und das ist gut so.