Lambrini Girls im Interview: Für Provokation gibt es keine Grenze
Die queere Punk-Band über ihr Album „Who Let The Dogs Out“, den Kampf gegen das Patriarchat und warum sie sich für ihre Provokation nicht entschuldigen.
Hardcore-Punk mit queeren, feministischen und gesellschaftskritischen Statements – das beschreibt den musikalischen Output der Lambrini Girls. Das britische Punk-Duo aus Brighton besteht aus Band-Gründerin Phoebe Lunny für Gesang und Gitarre sowie Bassistin Selin Macieira-Boşgelmez. 2025 veröffentlichten sie ihr Debütalbum „Who Let The Dogs Out“ und landeten damit auf Platz 16 der UK-Charts. Außerdem wurden sie für den Heavy Music Award in der Kategorie Best UK Breakthrough Artist nominiert. Auf ihrer Album-Tour 2025 haben wir sie bei ihrem Berlin-Stopp im Rahmen des Mikrofestivals der galizischen Lagerbier-Marke Estrella Galicia im Bi Nuu für ein Interview getroffen. Mit Sophie Ehmke und Paul Hofrath.
Wie definiert ihr Feminismus?
Phoebe: Intersektional. Feminismus sollte alle unterdrückten Menschen einschließen, die vom kapitalistischen Patriarchat betroffen sind. Es ist kein Wettbewerb. Es geht nicht nur darum, sich selbst oder Menschen, die einem ähnlich sehen, zu schützen, sondern darum, alle zu schützen und eine Gemeinschaft zu schaffen.
Wie kam es dazu, dass ihr beiden zusammen Musik macht?
Selin: Brighton ist eine kleine Stadt. Phoebe und ich haben beide in verschiedenen Musikclubs hinter Bars gearbeitet und uns quasi im selben Umfeld bewegt. Dann haben wir zusammen in einer Band namens White Shop USA gespielt. Lambrini Girls gab es damals schon und einmal konnte die Bassistin nicht auftreten. Phoebe hat mich gefragt, ob ich einspringen kann, und ich musste das Set in einer dreistündigen Probe am Tag vor dem Auftritt lernen.
Phoebe: Was sie perfekt gemacht hat!
Selin: Danke. Wir waren sowieso schon beste Freundinnen, haben zusammen Musik gemacht, und dann hat sich das einfach so ergeben.
Und wie seid ihr auf euren Bandnamen gekommen? Was ist Lambrini?
Phoebe: Lambrini ist ein billiger Wein, den man in Großbritannien an jedem Kiosk bekommt. Er kostet etwa zwei Pfund, ist sehr stark und sehr billig. Eigentlich ist es ein Cider. Wir nannten ihn „toilet wine for sluts“. Genau das ist er.
Lasst uns über euer Album „Who Let The Dogs Out“ sprechen. Es ist euer erstes Album, euer Debut, das Anfang 2025 erschienen ist. Was war das für ein Gefühl, als es endlich veröffentlicht wurde?
Phoebe: Erleichterung, Aufregung, Angst. Traurig, glücklich, gestresst, frustriert, aber vor allem horny.
Selin: Und verletzlich. Horny und verletzlich.
Wie würdet ihr es in drei Worten beschreiben?
Phoebe: Gay toilet wine.
Welche Themen waren euch besonders wichtig für das Album?
Phoebe: Ich will nie eine Liste durchgehen und sagen: „Ich will darüber singen, darüber, darüber und darüber“, denn es gibt so viele gesellschaftliche Missstände, die Welt steht in Flammen. Man möchte über alles schreiben, aber man kann nichts erzwingen. Es hat sich einfach organisch ergeben, denn es ist schwer, sich auf ein einziges Thema festzulegen. Ich will nichts verharmlosen, wenn wir daran arbeiten. Wir werden sie alle irgendwann behandeln, aber erst, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist und es sich wirklich wie ein guter Song anfühlt, der das Problem angemessen darstellt. Es sind oft auch ziemlich schwere Themen.
Wie fühlt es sich für euch an, Songs über diese schweren Themen zu schreiben?
Phoebe: Es fühlt sich so an, als ob man das tun sollte. Ich denke, es ist eine Verantwortung. Wenn man eine politische Band ist und politische Lieder singt, ist es meiner Meinung nach die Pflicht, sicherzustellen, dass die Texte auch gut genug sind. Ich bin beim Texten eher beobachtend, daher fällt es mir viel leichter, mit dem Finger auf andere zu zeigen, als auf mich selbst.
Lasst uns über euren Song „Cuntology“ sprechen. Er ist der meistgehörte Track des Albums. Wie war es, diesen Song zu schreiben? Und was bedeutet es, „cunt“ zu sein?
Phoebe: Nun, der Song feiert einfach, eine messy bitch zu sein und sich dafür nicht zu entschuldigen. Es war wirklich einfach, den Text zu schreiben, weil er verdammt direkt ist, was, glaube ich, auch der Grund dafür ist, dass er einer der beliebtesten ist, weil er so eingängig ist. Und wer oder was ist „cunt“? Ich würde sagen, es kann für verschiedene Menschen unterschiedliche Bedeutungen haben. Aber das „cuntiest thing“ ist, Gemeinschaft zu pflegen, auf andere zu achten und für diejenigen einzustehen, die sich nicht selbst verteidigen können.
Selin: Ja, und ich glaube, ein wichtiger Bestandteil von Selbstbewusstsein ist auch, sich selbst zu lieben. Ich finde, sich selbst zu lieben klingt ziemlich einschüchternd.
