Loreley Open Air


Sie lesen zur Erbauung die Bibel. Sie besingen in Dublin den "blutigen Sonntag". Sie sind anders als die anderen. Für das irische Quartett gehören Religion und Rebellion zusammen. Während allerorten stilverliebte Pop-Kavaliere den schönen Schein zelebrieren, erlaubt sich U 2 den Luxus von Überzeugungen. Ihre Botschaft, so einfach wie radikal: Liebe und Frieden.

Sänger Bono Vox sieht sich gerne als Revolutionär, als einen Mann mit einer Botschaft. Und wenn er richtig loslegt was praktisch immer der Fall ist sprudelt es nur so aus ihm heraus. In einer Gruppe von Leuten steht er stets im Mittelpunkt; bei einem Gespräch unter vier Augen kann sich das Gegenüber gar glücklich schätzen, wenn er ab und zu ein Wort beisteuern darf. Der Junge kann einfach nicht anders: Wo er geht und steht, muß er seine Botschaft loswerden.

Wir befinden uns auf einem Flug von London nach Glasgow und Bono ist voll in Fahrt. Thema: “ Was macht U2 zu einer besonderen Band?“ Zu einer Zeit, in der Popmusik von lauwarmen, stil-verliebten Bands dominiert wird, die offensichtlich kein anderes Anliegen haben, als das Volk zum Tanzen und zum großen Vergessen zu bringen, ist U 2 in der Tat eine Ausnahme – Erscheinung.

Zum einen sind sie eine traditionelle Rockband – Gitarre, Baß, Schlagzeug, keine elektronischen Keyboards, keine Drum-Computer. Zugegeben, ihr Sound ist modern – dominiert von Larry Mullens donnerndem Schlagzeug, Dave „The Edge“ Evans neopsychedelischer Gitarre – und doch weit entfernt vom gängigen Techno-Funk dieser Tage.

WAR, ihr drittes und bislang letztes Album, scheut auch nicht davor zurück, schwergewichtige Themen aufzugreifen; Songs, die den schwelenden Nordirland-Konflikt behandeln, die polnische Gewerkschaft „Solidarität“ und den nuklearen Rüstungsterror.

Und dann die Bandmitglieder selbst: Modebewußt sind diese Jungs weiß Gott nicht! Keine toupierten Fantasie-Frisuien, keine Fotos in „Vogue“ oder „Face“. Danke, uns genügen schwarze Jeans und Army- Jacken.

Auch. ihr Lebensstil stimmt nicht gerade mit dem Klischee vom Rock ’n‘ Roll überem. Obwohl sie keiner Kirche angehören, sind drei von ihnen – Bono, Müllen und Evans – überzeugte Christen. Keine fanatischen Bibel-Kämpfer, behüte! Doch wenn sie während einer Tournee mal von der großen Langeweile gepackt weiden, kann es durchaus passieren, daß sie zum Buch der Bücher greifen und ein paar erbauende Verse lesen.

All diese Faktoren, so glaubt Bono annehmen zu dürfen, machen U 2 tatsächlich zu einer revolutionären Band: „Ich glaube in der Tat, daß U 2 wirklich subversiv ist, weil wir genau das nicht tun, was von allen anderen als rebellisch angesehen wird. Dieser ganze Hokuspokus von Rockstars, die mit einem Auto in den Swimming-Pool rasen, hat doch- mit Rebellion überhaupt nichts zu tun!

Revolution fängt zu Hause an, im Herzen jedes einzelnen, in der Verweigerung, seine Werte und seine Ansichten von Kompromissen prostituieren zu lassen. Politik heißt für mich nicht, mit Steinen und Stöcken zurückzuschlagen. Ich glaube an die Politik der Liebe. Ich glaube, es gibt nichts Radikaleres als zwei Menschen, die sich vorbehaltlos lieben.“

Es gibt zwei Erklärungen dafür, warum Paul Hewson ,Bono Vox‘ genannt wird. Eine davon ist, daß Bono Vox eine schräge lateinische Übersetzung von „gute Stimme“ ist; die andere, daß Bono Vox der Name eines britischen Hörgeräts ist – ein Apparat, den man wirklich nichtbraucht, wenn Bono redet.

„Ich hatte immer das lauteste Organ“, gibt er zu, „als wir U 2 gründeten, war ich Sänger, Lead-Gitarrist und Songwriter in einer Person. Es gab keinerlei Diskussionen.

