Johnny Winter lässt Mädchen auf der Bühne tanzen


Endlich, endlich hat er sich nach langer Pause wieder auf Deutschlands Bühnen blicken lassen, der weisse Wirbelwind der Rock-Musik. Johnny Winter absolvierte Ende letzten Jahres nach einer Drogenentziehungskur und nach vielen erfolgreichen Comeback-Auftritten in den Vereinigten Staaten eine Europa-Tournee, die ihn in Deutschland leider nur nach München und Frankfurt führte. Beide Konzerte waren- ausverkauft, in Frankfurt Hess man Johnny sogar erst nach zwei Zugaben von der Bühne der Hoechster Jahrhunderthalle. Beim sehr später Abendessen beantwortete er die Fragen von ME-Reporter Lutz Wauligmann:

ME: Lohnt es sich eigentlich für einen in den USA so bekannten Musiker wie dich überhaupt in Europa aufzutreten?

Johnny: Ob es sich finanziell lohnt, ist eine andere Frage. Mir macht es ganz einfach Spass nicht nur in Texas, Kalifornien oder New York aufzutreten, sondern auch für Leute in München, Frankfurt oder London zu spielen. Unsere Konzerte sind hier überall ausverkauft, trotzdem bezahlen wir bei einem Europa-Trip noch Geld dazu! Das tu‘ ich aber gerne, weil ich weiss wie sehr man mich und meine Band hier mag. Es klingt zwar unheimlich grosszügig, wenn ich sage, dass ich bei den Konzerten in Amerika das Geld verdiene, um es dann in die nichtrentable Europa-Tournee zu stecken – aber es ist schlicht und einfach die Wahrheit. Geld war nie wichtig für mich, dieser Spruch ist zwar reichlich abgedroschen, doch es ist wirklich nur Musik, was mich am meisten interessiert – jedenfalls nicht Geld.

ME: Apropos Musik. Bist du auch der Meinung, dass es momentan unheimlich wenig neue Sachen gibt auf dem Gebiet?

Johnny: Richtig. Im Augenblick befindet sich die Rock & Musikszene auf einem Tiefpunkt. Aber das hat es schon öfter gegeben. Neue Trends wird es immer geben. Früher waren es Frank Sinatra, Elvis Presley oder die Beatles. Es wird immer neue Stars geben, die alle anderen Musiker enorm inspirieren. Momentan passiert nichts Neues, aber das wird sich sehr bald wieder ändern. Musik wird es immer geben, weil sie viel antörnender ist als Drogen oder Alkohol. Mit Musik ‚high‘ werden ist das Schönste überhaupt. Augenblicklich wird zwar nicht mehr so viel improvisiert wie vor ein paar Jahren, die meisten Platten sind unheimlich durchdacht und arrangiert ME: Ist dein neues Album, das jetzt gerade erschienen ist, auch perfekt durcharrangiert?

Johnny: In der Tat. Vermutlich ist es das ungewöhnlichste Album, das ich jemals aufgenommen habe. Ich selbst hab‘ für diese LP mehr Songs geschrieben als jemals zuvor. Es sind da ein paar Titel drauf, die mich sehr stark an den alten Johnny Winter von 1969 erinnern. Stücke also, die wir mit nur drei Musikern aufgenommen haben. Bei einigen Songs haben wir jedoch ganz schön rumgebastelt. In jedem Fall aber ist es typische Johnny Winter-Musik. Kompromisse gibt es bei mir nicht.

ME: Ein Titel auf dem neuen Album stammt aus der Feder von John Lennon. Wie ist es dazu gekommen?

Johnny: John und auch die Rolling Stones sind bereits immer meine Lieblings-Komponisten gewesen. Ich hab‘ schon erwähnt, dass ich auf dem neuen Album mehr Songs selbst geschrieben hab‘ als jemals zuvor, ganz einfach, weil ich mich nicht so sehr für einen Komponisten halte, sondern vielmehr für jemanden, der eine gute Show abzieht. Ich nehme viel lieber ein Stück auf, das ein anderer geschrieben hat und das mir sehr gut gefällt, als dass ich mich selbst hinsetze und einen Song schreibe, der nur mittelmässig ist. Na, und die Komponisten, die mir gefallen, die frage ich einfach, ob sie was für mich schreiben wollen. So war es auch bei John Lennon. Ich hab‘ schon damals gefragt, als ich mit dem Album Still Alive And Well‘ beschäftigt war. Doch John steckte zu der Zeit selbst in einer Krise. Er sagte zu mir „Mann, wenn mir ein guter Rock‘ n’Roll-Song einfiele, würde ich ihn sofort selbst aufnehmen“. Dass sich jetzt auf meinem neuen Album eine John Lennon-Komposition befindet, ist eigentlich reiner Zufall. Das Stück heisst Rock’n‘ Roll People‘, und John hat es eigentlich für sich selbst geschrieben. Er hatte den Titel für sein gerade erschienenes Album ‚Walls And Bridges‘ geplant, aber er war mit seiner Version von ‚Rock’n‘ Roll People‘ nicht ganz zufrieden. Zufällig waren wir beide zur gleichen Zeit in den New Yorker Record Plant Studios mit den Aufnahme für unsrer neuen LPs beschäftigt. John erinnerte sich, dass ich gerne eine seiner Kompositionen aufnehmen wollte, deshalb schlug er mir vor, es doch mal mit Rock’n’Roll People‘ zu versuchen. Er war überzeugt, dass ich eher was damit anfangen könnte als er selbst. Ich war natürlich begeistert, hörte-mir den Song an, fand ihn sehr dufte und hab‘ ihn aufgenommen. Wie gesagt, wir arbeiteten beide im gleichen Gebäude. John in einem der oberen Stockwerke und ich im Erdgeschoss. Gleich nachdem ich seinen Titel aufgenommen hatte, rannte ich nach oben und spielte ihm das Tonband vor. John war wirklich ganz aus dem Häuschen, er tanzte regelrecht durchs Studio, und ich war glücklich darüber, dass ich ihn nicht enttauscht hatte.

ME: Wir wollen nicht vergessen zu erwähnen, wie dein neues Album heisst…

Johnny: Es steht ganz einfach nur mein voller Name ‚John Dawson Winter III‘ auf der Plattenhüllle.

ME: Heute abend gab es beim Konzert in der Jahrhunderthalle einen Zwischenfall, als ein reichlich ausgeflippter Fan auf die Bühne stürzte und dich beinahe zu Boden geworfen hätte. Hattest du keine Angst?

Johnny: Der Kerl war wirklich ganz schön verrückt. Ich war mir nicht ganz klar darüber, ob der Typ mich nun mochte oder ob er mich umbringen wollte. Mann, war ich froh, als die Roadies ihn endlich von der Bühne geschleppt hatten.

ME: Vorher war auch schon ein Mädchen auf die Bühne gesprungen, um dort einen wilden Tanz vom Stapel zu lassen. Wie hast du darauf reagiert?

Johnny: Oh, das fand ich sehr dufte. Als die Roadies sie wegschleppten, hätte ich am liebsten hinterhergerufen „Komm, bringt sie zurück!“