Los geht’s, raus geht’s! Der Festivalsaison-Auftakt Immergut


Das Immergut-Festival in Neustrelitz hat am letzten Wochenende die Festival-Saison eröffnet. ME-Autor Michael Schütz war vor Ort.

Man hatte ja schon nach der Lektüre des Festival-Specials im letzten ME Bock bekommen, endlich wieder unter freiem Himmel zu tanzen, pogen, diven, kuscheln, stolpern, äh, saufen – was man eben so macht auf diesen Open Airs von denen jetzt alle reden. Das Immergut hat dabei den unschlagbaren Vorteil, das es quasi die Saison eröffnet, eine gut verdauliche Größe hat, ein übersichtliches und liebevoll hergerichtetes Gelände und eine gute Mischung aus unterhaltsamen Festivalspacken und Musiknerds, die sich auch mal zur besten Sendezeit von einer noch recht unbekannten Band wie Balthazar aus Belgien ins Schunkeln bringen lassen.

Bevor es also um die Musik geht, vielleicht erst einmal eine Kurzkritik der anwesenden Festivalspacken, die zwar manchmal nervten, aber oft doch irgendwie ganz amüsant waren: Der bumsvolle Mensch im Eisbärkostüm zum Beispiel, den man Samstag mit seiner Menschfreundin im See badend erleben konnte. Wie der nachher klitschnass über die Straße schluffte – ein Bild, das auch Grönemeyer, den ollen Eisbärkostümfreund, begeistert hatte. Nicht wirklich originell, aber hartnäckig war der langhaarige Herr mit dem ungesunden Beinausschlag, der in Schottenmontur Dudelsack-blasend am Wegesrand stand. Props für den Zwischenruf: „Nimm deinen Sack aus dem Mund!“ Ja ja, das Festival-Niveau. Pluspunkte wiederum für den Flüstertütenmenschen, der eigentlich nur bei Bodi Bill nicht am Zelt zu sitzen schien und den Rest des Wochenendes damit verbrachte, Gegner für diverse Saufspiele zu suchen. Standardspruch: „Wir suchen Opfer, keine Gegner!“ Samstagmorgen weckte er einen mit den Worten: „Ich bin wieder wach.“ Und: „Mein Körper hat keine Kraft mehr, Liebe zu geben.“ Wen gab’s noch? Die vermutlich von den Immergut-Machern gebuchten Seifenblasenbläser, die einen auf der Festival-Lichtung begrüßten. Den netten Trunkenbold, der den Autor dieser Zeilen mit John Lennon verwechselte, versprach dessen neue Single zu kaufen und herrlichst über Harry Potter wetterte. Und dann war da noch die verpeilte, schuhlose Dame, die einem am Sonntagmorgen um 2 Uhr verriet: „Handy verloren, Geld verlegt. Aber war doch alles super. Gutes Festival, gute Musik gehabt, guten Sex – ich glaub, ich such mal meine Tasche“. Gedankengänge, wie man sie nach einem Festival haben sollte. Hoffen wir, dass die Tasche mitsamt Handy und Geld wieder aufgetaucht ist…

Aber nun zu Musik und Tanz unter dem ebenso oft bewölkten wie sonnigen Himmel über Neustrelitz. Als Gewinner könnte man Retro Stefson aus Island ausmachen, die das Zelt in eine Hüpfburg verwandelten und wie eine frei drehende Schülerband über die Bühne tollten. Man rätselt zwar noch immer, wie die auf ihren Sound gekommen sind, aber wer denkt, verliert bei ihnen eh. Da war Mitspringen und Crowdsurfen angesagt. Überhaupt: Die Zeltbühne auf dem Immergut! Indie-Acts in Bierzeltatmosphäre bei einer Bewegungslaune, die man sonst vielleicht beim Hurricane erlebt, wenn die Beatsteaks spielen – eine Kombination, die jedes Jahr auf’s Neue begeistert. Toll waren auch Waters, die Nachfolgeband von Port O’Brien. Gleicher Sänger, aber mit Hummel im Arsch und Feedback in der Fender. Sehr schön – erinnerte an Indie-Krach-Heroen der 90er.

Auf der Hautbühne gab es die meisten Crowd-Surfer bei Darwin Deez, der zwischen seinen schrammeligen Indiehits wie „Up In The Clouds“ und „Radar Detector“ wieder abenteuerliche Tanz-Performances gab, bei denen die ganze Band genötigt wurde mitzutanzen. Macht schon Laune, wenn da vier Herren in bester Boygroup-Manier durch die Popgeschichte dancen, und dabei auch bei Rage Against The Machine eine gute Figur machen. A propos gute Figur: Those Dancing Days waren wirklich hübschanzuschauen, nur leider mit einem wahrlich beschissenen Sound gezeichnet – den sie aber leider nicht charmant überspielten sondern in mieser Laune kompensierten. Perfektes Gitarrenwand-Gemauer gab es dann bei Mogwai, die die Hauptbühne am Freitag dicht machten und wieder mal die lauteste Band waren.Alte Liebhaber-Songs fehlten, aber dafür waltzen die entspannten Herren einmal gekonnt durch’s neue Album – teilweise mit stimmiger Videountermalung. Wer da nicht mit dem Kopf nickte, der schlief schon fest. Durch die Nacht tanzen konnte man später mit in der schnuckeligen Birkenhain-Bühne, die schon nachmittags von Tino Hanekamp belesen und Gisbert zu Knyphausen bespielt wurde. Eine Belohnung für die früh Angereisten, denn viele kämpften zu der Zeit noch mit dem Zeltaufbau beim kurzzeitigen Unwetter.

Am Samstag geht der goldene Immergut-Button für den schönsten Festivalmoment an Balthazar aus Belgien. Schon im Programmheft wurde angekündigt, man solle sich doch bitte zum Ende des Sets mit vollem Glas vor der Bühne einfinden. So machte man es dann auch und sang gemeinsam mit den Belgiern die letzten Zeilen zu „Blood Like Wine“ – in denen es heißt: „Raise your glass to the nighttime and the ways… to choose a mood and have it replaced“. Schö‘ war’s! Allerdings hätte es auch gereicht, diese Zeilen nur 27mal zu singen und nicht (gefühlt) 234mal. Ebenfalls aus Belgien stammte der Headliner dEUS, der sogleich mit einem im Opener „Sun Ra“ besungenen „night train“ in den Abend walzte, es aber nur mit der letzten Single „The Architect“ und alten Klassikern wie „Roses“ und „Suds & Soda“ schaffte, die schon müde Menge in Wallung zu bringen.

Als man dann am Sonntag zum letzten Mal zur Brötchenfrau ging, diese beim morgendlichen Feierabendbier erwischte („Oh nein, er hat’s gesehen!“), sein Zelt zusammenpackte und ein letztes Mal gen Festivallichtung schaute, da wurde man doch ein wenig wehmütig. Denn auch hier gilt: Schö‘ war’s! Wie immer.  Und das Eintrittsband aus Seemannskordel – das bleibt ne Weile dran…