Doch dann haben sie mir den Lead-Gitarristen ausgeredet und mich zum Rhythmus-Gitarnsten ernannt. Dann haben sie mir die Rhythmus-Gitarre madig gemacht und mich zum Sänger degradiert. Zu guter Letzt haben sie sogar versucht, mich auf den Manager-Posten abzuschieben. Das aber wollte ich nun doch nicht. Mag sein, daß mein Stolz da beleidigt war.“

U 2 entstand 1978 an der Mount Temple School in Dublin. Larry Müllen war das einzige Bandmitglied mit einer gewissen musikalischen Erfahrung. Er hatte zuvor in einer Marschmusik-Kapelle getrommelt, entschied sich aber zur Gründung einer Rockband, als man ihn wegen seiner langen Haare „unehrenhaft“ entließ.

Larry pinnte eine Suchanzeige ans Schwarze Brett und erhielt Anwort von Bono, Bassist Adam Clayton, Gitarrist Dave Evans – dessen Spitzname „The Edge“ sich auf seine Kopfform bezieht – und seinem Bruder Dick. (Dick verließ U 2 bald wieder, ging an die Um und tauchte später bei der Post-Punk-Truppe Virgin Prunes auf.) Alle U 2-Mitglieder stammen aus der bürgerlichen Mittelschicht: Claytons Vater ist Pilot; Edges Vater Ingenieur für Heizungssysteme: die Väter von Bono und Müllen sind Beamte. Und alle Familien griffen ihren Jungs tatkräftig unter die Arme, um der Band aus den Startblöcken zu helfen.

Die ersten Proben etwa wurden in einem Geräteschuppen hinter dem Haus der Evans abgehalten. „Sie nahmen ihre Musik von der ersten Minute an unglaublich ernst“, erinnert sich Gwenda Evans, die Mutter von Edge. Jeden Morgen standen sie um zehn Uhr auf der Matte und arbeiteten verbissen an ihrer Idee.“

U 2 nahmen ihre Sache zwar ernst, begriffen aber sehr bald, daß ihre Technik nicht ausreichte, um Coverversionen von Television, Talking Heads oder Patti Smith – ihren damaligen Favoriten – zu spielen. So entschloß man sich gezwungenermaßen, eigenes Material zu schreiben.

Um aber wirklich professionell arbeiten zu können, brauchte die Band einen Manager. Den einzigen, den sie kannten und für fähig hielten, war ein gewisser Paul McGuinness, der eigentlich Werbespots produzierte und Film-Musik komponierte. Zunächst lehnte McGuinness alle U 2-Anfragen rundweg ab. Aber da die Burschen hartnäkkig waren, kam er schließlich doch zu einer Probe, um ihnen endlich persönlich zu sagen, daß er verdammt noch mal keinen Bock habe. Aber: „Edges ¿ Gitarrenspiel war einfach außergewöhnlich – und Bono kämpfte verbissen um die Aufmerksamkeit seiner Hörer. Kurzum: Sie hatten das gewisse Etwas.“

McGuinness war gewonnen; was noch fehlte, war ein Plattenvertrag. U 2 erhielt zu dieser Zeit bereits wohlwollende Kritiken in englischen Zeitschriften, wohl auch wegen Bonos cleverer Taktik, jene Journalisten, die ihrer Musik aufgeschlossen gegenüberstanden, persönlich mit einem Vorab-Demo zu beglücken.

Mit dem Platten-Deal aber wollte es nicht so recht klappen. Als es nach mehreren Test-Gigs für die Talent-Scouts der Plattenfirmen immer noch nicht gefunkt hatte, entschloß man sich, selbst eine Irland-Tour auf die Beine zu stellen. Höhepunkt: Ein Konzert in einem kleinen Stadion in Dublin.

So etwas hatte noch keine Band ohne Vertrag je gewagt. Doch das Risiko machte sich bezahlt. Ein Beobachter von „Island sah den Gig – und schon wenig später unterzeichnete U 2 einen Vertrag mit dem Londoner Label. Kurz darauf wurde die erste LP BOY veröffentlicht.

„Ich hatte schon damals das Gefühl, daß große Dinge mit uns passieren sollten“, verriet Bono nach der Veröffentlichung 1981.

„Die Stones, die Who und die Beatles hatten alle dieses gewisse Etwas – und ich glaube, wir haben das auch“.

Sicher große Worte, vor allem, wenn sie aus dem Mund eines 21 jährigen kommen. Aber die überschwenglichen Songs von BOY bescherten dem Hörer tatsächlich eine Alternative zu dem Fließband-Rock von Journey oder dem Dreschflegel-Punk vieler britischer Bands.

Anfang 1982, als das Nachfolge-Album OCTOBER erschien, dachte sich Manager McGuinness einen besonderen Gag aus: Aus Anlaß der „St. Patncks’s Day“-Parade in New York (St. Patrick ist der irische Schutzheilige; der gleichnamige Tag der irische Nationalfeiertag) wollte er die Band in einem Festwagen mitfahren lassen. Eine irische Band, eine irische Parade. Genial.