Wie fühlt es sich für euch an, euch selbst zu stärken, indem ihr sexualisierte Sprache im Allgemeinen zurückerobert?
Phoebe: Ich glaube, es gibt einen starken Zeitgeist, in dem viele Frauen ihre Sexualität zurückerobern, und das schon seit zehn Jahren. Ich denke, das sickert auch in andere Bereiche durch, besonders von der Mainstream-Popkultur. Frauen haben schon immer versucht, ihre Sexualität zurückzuerobern. Es sind jedoch die Männer, die das verhindern und die Geschichte verdrehen, um zu behaupten, Frauen würden ihre Sexualität Männern unterordnen, was nicht stimmt. Ich denke also, dass die Verwendung sexualisierter Sprache – und wir tun dies auf eine ziemlich aggressive und direkte Art – dazu dient, es für Männer weniger annehmbar zu machen. Damit kein Zweifel daran besteht, dass es nicht für sie bestimmt ist.
Gibt es einen Moment, in dem ihr denkt: Okay, das war zu viel, vielleicht zu provokativ?
Phoebe: Ich glaube nicht, dass es überhaupt provokativ genug ist!
Selin: Nein, es gibt keine Grenze. Oder wir haben sie noch nicht gefunden.
Phoebe: Die werden wir nie finden!
Ihr habt staatliche Fördermittel aus einem Kulturfonds erhalten, kritisiert dabei aber offen das staatliche System und erntet dafür Gegenwind. Wie geht ihr damit um?
Phoebe: Ich denke, das betrifft einfach die Meinungsfreiheit. Man sollte nicht staatliche Gelder annehmen müssen, um sich äußern zu dürfen, und dann den Staat nicht kritisieren dürfen. Die Kunstszene in Großbritannien ist chronisch unterfinanziert. Wir haben viel Zeit damit verbracht, für 30 Pfund in britischen Clubs zu spielen, nebenbei mehrere Jobs zu haben und unsere Miete nicht bezahlen zu können. Wir haben es geschafft, uns um Fördermittel zu bewerben, als wir bereits relativ erfolgreich waren – was ja schon für sich spricht. Wir haben uns bei der Organisation und dem MEGS-Förderprogramm bedankt. Uns war aber nicht bewusst, dass wir dadurch eine Gegenleistung erwarten konnten, die die Organisation nicht erwartet hatte. Allein schon die Berichterstattung von „The Sun“, „Daily Mail“ und „Good Morning Britain“, deutete darauf hin, dass wir unsere Meinungsfreiheit nicht mehr ausüben könnten. Nur weil man ein Stipendium annimmt, heißt das nicht, dass die Meinungsfreiheit käuflich ist.
Selin: Mic Drop.
Wenn ihr eine Sache in der Musikindustrie ändern könntet, was wäre es?
Phoebe: Weniger Männer.
Selin: Und Artists fair bezahlen. Ich würde das gesamte System der Musikindustrie verändern.
Was würdet ihr sagen, um Nachwuchskünstler:innen zu ermutigen, trotzdem weiter Musik zu machen?
Selin: Such dir jemanden mit Geld. Besorg dir ein Stipendium.
Phoebe: Du brauchst ein Plattenlabel, du brauchst Leute an deiner Seite, die Geld haben. Denn wenn du nicht aus einer wohlhabenden Familie kommst, wenn deine Eltern nicht deine Miete bezahlen können, landest du leider vielleicht auf der Straße.
Welche Textzeile eures Albums würdet ihr gerne sexistischen und queerphoben Menschen ins Gesicht schreien?
Phoebe: Michael, I don’t want to suck you off on my lunch break!
Selin: And it’s not that big.
Gab es einen Song von euch, bei dem ihr während der Entstehung dachtet: „Okay, der wird live der absolute Hammer“?
Phoebe: Nein, man weiß nie, welche Songs wirklich durchstarten, weil wir sie einfach alle für Banger halten.
Selin: Ich bin generell etwas enttäuscht von den Reaktionen auf „Special Different“ live. Die Leute tanzen dazu nicht. Oh, aber „Bad Apple“! „Bad Apple“, da hatte ich wirklich die Vision, dass der Song abgehen würde.
Habt ihr ein Tour-Ritual?
Phoebe: Tequila.
Selin: Ja, wir lieben Tequila. Ja. Und jeden Morgen Reggaeton im Hotel. Ich weine, ich bin so müde, ich weine. Aber Bad Bunny spielt, also mache ich mich bereit.
Welche Highlights können wir nächstes Jahr von euch erwarten?
Selin: Coachella!
Phoebe: Eine Bowlingbahn eröffnen. WWE-Wrestling. Und dann kaufe ich mir einen Monstertruck.
Können wir uns auf mehr Musik von euch freuen?
Selin: Angeblich.
Phoebe: Kein Kommentar. Angeblich.
Mit welcher Künstler:in oder eine Band möchtet ihr gerne mal zusammenarbeiten?
Phoebe: Ich weiß, mit wem Selin zusammenarbeiten möchte …
Selin: Ja, Bad Bunny. Wir haben gerade mit Peaches zusammengearbeitet, was unglaublich war. Ich würde wohl nach etwas zwischen Peaches und Bad Bunny suchen.
Phoebe: Ich möchte Buzz Aldrin oder Neil Armstrong auf einem Track haben. Und dann können sie behaupten, die Mondlandung sei fake gewesen! Just fuck with everyone.






