Kurz & Klein


Die gepflegte Beleidigung, sie ist eine seltene Kunst. Wer sie beherrschen will, der muß sie pflegen. Also, auf die Gefahr, daß die Rechtsabteilung kurz vor Redaktionsschluß (eh schon überzogen!) noch einschreitet oder mir den Mund mit Kernseife auswäscht: Die Musikanten und Kapellen, die in diesem Monat in der Kurz-&-Klein-Kiste gelandet sind, sie werden in den folgenden hoffentlich kurzweiligen Leseminuten mal so richtig durchbeleidigt. Wer sich einen lustigen schwarzen Buhmann, Bär im Gegenlicht oder so, aufs Cover pinselt, der mit einem Kaktus Morgengymnastik macht. Wer sich ein Mädel ans Schlagzeug setzt, auf daß die zum archaischen BluesGaragenRock drauflos Moe-tuckert und trällert wie auf Fahrradtour durch MeckPomm. Wer da so Heblich den White Stripes saure Drops gibt, der hat ja wohl einen schwer vor dem Poseur. Oder was soll das hier heißen?! Ah, jetzt, Bandname: Schwervon! Titel des Albums: POSEUR (Shoeshine/Rough Trade). Zweiköpfige Rätsel und Rasselbande das, traurige! So richtig am Faß-den-Bodenhinaus-Hauen ist jedoch der 21jährige Kris Anaya alias An Angle aus Sacramento, denn der verwandelt sich auf …AND TAKE IT WITH AGRAIN OF SALT (Drive-Thru/ Rough Trade) einfach mal so in Conor Oberst. So gruselig vollständig, beträchtlich bedenklich nachdenklich fingerpickend, mit der Option auf sehnsuchtsvollem Damengesang auf dem zweiten Mikro, die Leadgitarre spielt genau die gleichen Melodien, der Typ singt aber ab-so-lut wie und ruft auch noch dazwischen wie … Orgh, nee, lassen wir das. Und zitieren Heber eine damals blutjunge Punkrock-Kapelle aus meiner Heimat, die dereinst sang:

„Du bist mein Klon, dich gibt’s ja schon!“

Ja, schon gut, aber: Ist das eine richtige Beleidigung? Nee, aber das hier: Lacrimosa sind ja wohl außerordentlich lächerliche Weißclowns, die unter dem nach Moder-Eau-de-Toilette muffelnden Deckmantel von Gothiceine unbeschreiblich kitschige Seichtsoße zwischen Rondo Veneziano und schlimmem Realen-Sozialismus-Rock kredenzen, die selbst „Herr der Ringe“-Soundtrackeditoren too much sein dürfte. Da machen metallene Gitarren und apokalyptisch gemeintes Gebrülle das Häschen auch nicht aus dem Bjazzohütchen hopsend. Nun, sie werden sagen: „Was haben sie denn erwartet? Das sind eben Lacrimosa.“ Ja, aber ich hatte bislang noch keinen Ton von denen gehört. Und jetzt bin ich. äh, teilweise bestürzt.

So weit weg, daß man sie fast vergessen hatte, war Ex-Ideal (hihi) Annette, die Schwester der anderen Humpe, die sich mit und dank 2raumwohnung noch einen Popfrühling herausgehandelt hat. Mit Ich + Ich (titelfreies Album auf Universal) versucht die als erfolgreiche Produzentin längst mit festem Einkommen ausgestattete Annette (53) nun, an der Seite von Adel Tawil (26) selbst noch einmal einen schlanken Fuß ins Rampenlicht zu bekommen. Für das bestandslose Wie gehört sie jedoch ordentlich beschimpft: Du bist eine ganz oll gewordene Popmaus, die jedoch schon lange keine Lust mehr aufs Mausen hat und Pop gründlich mißversteht als etwas, was sich jüngere Dinger zur folgelosen Beschwingung von ÖPNV-Transfers auf portable Datenträger laden können! Laß das bitte!

Und mit euch beiden, Eric und Genevieve, hat die Mama wohl zu viel und zu lange Topfklopfen gespielt, oder was?! Wenn ihr nicht gehört habt, mit dem Kopf sogar unter dem Topf. Sonst müßtet ihr wohl nicht so ein experimentelles Klang- und Kloingtheater veranstalten. Mit „Sticks“ und „Bows“. Verschoben die Rhythmen, verschroben das noisige Saiten-Getreiche und Geziepe. Sonst kein Wort. Nur: Kunst. Oder gleich: Avantgarde. Leute, das ist „reiner“ (Ditsche) Luxus, das wißt ihr aber schon?! (Hangedup mit CLATTTER FOR CONTROL auf Southern/Alive).

Da laufen mir doch passend gleich noch die frauenfreilichen Wagner & Pohl mit ihrem Album PELANDINE (Flittchen/Broken Silence) in die Rechte. Die beiden zischeln mit Beats, flangen die Klangkulissen wie unter Tranquilizern und hauchen über die in erlesener Lieblichkeit bezupfte Elektrogitarre Lieder, die allen Ernstes „Kamillenteefee“ und „Kartoffelkäfer“ heißen. Ich verwirkliche mich jetzt auch mal selbst, wenn ich sage: „Hey, habt ihr die ersten zwei Aufgüsse dieser Platte weggeschüttet? So wie beim grünen Tee?! Oder warum kommt das so dünn?!“ Auch nicht eben sämig lassen die (wieder einmal) schwedischen Ingenting auf INGENTIN DUGER (Labrador/Al!ve) VU-verdächtige Akkorde in ihre heimatsprachlich besungenen Lieder tropfen. Hey, Leute, wer so vor sich hin folkpsychindierockt, daß Sigur Ros in der Holzhücte nebendran ja nicht aus dem Winterschlaf schrecken, hält sich wohl auch beim Ruderbootfahren an beiden Seiten fest. Und wer darf dann wieder rudern? Wieder mal die anderen! Auch nicht besser, eher noch schlimmer, weicher, verstiegener, wolkiger, völlig abgehoben: Principles Of Geometry (Tiger Sushi/Alive) aus Frankreich. Warum die zustandige Promoterin gelacht hat, als ich diese Musik groß umreißend „Ambient“ genannt hatte, weiß ich nicht. Ich weiß nur: Sowas macht mich wütend! Mich auslachen! Wegen so einer Platte, auf der es klingglöckchen tut, eine Beatbox knufft und Treppchen hinunter fällt, nur damit zwei Musikanten und doppelt so viele Plattenkäufer mal für ein paar Minuten ihr Unterbewußtsein auf Billigflug schicken können, ausgelacht zu werden: Das ist absolut kein Spaß!

Oder doch? Ja, also, hier noch die Wahrheit: Alle in Schimpf und Schande getauchten Tonträger in dieser Rubrik sind eigentlich ziemlich gut. Bis auf Lacrimosa und Ich + Ich. Die sind das nicht.