Merle Haggard: Der Country-Punk


Mit 19 kam er in den Knast. Mit 32 war er ein Superstar. Heute bringt Merle Haggard seine Platten auf dem Label von Bad Religion heraus.

Irgendwie hatte sich Merle Ronald Haggard, Sohn eines Wanderarbeiters aus Bakersfield, Kalifornien, die Sache anders vorgestellt. Es ist Ende 1957, als der 19-Jährige zusammen mit zwei Kumpels beschließt, ein Restaurant auszurauben. In der Annahme, es sei 3 Uhr morgens, macht sich das Trio, das vorher ausgiebig gesoffen hatte, am Hintereingang des Etablissements zu schaffen. Tatsächlich ist es aber erst 22.30 Uhr, das Lokal ist immer noch geöffnet, die Drei werden vom Personal in die Flucht geschlagen und noch am selben Abend von der Polizei gefasst. Am nächsten Tag flieht Haggard aus der Untersuchungszelle, wird aber nach ein paar Stunden wieder festgenommen und später zu 15 Jahren in St. Quentin verurteilt, damals eine der härtesten Strafanstalten der Welt, von denen er zwei Jahre und neun Monate absitzen muss.

Fast 45 Jahre später gilt der 64-Jährige neben Johnny Cash, Willie Nelson, Waylon Jennings und Kris Kristofferson als eine der größten lebenden Country-Legenden. Einer, der mittlerweile seine Platten auf Anti veröffentlicht, einem Unterlabel von Epitaph, der Plattenfirma von Bad Religions Brett Gurewitz. Einer, der polarisiert. Einer, dessen Leben nicht von seiner Musik zu trennen ist. 1969 gelingt Haggard mit dem umstrittenen „Okie From Muskogee“ eine Nummer 1 in den Countrycharts. Der Song, unverhohlene Pro-Vietnamkrieg-Hymne und beißende Parodie auf die Hippie-Bewegung, ist so recht nach dem Geschmack des konservativen Amerika. Prompt wird Haggard in die Redneck-Schublade gesteckt. Als Nachfolgesingle von „Okie“ will er „Irma Jackson“ veröffentlichen – eine Liebesgeschichte zwischen Schwarz und Weiß. So was tut ein Redneck nicht. Meint seine Plattenfirma und bringt stattdessen die patriotische Hymne „The Fighting Side Of Me“ heraus.

War „Okie From Muskogee“ ernst gemeint oder nicht? „Na ja, es war vielleicht von beidem etwas“, sagt Haggard mit einer Stimme, in der Gallonen von Whiskey, Zigaretten- und Marihuana-Rauch ihre Visitenkarten hinterlassen haben. „In der Zeit, in der ich den Song geschrieben habe, war ich wahrscheinlich genauso doof wie jeder andere Amerikaner auch.

Niemand hat damals gewusst, warum unsere Soldaten eigentlich in Vietnam waren. Und niemand hat gewusst, warum die Kids in Amerika herumlungerten, warum sie Acid nahmen und Joints rauchten. Und die Mehrheit der Amerikaner, die weder das eine noch das andere getan hat, gab Marihuana die Schuld. Es ist eine Tatsache, dass alles Übel in der Welt auf Marihuana geschoben wird. Neulich gab es ein größeres Zugunglück hier in der Gegend. Und was war der Grund dafür? Natürlich Marihuana. Sie haben im Wrack einen Joint gefunden, sie haben so lange nach der Unglücksursache gesucht, bis sie Marihuana gefunden hatten, dann haben sie aufgehört zu suchen. Ganz klar: der Joint war schuld. So bescheuert kann Amerika sein.“

Später hat Haggard selber Marihuana geraucht, „nur nicht in Muskogee“, wie er beteuert, und weitaus schlimmere Dinge getan – seine beiden Scheidungen mal außen vor gelassen. Auf die Frage, ob er heute noch „raucht“, folgt eine Pause. Dann die Antwort: „Ich rauche gelegentlich THC-freien Hanf, weil er nicht high macht. Und deshalb ist es auch nicht verboten, das Zeug zu rauchen. Ich glaube, dass es einfach lächerlich ist, sich heutzutage Gedanken über Marihuana zu machen. Ich sage nur: Afghanistan. Warum sollten wir wegen Marihuana besorgt sein, bei dem Trip, der zurzeit abläuft? Als ob Marihuana eine tödliche Bedrohung wäre. Dabei hat das Zeug eine Menge guter Wirkungen.“

Die siebziger Jahre laufen für Merle Haggard wie am Schnürchen. Ronald Reagan, damals noch Gouverneur von Kalifornien, gewährt ihm die volle Begnadigung. Pat, die Frau des damaligen Präsidenten Richard Nixon, outet sich als Haggard-Fan, woraufhin er im Weißen Haus auftreten darf. In den Achtzigern wird „The Hag“ von zahlreichen persönlichen Krisen geschüttelt. Übermäßiger Alkohol- und Drogenkonsum und ein ausschweifendes Leben führen dazu, dass er 1992 Konkurs anmelden muss. „Das war mir eigentlich egal. Es war nur ein weiteres Kapitel in meiner persönlichen Reorganisation. Ich war ja nur fünfzehn Millionen Dollar im Minus,“ sagt er und lacht sein dreckiges Lachen. „Ich musste aus diesem Loch rauskommen. Weißt du, ich hatte zwei Scheidungen, die mich finanziell ziemlich gebeutelt haben. Es gab Zeiten, da musste ich alles mit irgendjemandem teilen, musste meinen Ex-Frauen eine Million Dollar in bar geben, nur um sie loszuwerden.“ Heute ist alles im Lot. Haggard kann dank Brett Gurewitz die Musik machen, die er machen will, und ist ein bisschen stolz darauf, dass ein „Punkrock-Label“ (O-Ton Haggard) seine Platten veröffentlicht.

Irgendwie ist Haggard selber Punkrock. Stichwon: St. Quentin. „Das Gefängnis hat meine Sinne geschärft und mir die Flausen ausgetrieben. Als ich wieder herauskam, war ich zweiundzwanzig Jahre alt, und ich war seither nie wieder im Knast. Ich könnte dich anlügen und sagen, dass es ein Riesenspaß war. Aber ich war neunzehn, als ich ins Gefängnis gekommen bin. Als Neunzehnjähriger in St. Quentin zwei Jahre und neun Monate zu überstehen, ohne vergewaltigt oder umgebracht zu werden – das hat meinen Charakter geprägt.“ Einmal hat Merle Haggard geäußert, dass er erst mit fünfzig so richtig erwachsen geworden sei. Trotzdem, sagt er, bedauert er nichts, was er vor seinem fünfzigsten Geburtstag getan hat. Außer einer Sache vielleicht: „Ich würde mir wünschen, dass ich gute Zähne hätte. Ich hab‘ die Zahnpflege ein bisschen vernachlässigt.“