Kraan – die deutsche Hoffnung 73


Schaut man in den letzten Monaten die angloamerikanischen, aber auch die deutschen Hitparaden an, stellt man erstaunt fest, dass einige mehr oder weniger jazzorientierte Bands in den oberen Regionen herumflippen. Geht der Trend etwa wieder in Richtung Jazz, wie das schon einmal vor zwei Jahren geschah? Schon seit längerer Zeit versuchen etliche Gruppen den klaffenden Abgrund zwischen Jazz- und Rockmusik zu überbrücken. Doch die Voraussetzungen waren noch nie so günstig wie heute. Die puritanischen Jazz-Fans nehmen ab, die Rock-Freaks werden anderen Klängen gegenüber aufgeschlossener und auch die Industrie wagt Projekte zu starten die weniger kommerziell sind. Hellmut dazu:

„Früher war ich auch einer von diesen dogmatischen Höhenflug-Jazzern. Inzwischen habe ich jedoch die Erfahrung gemacht, dass eine Klassifizierung immer Scheisse ist. Du sperrst dich damit selbst in einen Käfig, aus dem du nur schwer wieder rauskommst.“ Besonders das Verhalten der Industrie animierte viele Gruppen dazu, endlich wieder die Musik zu machen, die man schon immer ins Auge gefasst hatte und die man heute leichter ohne Kompromisse auf den Markt werfen kann. Heute verkaufen sich z.B. John Mc Laughlin’s Mahavishu Orchestra, Miles Davis und Frank Zappa annähernd so gut wie rein auf Kommerz abgestimmte Formationen. Und das nicht nur im Ausland! Auch in Deutschland beginnt sich einiges zu rühren. Wolfgang Dauner’s Gruppe und Doldinger’s Passport z.B. kennt man auch im eigenen Land und akzeptiert sie.

Vom Free-Jazz zum Jazz-Rock

Kraan ist eine Gruppe, die seit Anfang ’72 besteht, das erste Album Mitte dieses Jahres herausgab und seitdem ständig populärer und beliebter wird. Obwohl Kraan keinen reinen Jazz-Rock spielt, sind diese beiden Elemente doch im Vordergrund ihrer Musik. Auch Folk-, Klassik- und asiatische Einflüsse werden zu einem Ganzen verarbeitet, dass dann diesen swingenden, pulsierenden Rock ergibt der so typisch für die Gruppe ist. Mit ihrer ersten Produktion entlockten sie nicht nur Fachschreibern und Plattenleuten Freudenschreie, das Publikum stieg ebenfalls voll auf sie ein. Alle vier, Hellmut Hattler (Bass, Gesang), Peter Wolbrandt (Gitarre, Gesang), Alto Pappert (Saxophon, Percussion) und Jan Fride am Schlagzeug machten seit vielen Jahren Musik und sind heute eine geschlossene Einheit, im Zusammenleben und in der Musik. Vom Beat führte sie der Weg über Modern Jazz zur wichtigsten Phase ihrer Entwicklung, dem Free Jazz, der auch heute noch (besonders bei Live-Auftritten) einer der wichtigsten Einflüsse ist. Aber nicht nur Musik wird bei Kraan grossgeschrieben, auch Zeichnen, Filmen und Malen gehört zu ihrer Lieblingsbeschäftigung.

„Wir sind in jeder Beziehung Autodidakten, weil wir eben auf keinem Gebiet eine richtige Ausbildung mitmachten. Peter macht z.B. sehr dufte Comics und er malte auch die beiden Plattenhüllen. Hellmut zeichnet nur noch, wenn es ihm unheimlich schlecht geht. Das Filmen geriet in letzter Zeit leider ein wenig ins Hintertreffen.“

Neues Album: ‚Wintrup‘

Die Musik ihres Debüt-Albums bestand meist aus längeren Improvisationen, während die zweite LP ‚Wintrup‘ kompaktere, in sich geschlossene kurze Songs enthält. ‚Wintrup‘ macht einen selbstsicheren und technisch perfekten Eindruck.

„Grundsätzlich ist es mehr eine Plattenmusik. Während die erste LP ein Mitschnitt der Musik war, die wir früher ‚live‘ spielten, waren wir uns diesmal vorher drüber klar, dass wir eine Platte machen wollten. Unter diesem Aspekt wurden dann die Songs ausgesucht und eingespielt,“ meint Kraan zu diesem Vorwurf. Die zweite Platte ist in jedem Fall aber leichter durchschaubar, songhafter und untereinander klar abgetrennt, trotzdem aber in jeder Sekunde Kraan in Reinkultur. „Wenn du mit einer Sache beginnst, das muss nicht immer Musik sein, legst du meistens viel zu viel hinein. Mit der Zeit kriegst du dann mit, das diese ganzen Überlagerungen garnicht nötig wären. Du kannst dasselbe Gefühl mit weniger Tönen ebenso gut ausdrücken. Das trifft auch auf Improvisationen zu“.

Am Busen der Natur

Die Kraan-Musiker leben seit einiger Zeit auf einem abgelegenen Weidegut am Rande des Teutoburger Waldes. Hier haben sie die Möglichkeit in Ruhe und Freiheit kreativ arbeiten zu können und zu jeder beliebigen Stunde die Verstärker anzuwerfen. Und für dieses Glück bezahlen sie nicht einmal Miete! Die meisten Einflüsse und Erfahrungen, die sie dort sammeln, bilden zusammen mit denen der unzähligen Auftritte die Grundlage zu jeder einzelnen Komposition. Die Hektik und Betriebsamkeit der Städte, mit dem Frieden und der Ruhe in der Natur gepaart, ergibt den einzigartigen Stil Kraans. Da die Musik das Produkt dieser zahlreichen Einflüsse ist, wird sich die Musik laufend verändern, was auch die unterschiedlichen Platten erklärt. Inzwischen ist etwas mehr als ein Jahr seit der Gründung vergangen und eine Bestandsaufnahme würde sich lohnen. Durch viele Festivals und Konzerte festigte die Gruppe ihren Ruf, sodass die Zahl derer, für die Kraan die hoffnungsvollste deutsche Gruppe darstellt, ständig wächst. Doch dieser Anspruch kann gefährlich werden!

„Früher endeten unsere Konzerte höchstens mit dem Erstaunen des Publikums. Heute jedoch sitzen die drin und suchen intensiv und kritisch nach eventuellen Fehlern und Unebenheiten, verlieren dabei jedes Gefühl sich einfach mitreissen zu lassen und voll abzufahren. Dieses Hören kann einen auf der Bühne ganz schön abfucken, wenn du siehst wie sie dich (mit ihren Blicken) nach Qualität abtasten. Ausserdem kommt noch dazu, dass viele Bekannte aus früheren Zeiten uns wie etwas Fremdes behandeln. Du scheinst einfach nicht mehr zu ihnen zu gehören!“

Zu orakeln, dass Kraan in diesem Jahr den Sprung in die Spitze (vielleicht auch international) schafft, ist nicht besonders schwer, wenn man ihre Platten kennt und sie ‚live‘ miterlebte.