Nicht ganz! Denn als McGuinness zu Ohren kam, daß die Parade zu Ehren von Bobby Sands (dem IRA-Mitglied, das sich ein Jahr zuvor zu Tode gehungert hatte), abgehalten werden sollte, zog er seinen Vorschlag umgehend zurück.

Denn U 2 haben wenig Illusionen, was die Situation in Irland und die Kämpfe zwischen Protestanten und Katholiken betrifft. Sie glauben nicht, daß die Terror-Aktionen der IRA den Frieden näher bringen. Statt der Parade spielte man am St, Patrick’s Day lieber im „Ritz“, einem der bekanntesten Clubs in New York. Immerhin sollte diese Erfahrung die Richtung der Band nachdrücklich beeinflussen.

Während eines Konzerts in Belfast; dem Tatort der meisten Gewalttätigkeiten, stellte Bono den Zuhörern einen neuen Song vor:

„Hört mal her“, sagte er zum Publikum, „wir spielen jetzt „Sunday Bloody Sunday“, kein Protestlied, sondern em Song über Hoffnung und Ekel zugleich“ und das vor Zuhörern, die bei diesem Titel zweifellos an jenen Tag im Jahre 1972 dachten, als britische Truppen Feuer auf eine friedliche Demonstration von Katholiken eröffneten. 13 Menschen starben damals in den Kugeln.

“ Wir spielen diesen Song jetzt für euch“, sagte Bono weiter, „und wenn ihr nicht damit einverstanden seid, dann laßt es uns wissen“. Tosender Beifall, als der letzte Takt verklungen war.

„Es war ein kritischer Moment“, erinnert sich Larry Müllen. „Denn zum ersten Mal haben wir in einem Song unseren Standpunkt unmißverständlich klar gemacht.“

Was die Texte betrifft, war WAR sicherlich em Wendepunkt. BOY hatte sich mit den Wehen des Erwachsenwerdens befaßt, OCTOBER geriet em wenig abstrakter und philosophischer. WAR, auf dem auch „Sunday Bloody Sunday“ zu finden ist, war – laut U 2 – nicht nur emotioneller als der Vorgänger, sondern hatte auch eine Botschaft.

„Sie nennen es einen Religions-Krieg“, ereifert sich Müllen, „aber es hat mit Religion nicht das Geringste zu tun. Die Katholiken sagen: ,Gott ist auf unserer Seite‘- doch die Protestanten sagen dasselbe. Und dann gehen sie auf die Straße und knallen sich gegenseitig ab. Eine üble Heuchlerei.“

Dennoch sind die Drei -Evans-„Edge“ ist der dritte im Bunde – nicht bereit, mit ihrem persönlichen Glauben hausieren zu geben. Ihr Interesse gilt auch eher der humanistischen Seite des Christentums, nicht aber den kleingläubigen Regeln und Vorschriften.

Bassist Adam Clayton ist der einzige Nicht-Christ in der Band. Es gab Zeiten, in denen er befürchtete, daß man ihn aus der Gruppe drängen wolle, da er den Versuchungen des Rockstars, sprich Alkohol, zti erliegen schien. Seit aber Bono vor einem Jahr ’seine Schulfreundin Alison Stewart heiratete und. Clayton bat, Trauzeuge zu sein, hat sich diese Befürchtung erübrigt.

Auch die Angst, bei U 2 handle es sich um moralinsaure Betbrüder, wird schnell verscheucht, wenn man sich intensiv mit ihrer Musik beschäftigt. Die zentrale Botschaft ist eine musikalische. Bono: „Musik ist mehr als nur Musik. Ihre Möglichkeiten sind fast unbegrenzt. Jedenfalls hat sie mein Leben völlig verändert. Musik veränderte eine ganze Generation, änderte, langfristig gesehen, die Einstellung etwa gegenüber dem Vietnamkrieg. Es ist eine Schande, daß sie gegenwärtig diese Kraft offensichtlich verloren hat.

Ich glaube, WAR ist genau richtig für diese Zeit. Die Platte, ist ein Schlag ins Gesicht all dieser hohlen und pompösen Popmusik. Alles klingt heute so glatt und hochgezüchtet. John Lennon hatte völlig recht als er diese Musik als ,wallpaper music‘ bezeichnete. Sehr schön. Sehr hübsch. Musik zum Frühstück. „

Der Zukunft sehen sie gelassen entgegen. „Das Wichtigste ist wohl, sich im Leben seinen Optimismus zu erhalten“, sagt Clayton, „und das ist etwas, was nicht notwendigerweise mit Christentum etwas zu tun hat. Es ist eine Lebenseinstellung.“

Und Bono, der geborene Redner, formuliert den Schlußsatz: „Die Hoffnung, die von unserer Musik ausgeht, ergibt sich aus der Hoffnung, die in dieser Band steckt. Es ist höchste Zeit, wieder Überzeugungen zu haben und für diese Überzeugungen auch zu kämpfen.“